Demokratie – Medien – Aufklärung

Brennende Leoparden reichen nicht

Erneute Debatte um „Taurus“-Marschflugkörper für Kiew

Irgendwie kriegen sie den Hals nicht voll. Oder sie lernen einfach nicht. Die Briten haben zumindest gelernt, den Panzern, die sie in die Ukraine geschickt haben, Frontausflüge zu verbieten. Aber die brennenden Leopard-Panzer reichen nicht. Jetzt wird schon wieder über „Taurus“ debattiert.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 17.11.2023 auf RT DE

Und da sind sie wieder, die „Taurus“-Marschflugkörper. Jetzt stellt die CDU einen Antrag im Bundestag … man solle sich doch nicht so haben, das sei schon keine Kriegsbeteiligung, und damit könne man auch die Brücke von Kertsch kaputt machen.

Eigentlich ist es nur noch bizarr, zu einem Zeitpunkt unbedingt nachlegen zu wollen, zu dem selbst in den USA gerade die Hauptfrage ist, wie man denn Selenskij am besten loswerden könnte, gegen wen man ihn tauschen soll (Pentagon und CIA scheinen da etwas uneins zu sein) und überhaupt das ganze Thema Ukraine zu den Akten legen könnte, ehe allzu deutlich wird, dass das Patt kein Patt ist, sondern eine Niederlage.

Allzu tief stecken die Abgeordneten der CDU/CSU ihre Nase ohnehin nicht in die militärischen Berichte. Sonst wäre ihnen aufgefallen, dass in den letzten Wochen die Zahl abgeschossener ukrainischer Flugzeuge massiv gestiegen ist; das soll an einer Kombination aus einem verbesserten AWACS mit neuen Luft-Luft-Raketen liegen. Wie auch immer, wenn mehr Flugzeuge abgeschossen werden, dann hat das auch Folgen für alles, was von diesen Flugzeugen aus abgeschossen wird, und die Taurus ist nun einmal eine Luft-Boden-Rakete.

Die Tagesschau, neutral informierend wie immer, hält Bundeskanzler Olaf Scholz gleich Defätismus vor:

„Hinter der Debatte um „Taurus“ steht zunehmend die strategische Frage, was will der Kanzler mit der Ukraine-Unterstützung erreichen? Will er die aktuelle Pattsituation auf dem Schlachtfeld halten oder will er, dass die Ukraine den Krieg vielleicht doch gewinnt?“

Das ist schon kühn. Die Ukraine soll gewinnen? Auf welchem Planeten war der Tagesschau-Kommentator während der großen ukrainischen Offensive? Nein, es wird die nächste Wunderwaffe aufgebaut, eine V2 im Endlosrotator, statt endlich einmal wenigstens wahrzunehmen, was mit dem Land, das man vorgeblich unterstützen will, tatsächlich geschieht.

Der CDU-Kriegspolitiker Roderich Kiesewetter meint gleich, das Ziel müsse sein, „die Krim Russland zu entreißen, und ein Mittel dazu ist Taurus.“ Vielleicht mag ihm jemand die russische Nukleardoktrin als Bettlektüre aufs Nachtkästchen legen – wenn seine Fantasie je Wirklichkeit werden könnte (was sie glücklicherweise nicht kann), wäre das ein Fall, in dem sie aktiviert werden könnte.

Auch aus der FDP gibt es Stimmen, die unbedingt noch diese Marschflugkörper in der Ukraine unterbringen wollen. Der Bundestagsabgeordnete Alexander Müller meinte, man dürfe nicht abermals den Fehler zu zögerlicher Debatten machen. Tatsächlich wurden die eigentlich entscheidenden Punkte in den Debatten zumindest im Bundestag nie behandelt; schließlich ist die Feindstaatenklausel in der UN-Charta nie außer Kraft gesetzt worden, und es liegt nach wie vor völlig in russischer Hand, wann etwas als Kriegsbeteiligung gesehen wird und wann nicht.

Irgendwie teilt man zwanghaft den Kiewer Traum, die Brücke von Kertsch zu zerstören. Das könnte auch Ausfluss eines Minderwertigkeitskomplexes sein, in dem Land, das inzwischen deutliche Probleme hat, so etwas wie Flughäfen, Bahnlinien und Brücken überhaupt noch gebaut zu bekommen. Es ist schon eine Zumutung, ständig von neuen U-Bahn-Linien in Moskau lesen zu müssen, oder eben von dieser in Rekordzeit gebauten Brücke, oder von der in einem Jahr gebauten Million Wohnungen in Russland zu lesen, und selbst in Berlin zu sitzen, wo der Umbau einer einzelnen Straße gern mal in Jahren geplant wird. Ich bin mir fast sicher, dass die Berichte von der Straßenreinigung in San Francisco anlässlich des Besuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Berlin bei vielen den Wunsch hervorriefen, er möge doch auch die Bundeshauptstadt besuchen; nur leider ist Berlin längst nicht mehr wichtig genug dafür.

