Lauterbachs Glaube: Risiko von „Post-Vac“ gegenüber Long COVID um „Dimensionen geringer“
In Berlin hat ein „Runder Tisch“ zum Thema Long COVID getagt – eine gezielte Nebelgranate, um die bundespolitische Aufarbeitung des Themas Corona zu simulieren. Opfer und Interessengruppen zum Thema Impfnebenwirkungen waren nicht eingeladen. Auf der Pressekonferenz wurde die Wahrnehmung des Gesundheitsministers erschütternd deutlich.
Von Bernhard Loyen
Erstveröffentlichung am 06.12.2023 auf RT DE
Am 4. Dezember fand in Berlin die Veranstaltung „2. Runder Tisch Long COVID“ statt. Anwesend waren „30 Experten“, auch „Betroffene“, die zu den Themen „Forschung, Arzneimittel, Rehabilitation und Bedarfe in den Lebenswelten“ diskutierten. Ein „zentraler Aspekt“ der Veranstaltung bestand nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) darin, sich „zum Stellenwert der Rehabilitation und den bereits erzielten Fortschritten sowie zu aktuellen Studienergebnissen“ auszutauschen. Im Vorfeld der Veranstaltung verbreitete sich ein Video von Felicia Binger, einer „Post-Vac“-Patientin und laute(re)n Stimme unter den Impfgeschädigten.
Der Begriff „Post-Vac“ hat es mittlerweile in den deutschen Duden geschafft und wird dort als „lang andauernde diffuse Krankheitssymptomatik nach bestimmten Impfungen – besonders nach einer Immunisierung gegen Covid-19“ definiert. In einem X-Posting erläutert Frau Binger die Umstände, warum sie nicht mit am Runden Tisch sitzen durfte:
Gerade findet 2. Runder Tisch #longcovid im @BMG_Bund statt. Ich sollte heute @cov3rse vertreten, der einzigen Patientenvertretung für #Postvac #Impfschäden und wurde an der Tür abgewiesen! obwohl CoVerse bei erster Runde teilnahm und Folgetermin zugesichert wurde. Thema heute… pic.twitter.com/N76YHOXt1p
— Pikherz (@Felicia_Lincora) December 4, 2023
Ihre Thematik eines stellvertretenden Leidenswegs sei „leider“ nicht Bestandteil des „Lagerfeuers der Wissenschaft“, so Lauterbach im Anschluss der Veranstaltung auf der Pressekonferenz. Die Berliner Zeitung titelte zu diesem Ereignis angenehm deutlich: „Das ist dreist: Lauterbach lädt Impfgeschädigte vom Runden Tisch aus?“
Am 1. Runden Tisch am 12. September dieses Jahres war zumindest die Organisation CoVeRSE eingeladen worden, um für die weiterhin unbekannte hohe Zahl von COVID-Impfopfern zu sprechen. Die Abkürzung steht für „seltene, schwere gesundheitliche Folgen der Corona Schutzimpfung“ (corona vaccines very rare side effects), wenig überraschend erhält die Organisation Geld vom Bund, daher vielleicht die explizite Erwähnung des Wortes „seltene“ im Namen und die Einladung an den ersten Tisch. Was bedeutet jedoch ein „seltenes“ Ereignis angesichts der 63,6 Millionen verabfolgten Einzelimpfungen (Stand April 2023) und der forcierten Verabreichungen eines neuartigen mRNA-Wirkstoffs?
Nur langsam bahnt sich eine medizinisch und wissenschaftlich provozierte Katastrophe ihren Weg in das Bewusstsein der Medien und der breiten Gesellschaft. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach formulierte auf der Pressekonferenz vom 4. Dezember folgende Wahrnehmung:
„Es ist nicht so, dass die Impfungen nicht vor einer Infektion schützen würden, sondern die Impfung schützt vor einer Infektion. Der Schutz ist allerdings nicht perfekt und hält nicht lange an. Das ist das Problem.“
Lauterbach erklärte weiter, wenn sich „jetzt jemand impfen ließe“, wäre dadurch die Chance einer Infektion „reduziert“. Nicht näher erläutern wollte er hingegen die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines körperlichen Schadens, das ist das eigentliche Problem. Folglich forderte Lauterbach in der Pressekonferenz erneut in aggressivem Ton zur COVID-Impfung auf.
