Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Ist die Wahrheit nicht gemeinnützig?

Wie ein Finanzamt gegen einen Hilfsverein vorgeht

Das Finanzamt Eberswalde, das seit vergangenem Jahr daran arbeitet, dem Hilfsverein „Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe“ die Gemeinnützigkeit zu entziehen, hat das nächste Schriftstück geliefert, warum das seiner Ansicht nach so rechtens wäre.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 21.10.2023 auf RT DE

Der Kampf des Finanzamts Eberswalde gegen den Hilfsverein „Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e.V.“ geht weiter. Der Verein leistet seit Jahren humanitäre Hilfe, in den Donbass, aber auch in andere Kriegsgebiete. Nun wurde der Einspruch gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit zurückgewiesen; der Bescheid liegt uns vor.

Wer die Erwartung hatte, dass sich das Finanzamt auch nur ansatzweise mit den rechtlichen Fragen, die sich in diesem Thema verbergen, befasst, wurde durch diese Entscheidung schwer enttäuscht. RT hatte über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit damals berichtet. Begründet wurde das mit einigen Reden der Vorsitzenden Liane Kilinc; insgesamt fünf Reden und einem Veranstaltungsaufruf im Verlauf von drei Jahren.

Die Reden werden dem Verein als politische Tätigkeit zugerechnet, weil diese Reden auch auf der Webseite des Vereins dokumentiert wurden. Eigentlich macht es aber einen Unterschied, ob die Vorsitzende eines Vereins eine Rede im Namen und im Auftrag des Vereins hält, also als Folge eines entsprechenden Beschlusses des Vereinsvorstands, oder ob die Person, die eine Rede hält, außerdem auch Vorsitzende eines Vereins ist.

Das ist keine neue Erfindung; diese Unterscheidung ist im Zusammenhang mit allen Ämtern, sprich, jeder Form von Auftragstätigkeit wichtig. Sonst dürfte beispielsweise kein Oberbürgermeister auf irgendeiner Parteiveranstaltung eine Rede halten, weil die Stellungnahme für eine Partei eben nicht zum Amt eines Oberbürgermeisters passt. Wäre dem aber so, würde jedes Amt – wie in diesem Fall der Vorsitz in einem Verein – dazu führen, dass die Person ihr Recht verliert, sich politisch zu äußern. Das ist aber mit den Grundrechten nicht vereinbar.

Auf den konkreten Fall der Rede einer Vereinsvorsitzenden angewandt, käme es also zum einen darauf an, ob durch einen entsprechenden Beschluss belegt ist, dass ein solcher Auftritt im Auftrag des Vereins und damit in der Funktion als Vorsitzende erfolgte. Und zum anderen, ob das, was als „politische Tätigkeit“ betrachtet wird, tatsächlich in irgendeiner Weise im Konflikt mit den gemeinnützigen Zielen des Vereins steht.

Interessant an der Argumentation des Finanzamts Eberswalde ist nun, dass ihm ein halbes Wort durchrutscht. Es gibt nämlich einen Erlass des Finanzministeriums, der in Folge der Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac entstand, in dem es heißt:

„Es ist einer steuerbegünstigten Körperschaft gleichwohl gestattet, auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt.“

Das Finanzamt Eberswalde gibt sich große Mühe, diesen Satz misszuverstehen; das gelingt nur, indem man aus dem Wort „parteipolitisch“ das Wort „politisch“ macht. Wenn man die Formulierung des Ministeriums als Normalsterblicher liest, heißt es, ein gemeinnütziger Verein kann sich sehr wohl zu konkreten politischen Fragen äußern, aber nicht in den Bereich einer Aussage geraten, die dann lautet: „Und deshalb wählt oder unterstützt die Partei XY.“ Es gibt diese ganze wuchernde grüne Landschaft, die stetig höchstens um einen Millimeter an dieser Aussage vorbeirutscht.

Wie lautet nun der Vorwurf gegen Liane Kilinc, aus dem der Verstoß gegen die Gemeinnützigkeit abgeleitet wird?

„In ihren dort [etwa auf dem Festival Pax Terra Musica] gehaltenen Reden übt die Vereinsvorsitzende Liane Kilinc harsche Kritik an der Solidarität mit der Ukraine und den daraus folgenden Preissteigerungen für Heizung und Lebensmittel, die dazu führten, dass man friere und sich fragen müsse, ob im Winter noch das Essen bezahlt werden könne. Des Weiteren verbreitete sie darin die These, die Menschen würden belogen, wenn man behauptete, Russland hätte einen Krieg begonnen. Russland habe nur die eine Möglichkeit gehabt, die Vereinbarungen des Minsker Abkommens umzusetzen, nämlich einen Einmarsch in die Ukraine, um so den Krieg gegen den Donbass zu beenden. Darüber hinaus bezichtigte Liane K. die NATO, einen Krieg gegen Russland vorbereitet zu haben und Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock warf sie vor, sich entgegen der öffentlichen Darstellungen in keiner Weise um Frieden in der Ukraine bemüht zu haben.“

Nun ist die Frage nicht, ob diese Aussagen dem Finanzamt Eberswalde gefallen. Der interessante Punkt hierbei ist das Wort ‚parteipolitisch‘. Die Eingliederung der Krim nach Russland nicht als Annexion zu werten? Das ist zweifelsfrei eine politische Aussage. Allerdings vergisst das Finanzamt Eberswalde, zu verraten, welche Partei all diese Positionen vertritt. Abzug der US-Truppen aus Deutschland? Ein Ende der Bundeswehreinsätze im Ausland? Alles politische Positionen, nur die Partei, für die damit geworben worden sein soll, muss sich bisher gut verborgen gehalten haben. Vielleicht weiß da das Finanzamt Eberswalde mehr als gewöhnlich politisch informierte Deutsche. Fest steht jedenfalls: Wenn es keine solche Partei gibt, kann das auch keine parteipolitische Aussage sein.