Geradezu niedlich ist folgende Aussage der Union im Antrag: „Es gibt keinen Grund, an den ukrainischen Zusagen zu zweifeln.“ Das nur wenige Tage, nachdem beim Versuch, die Ukraine, oder insbesondere Saluschnyj, für die Sprengung von Nord Stream verantwortlich zu machen, noch einmal nachgelegt wurde. Wäre diese Zuschreibung wirklich ernst gemeint, wäre es durchaus gerechtfertigt, der Ukraine diese Raketen zu schicken – aber von deutschen Flugzeugen gestartet, auf ukrainische Ziele. (Dass jetzt mit dieser Geschichte auf Saluschnyj gezielt wurde, ist übrigens das Indiz für die Uneinigkeit zwischen Pentagon und CIA).

In Wirklichkeit dürfte es darum gehen, der Rüstungsindustrie ein Stück von dem Markt zu sichern, den die britischen Storm Shadows durch ihre doch eher schwächere Performance verloren haben. Eine Illusion, wie sie auch die Lieferung deutscher Leopard-Panzer getrieben haben dürfte, bis die ersten davon auf frischen Videos in Flammen aufgingen. Eine realistische Sicht auf diese Waren und ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit bestand noch nie. Und die Zeit, diese Dinger noch an die Ukraine liefern zu können, läuft ab; schließlich muss es dazu noch eine Ukraine geben.

An sich könnte man diese Aufforderung, nun auch noch das letzte ungenutzte Stück Rüstungsmaterial nach Kiew zu liefern, getrost zu den Akten legen – wenn nicht schon seit Wochen von möglichen Koalitionswechseln geraunt würde und die Ampel-Regierung gerade dank des Verfassungsgerichtsurteils mit der Nase vor der Wand stünde. Da könnte die Taurus-Fantasie der Union noch zum Teil eines Verhandlungspakets werden, und man weiß ja, wie viel Standhaftigkeit von Olaf Scholz erwartet werden kann. Oder wie viel Weitsicht.

Jetzt sollen ausgerechnet aus Deutschland ausgerechnet die Waffen geliefert werden, die am tiefsten in russisches Territorium reichen, und die die Ukrainer, so wie wir sie kennen, mit absoluter Sicherheit nicht nur gegen die Brücke von Kertsch, sondern mindestens ebenso gern auf zivile Ziele hinter der russischen Grenze richten würden. Ausgerechnet jetzt, während in Washington hinter vorgehaltener Hand bereits debattiert wird, wie viel Ukraine am Ende wohl übrig bleiben könnte, wenn überhaupt. Diese Vorgehensweise als Eselei zu bezeichnen, würde den Nagel nur ansatzweise auf den Kopf treffen.

Es ist ja gut und schön, jede Zeile der Konzernpresse und jede Sendeminute der Fernsehnachrichten mit Propaganda zu füllen. Die gegenwärtige Generation in Berlin erzeugt so etwas aber nicht nur, sie glauben selbst daran. So Kiesewetter:

„Wollen wir, dass die Ukraine gewinnt? Oder soll die Ukraine in einen Diktatfrieden gedrängt werden, der mit Putin verhandelt wird?“

Dabei sind die Spielregeln doch ganz einfach. Wenn man meint, auf Diplomatie verzichten zu können – und eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ist ein ganz manifester, physischer Verzicht auf Diplomatie – muss man sich damit abfinden, dass der Frieden vom Sieger entschieden wird. Und man muss nur an die Einberufung von Frauen und Behinderten durch Kiew denken, um zu erkennen, dass der Sieger nicht Ukraine heißen wird.

Obwohl – letztlich wäre ein Ende der Kiewer Macht, ein Ende der Bandera-Ideologie ein Sieg für die Ukraine. Denn diese naziverherrlichende, fremdgesteuerte Truppe, die dort derzeit herrscht, ruiniert vor allem ihr eigenes Land. Aber dieser Gedanke ist drei Ebenen zu komplex für das Berliner Personal, das es noch nicht einmal schafft, den ungeheuren Blutzoll wahrzunehmen, den diese „Verteidigung der Freiheit“ (also der US-Hegemonie) den Ukrainern abverlangt.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: Leopard 2 im Gefechtsübungszentrum des Heeres, Letzlingen 2019

Foto: Boevaya mashina, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=81517309