Das akute Problem der von einem Impfschaden Betroffenen ist die fortdauernde Weigerung der verantwortlichen Politiker und Wissenschaftler, natürlich auch der Pharmaindustrie, die Existenz der hohen Zahlen „Post-Vac“-Geschädigter zu akzeptieren und in einer dringend benötigten betreuten Aufarbeitung glaubhaft zu integrieren. Ich habe dem BMG am 4. Dezember sechs Fragen zu dieser Problematik zugesandt: Etwa warum diese Betroffenen, ob als Person oder Organisation, diesmal nicht eingeladen beziehungsweise, wie im Falle Binger, ausgeladen wurden. Zudem warum die Steuerzahler 150 Millionen Euro Fördergelder zum Thema Long COVID finanzieren sollen, es aber weiterhin nachweislich keinerlei Interesse seitens des BMG und des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gibt, Forschungen zu den massiven und diffusen „Corona-Impfschäden“ anzustrengen.
Die Antwort von BMG-Sprecher Sebastian Gülde war freundlich, aber wenig informativ. Er verwies auf klärende Aussagen seines Arbeitgebers zum Thema Post-Vac in der Pressekonferenz zum „Lagerfeuer“. Leider fanden sich auf dem YouTube-Kanal und in den sozialen Medien nur Auszüge ohne Bezug auf die Andeutungen von Herrn Gülde.
https://twitter.com/BMG_Bund/status/1731694386398777367
Auf schriftliche Nachfrage erhielt ich dann die gesamte Pressekonferenz als Tondokument zugesandt. Nachdem ich dieses angehört hatte, war ich, gelinde gesagt, irritiert bis schockiert. Auf die Fragen von anwesenden Journalisten zum Thema „Post-Vac“ teilte er am 4. Dezember 2023 wortwörtlich mit:
„Wir haben heute nur kurz über Post-Vac gesprochen, weil es heute nicht im Schwerpunkt der Debatte stand. Wir werden in einer eigenen Veranstaltung uns auch noch mit kleineren Gruppen mit Post-Vac auseinandersetzen. Aber wenn ich die Ergebnisse der Debatte von heute noch einmal zusammenfassen kann … die Inzidenz von Post-Vac geht derzeit stark zurück, das liegt auch daran, dass wir eben sehr wenige Impfungen beklagen müssen zum jetzigen Zeitpunkt.“
Die „Arbeitshypothese“ laute zudem, „dass die Symptome von Post-Vac ähnlich sind wie die von Long COVID, nur eben etwas weniger stark ausgeprägt. Dieses Bild hat sich bestätigt in der Versorgung von Post-Vac-Patienten.“ Es folgt ein erneuter verbaler Schlag ins Gesicht leidender Menschen, verbunden mit einer gewagten, wenn nicht anmaßenden Mutmaßung:
„Die Post-Vac-Betroffenen haben ähnliche Symptome wie Long COVID-Betroffene, nur meistens weniger stark ausgeprägt und natürlich ist das Risiko, Post-Vac zu entwickeln, nach einer Impfung Dimensionen geringer, als das Risiko von Long COVID, wenn ich eine COVID-Infektion habe.“
Der Nutzen der Impfung stehe daher für Lauterbach „nicht in Frage, sondern dominiert (!) natürlich, ganz klar, das geringe (!), doch vorhandene Post-Vac Risiko“. Es folgten keinerlei Reaktionen oder Rückfragen der anwesenden Journalisten. Diese Aussage erinnert fatal an den Promptertext der BMG-YouTube-Serie „KarlText“ vom Juni 2022. Damals lautete die verbale Backpfeife an die Opfer einer mRNA-Verabreichung:
„Als Post-Vac-Syndrom bezeichnet man ein Syndrom, wo nach der Impfung die Menschen sich nicht so gut konzentrieren können wie vorher oder wo Nebenwirkungen vorkommen.“
Können nach der #Corona-Schutzimpfung #Nebenwirkungen auftreten? Was ist das #PostVacSyndrom? Und was können Betroffene tun? Darüber spricht @Karl_Lauterbach in der neuen Folge #KarlText. Hier finden Sie weitere Informationen zu Nebenwirkungen: https://t.co/EgF1g37dTc pic.twitter.com/nW6LS0ADma
— Bundesgesundheitsministerium (@BMG_Bund) June 16, 2022
Ein nicht vorgestellter Journalist fragte dann allen Ernstes, ob es nicht sinnvoll wäre, aktuell weihnachtliche Betriebsfeiern abzusagen „oder unter besonderen Vorkehrungen durchführen zu lassen“, um – eine reine Mutmaßung meinerseits – die Großeltern vor und unter dem Weihnachtsbaum nicht zu gefährden. Überraschend beruhigte der Minister den verunsicherten Mann, empfahl aber generell, als reine Vorsichtsmaßnahme, „doch eine Maske zu tragen“ und sich vor dem Besuch der Familie testen zu lassen.
