Staatsräson
Zur herrschenden Unvernunft
von Hans Bauer
Erstveröffentlichung in der UZ vom 10.11.2023
Die Bevölkerung Deutschlands widersetzt sich zunehmend staatlich verordnetem Denken und Gebot. Da bedarf es kräftiger Zurechtweisung. Vom Präsidenten, vom Kriegskanzler. Und vom ganzen Hofstaat und seinen Trompetern. Spätestens nach dem 7. Oktober, der, so auch der UN-Generalsekretär António Guterres, nicht aus dem „Vakuum“ kam. Also wird „Staatsräson“ gepredigt und gefordert. „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“, posaunt Scholz. Die Sicherheit der Palästinenser, seit Jahrzehnten unter israelischer Repression leidend, ist kein Thema. War es für die alte Bundesrepublik nie. Sie stand zu keiner Zeit auf der Seite der Unterdrückten. Weder in Südafrika oder in Chile und auch nicht im Nahen Osten. Und das nach Weltmacht strebende Großdeutschland schon gar nicht. Völkerfrieden war in der Bundesrepublik nie Staatsräson. Im Gegensatz zum anderen Deutschland. In der DDR war Solidarität mit dem gerechten Kampf der PLO, der palästinensischen Befreiungsbewegung, selbstverständlich. Friedensnobelpreisträger Jassir Arafat stand über viele Jahre als Symbol dafür.
Diese Parteinahme der Deutschen Demokratischen Republik für die Menschlichkeit richtete sich nicht gegen Juden, gegen das Volk Israels. Nein, die unmenschlichen Verbrechen mit 6 Millionen ermordeten Juden begründeten hier besondere Verantwortung für die Überlebenden. Das ist an vielen Beispielen belegbar. Aber sie waren keine Rechtfertigung für Verbrechen des israelischen Regimes an den Palästinensern. Ebensolche historische Verantwortung sah die DDR gegenüber den Völkern der Sowjetunion mit 27 Millionen Opfern. Darin begründet sich auch das Verständnis vieler für die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation heute.
Es ist aber nicht nur verleugnete historische Verantwortung des imperialistischen Deutschlands, es ist auch die Wahrheit, die auf der Strecke bleibt. Deutsche Politiker sprechen von Demokratien in Israel und in der Ukraine, die es angeblich zu verteidigen gilt. Das Israel Netanjahus hat mit Demokratie nichts zu tun. Und das Regime der Ukraine, in der ein Faschist Bandera Nationalheld ist, kann für sich „Demokratie“ schon gar nicht in Anspruch nehmen.
Für die „nationale Sicherheit“ der USA sei es von entscheidender Bedeutung, dass Israel in seinem Krieg gegen die Hamas und die Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland Erfolg haben, gibt Joseph Biden vor. „Wir können nicht zulassen, dass Terroristen wie die Hamas und Tyrannen wie Putin gewinnen“, so der US-Präsident.
Die Haltung Deutschlands zu internationalen Konflikten entspricht grundsätzlich dieser Vorgabe. Eben Kriegs-Bündnistreue. Innenpolitisch legt Deutschland nach. Mit restriktiven Maßnahmen gegen Andersdenkende. Mit Verboten, Disziplinierung und Strafen. Mit einer Atmosphäre der Einschüchterung und Denunziation. Mit Meinungsdiktatur statt Meinungsfreiheit. Deutschland muss „kriegstüchtig“ werden, verkündet der Kriegsminister. Wer gegen diese Politik ist, macht sich verdächtig, wer gegen Israels Rassismus ist, wird als Antisemit diffamiert.
Räson bedeutet Vernunft. Was für ein Irrsinn. Die Macht habende Unvernunft ruft zur Staatsvernunft auf.
Das Gebot der Stunde ist ein sofortiges bedingungsloses Schweigen der Waffen. Verhandlungen über Sicherheit und gleiche Rechte aller im Nahen Osten wie auch in Europa – sich dafür einzusetzen, wäre deutsche Staatsvernunft.
Es wird Zeit, dass das Volk die Unvernünftigen, die Kriege führen und unterstützen, zur Räson bringt, zur Staatsräson zwingt.
Hans Bauer ist Vorsitzender der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH) e.V.
und Beiratsmitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes.
Bild oben: Israel-Solidaritätskundgebung auf dem Pariser Platz in Berlin am 08.10.2023
Foto: Leonhard Lenz, CC0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138616670