Besonders hübsch wird die Wortakrobatik der Eberswalder beim Thema des Putsches in Kiew 2014.

„Die u.a. von der EU und weiteren westlichen Staaten anerkannte Regierungsneubildung nach den Unruhen im Jahr 2014 wird dagegen als ‚illegitime Machtübernahme‘ und ‚Beseitigung der legitimen Regierung‘ eingeordnet, die nachfolgende Regierung als ‚Putschistenregierung‘ bezeichnet und demokratische Wahlen nicht als solche anerkannt.“

Dieser kreative Schub ist bestimmt keine eigenständige Erfindung des Finanzamts Eberswalde. Das riecht regelrecht nach einer ministeriellen Vorlage. „Regierungsneubildung nach Unruhen“. So nennen diese Leute sicher auch den Putsch in Chile 1973.

Nun, Juristen wissen eigentlich, dass die Arten, wie eine Regierung legitim wechseln kann, üblicherweise in der Verfassung stehen. Das, was in Kiew 2014 passiert ist, war so in der ukrainischen Verfassung nicht vorgesehen. Egal, wie man es dreht und wendet, technisch bleibt das ein Putsch. „Regierungsneubildung nach Unruhen“ besagt immer noch dasselbe – die Ersetzung einer legitim gebildeten Regierung durch eine illegitim gebildete. Aber es klingt so, als sei das eine ganz andere Sache. Vielleicht sollten demnächst alle Deutschen, denen Umsturzpläne unterstellt werden, auch sagen, es ginge ihnen letztlich doch nur um eine „Regierungsneubildung nach Unruhen“…

Wie gesagt, sowohl mit der Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte von Personen, die außerdem noch Funktionen in einem gemeinnützigen Verein erfüllen, als auch mit der des Unterschieds zwischen „politisch“, „tagespolitisch“ und „parteipolitisch“ ist das Finanzamt Eberswalde grenzenlos überfordert.

Nach wie vor wird die Frage nicht beantwortet, wie ein Verein denn Hilfsleistungen für die Bevölkerung im Donbass organisieren können soll, wenn die Berichterstattung über die Probleme dort als verbotene politische Tätigkeit gewertet wird. Natürlich muss man, wenn man Spenden für die Menschen dort werben will, erzählen, was dort geschieht. Und es ist gerade die Tatsache, dass die deutsche Politik den Bürgerkrieg in der Ukraine fast neun Jahre lang weitgehend ignoriert hat, die dazu zwingt, die Vorgeschichte und die Hintergründe mit einzubeziehen. Denn ja, wenn man eine Spende haben will, um das Dach einer Schule neu zu decken, das durch den Beschuss durch die ukrainische Armee zerstört wurde, oder der Verein, wie erst vor kurzem, einen neuen Transporter für die Auslieferung der Hilfe kaufen muss, weil der vorhandene von Streumunition getroffen wurde, antwortet jeder, der sich nur durch „Tagesschau“ & Co. informiert, erstaunt: „Welcher Beschuss? Wer schießt denn da auf wen?“

Anders gesagt: Ohne diese, nach Meinung des Finanzamts unangebrachte, politische Stellungnahme ist es gar nicht möglich, die humanitäre Hilfe zu leisten, denn ohne Spenden keine Hilfe, so einfach ist das. Würde die deutsche Politik auf einmal eine Kehrtwende machen und davon sprechen, dass die Kinder beispielsweise in der Stadt Gorlowka seit 2014 viel Zeit in Kellern verbrachten, weil ukrainische Geschosse auf die Stadt niedergingen, dann wären all diese Erläuterungen überflüssig. Der Verein müsste nicht länger politische Aussagen machen, die dem Finanzamt (oder dem Ministerium oder der Bundesregierung) nicht gefallen. Wenn aber diese Aussagen – und zwar unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, den die Vorsitzende des Vereins mit akribischer Genauigkeit belegen könnte – nach Ansicht des Finanzamts verboten sind, dann heißt es logischerweise auch, dass die Hilfen für den Donbass selbst verboten sind. Denn ohne die Information keine Spenden, ohne Spenden keine Hilfe.

Natürlich ist das das wahre Ziel des ganzen Spektakels. Nicht nur, eine mögliche Informationsquelle für die Vorgeschichte des vermeintlich „unprovozierten russischen Angriffskriegs“ zum Verstummen zu bringen, sondern auch, jede Unterstützung für die Bewohner des Donbass zu beenden. Die ganzen Verrenkungen wegen fünf Reden in drei Jahren dienen nur diesem Zweck.

Leider hat das Finanzamt Eberswalde seine verbale Kreativität nicht auch auf die eigene Tätigkeit angewandt; es wäre nett, wenn es dafür einen ähnlich hübschen Euphemismus gäbe wie „Regierungsneubildung nach Unruhen“. Vielleicht „die Wahrheit ist nicht gemeinnützig“?

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: Foto des zerschossenen Transporters des Vereins Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e.V., Oktober 2023
© Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e.V.
Quelle: RT DE und fbko.org