Zum Thema der Betriebsfeiern sagte Lauterbach wortwörtlich, dass sich Kollegen, „die einer Risikogruppe“ angehören – „auch stark übergewichtige Menschen“ –, vor dem Besäufnis und geselligen Beisammensein „doch impfen lassen“ könnten. Wenn die individuelle Verunsicherung jedoch zu groß bleibe, „dann einfach nicht teilnehmen“, so Minister Lauterbach auf der Pressekonferenz darlegend. Auch hier schwiegen die Journalisten.
Frau Slavik von der Süddeutschen Zeitung wollte hingegen unbedingt erfahren, um wie viel Prozent höher das Risiko von „Ungeimpften“ läge, „an Long COVID zu erkranken“. Die vorliegende und medial kommunizierte „Schätzung von drei Prozent“ bei geimpften Bürgern wurde auch bei dem Runden Tisch bestätigt. Lauterbach: „Auch in meiner Lesart der Literatur“ sei dies aber trotzdem „nicht in Stein gemeißelt“, wie die „richtige“ und einzig ernst zu nehmende Wissenschaft klarstellt. Das Risiko für Ungeimpfte sei Lauterbach zufolge „ungefähr doppelt so hoch“.
Die „genaue Zahl“ der Long COVID-Patienten wurde am Runden Tisch nicht „noch einmal thematisiert“, so Lauterbach. Das Interesse an einer genauen Zahl der Opfer nach dem ein- oder mehrmaligen Erhalt eines neuartigen mRNA-Wirkstoffs hält sich demgegenüber nicht nur in Grenzen, dieses Interesse existiert schlicht nicht. Nicht bei Herrn Lauterbach, nicht im BMG, nicht im PEI oder im RKI. Wie auch weiterhin nicht bei einem Großteil der zuarbeitenden etablierten Medien.
Interessant war der Hinweis Lauterbachs zum Ende hin, dass es in einer „Untergruppe“ von sogenannten Long COVID-Patienten auch zu „Spontanheilungen“ komme, ohne dies näher zu erläutern. Abschließend bemängelte Lauterbach die fehlende Existenz des gläsernen Patienten, also der schnellen und unkomplizierten Verfügbarkeit digitaler Daten, natürlich ausschließlich wegen der dadurch verhinderten, also verzögerten wissenschaftlichen Forschung zum Phänomen Long COVID. Die Vorteile der – „fehlenden“ – Digitalisierung in Deutschland, der absoluten Nutzung und Ausreizung eines drohenden Gesundheitsdatennutzungsgesetzes, hätte sich ihm zufolge „auch schon während der Pandemie“ bemerkbar gemacht. Der Minister benannte dann das Vorzeigeland Israel als Vorbild für Datenerhebungen.
Das Tondokument bestätigt nachdrücklich die sich abzeichnende Befürchtung, dass in der ersten Liga der Politik und der zuarbeitenden Medien sich seit dem offiziellen Ende der sogenannten Corona-Krise und der Pandemie im totalitären wie auch unwissenschaftlichen Denken sehr wenig gewandelt hat. Alles war okay so, wie es gelaufen ist, es gibt nichts aufzuarbeiten, bitte gehen und lesen Sie weiter.
Daher zur erneuten regelmäßigen Erinnerung und Mahnung: Dass der unantastbare Lauterbach weiterhin vollkommen unbekümmert und ungestört seinem Tagwerk nachgehen kann und darf, bleibt der medial-politische Skandal des Jahres 2023.
Bernhard Loyen ist freier Journalist und schreibt für verschiedene alternative Portale
Bild oben: Karl Lauterbach im Mai 2023 in Köln
Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=134586748