Sieg des Widerstands oder ausgeklügelter Coup Israels?
Kommentar vom Hochblauen
Von Evelyn Hecht-Galinski
Erstveröffentlichung am 10.10.2023 im Blog Sicht vom Hochblauen
Was unbedingt gesagt werden muss und nicht gewollt wird: ich sehe mich gezwungen es auszusprechen – gegen alle Widerstände! Warum soll es Menschen auf deutschem Boden verboten werden, sich mit den nach Freiheit strebenden Palästinensern zu solidarisieren, die es wagten, den Grenzzaun nach Israel zu durchbrechen und für ein Ende der illegalen Besatzung zu kämpfen? Wenn die palästinensische Gefangenenorganisation Samidoun bei diesen Demonstrationen Backwaren verteilt, um den „Sieg des Widerstands“ zu feiern und die Freilassung auch für die Tausenden von palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen zu fordern, dann ist das durchaus verständlich. Aber schon fordern Politikerinnen wie die grüne Innenexpertin Irene Mihalic und die „Antonio-Amadeo-Stiftung“ ein Verbot dieser wichtigen Organisation zu prüfen. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit „internationalem Antisemitismus“ zu tun, sondern es geht um einen Freiheitskampf für ein Ende der illegalen Besatzung.
Sofort denken Berlin und Brüssel daran, die Palästinenser-Hilfe einzufrieren, obwohl die Menschen auf diese Hilfsgelder angewiesen sind. Humanitäre Hilfen sollen zwar weiter gezahlt werden. Aber sind das nicht Gelder, die eigentlich vom „jüdischen Staat“ gezahlt werden müssten, vom Besatzer an die Besetzten, nach Regeln der Genfer Konvention. So aber unterstützen wir die illegale Besatzung Palästinas. Tatsächlich wäre es allerdings endlich an der Zeit, die BDS-Bewegung zu unterstützen, um ein Ende der Besetzung Palästinas zu erreichen. So aber treibt die Hoffnungslosigkeit junge Palästinenser in die letzte Verzweiflung. Schließlich haben sie nichts zu verlieren in dieser Trostlosigkeit und diesem Elend ohne Aussichten auf eine bessere Zukunft.
Wo bleiben Forderungen nach härterem Vorgehen gegen „jüdischen Staatsterror“?
Bundespräsident Steinmeier beklagt, dass „wer diesen Terror bejubelt, nicht nur die Opfer entwürdigt, sondern auch die Verfassung mit Füßen tritt“. Gegenfrage, wird die Verfassung nicht „mit Füßen getreten“, wenn jüdischer Staats- und Siedlerterror, wenn illegale Besatzung und Apartheid deutsche Unterstützung findet? Der ehemalige Bundespräsident Gauck fordert ebenfalls ein härteres Vorgehen gegen Hamas-Sympathisanten, haben die Politiker jemals ein härteres Vorgehen gefordert, wenn es um „jüdischen Staatsterror“ und deren Sympathisanten ging? Wie schrieb Gideon Levy so treffend: „Israel kann nicht 2 Millionen Menschen in Gaza gefangen halten, ohne einen grausamen Preis dafür zu bezahlen.
Das Existenzrecht Israels sei „durch nichts zu relativieren“, sagt die SPD-Vorsitzende Saskia Eskens, vergisst aber, dass dieser „jüdische Staat“ nur als Staat mit Grenzen und ohne illegale Besatzung ein Existenzrecht hat. Wenn auch noch der Zentralrat der Muslime massiv von Politikern wie dem grünen Landwirtschaftsminister Özdemir und dem grünen BW Finanzminister Bayaz und dem CDU- Präsidiumsmitglied Jens Spahn für ihre Erklärung angegriffen werden, in der es sehr richtig heißt: „Zutiefst verstörend ist, dass Siedler flankiert durch die israelische Armee seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die Al-Aksa-Moschee angreifen, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingreift“. Der Zentralrat der Muslime hat damit eine sehr besonnene Erklärung herausgegeben, während ich bei Erklärungen des Zentralrats der Juden jegliche Kritik an der Besatzung vermisste und keinerlei Empathie für die Palästinenser las.
Glücklicherweise gibt es jüdische Bürger und Hilfsorganisationen in Israel, die versuchen, Palästinenser vor jüdischen Extremisten Siedlern zu schützen! Während Eriträer auf deutschem Boden demonstrieren und Polizisten verletzten, Ukrainer ungehemmt demonstrieren, soll Palästinensern und Unterstützern dieses Recht genommen werden, hier „Jubelfeiern“ zu veranstalten.
Wo bleibt das in palästinensischen Farben angestrahlte Brandenburger Tor?
Natürlich kommt es bei solchen Kämpfen zu brutalen und unschönen Bildern von Toten und Verletzten. Aber wie oft mussten wir solche Bilder sehen, wenn die „jüdische Besatzungsarmee“ palästinensische Gebiete angriff, Gazakriege anzettelte, ohne Rücksicht auf Zivilisten oder Menschenleben wahllos bombte und mordete? Erlebten wir jemals Empathie, mit den Besetzten? Nein immer nur Mitleid und Solidarität mit den jüdischen Besatzern. Sahen wir jemals ein Brandenburger Tor, angestrahlt in den palästinensischen Farben? Nein dieses Zeichen gab es nur für den „jüdischen Staat“ und die Ukraine.
In meinem Bundesland Baden-Württemberg gab es sogar eine Trauerbeflaggung für die israelischen Opfer und eine Beflaggung mit der David-Stern Flagge, dem Symbol der illegalen Besatzung Palästinas. Darf man das nicht kritisieren? Diese Einseitigkeit der deutschen Unterstützung für den „jüdischen Staat“ und die Ukraine ist beispiellos und zeugt von einer Geschichtsvergessenheit, die durch nichts zu entschuldigen ist.
Nicht die Palästinenser haben den Holocaust und die deutschen Verbrechen begangen! Sie aber müssen dafür büßen bis zum heutigem Tag. Denn wir unterstützen den „jüdischen Besatzer-Apartheidstaat“ mit allen Konsequenzen und deutscher „Staatsräson“ Schon hinterfragen deutsche Medien diesen Begriff, ob dieser nicht nur eine Floskel wäre? Sie wollen Israel nicht nur „mit warmen Worten abspeisen“. Ja was wollen sie eigentlich? Sollen wir die Bundeswehr in den meist hochgerüsteten Staat des Nahen Ostens schicken? Schlimm genug, dass Deutschland so vorbehaltlos Israel und die Ukraine unterstützt, ohne die Hintergründe zu berücksichtigen, die zu diesen Kriegen und Angriffen führten?
Unerträgliche Verhöhnung des Holocaust und seiner Opfer
Wenn jetzt vom israelischen Staatspräsidenten Herzog nicht einmal davor zurückgeschreckt wird, diesen Hamas-Angriff als „schlimmsten Mord an Juden seit dem Holocaust“ zu missbrauchen und genau dieser Missbrauch im DLF-Morgen-Interview vom SPD-Mann Roth wiederholt wird, dann ist das eine unerträgliche Verhöhnung des Holocaust und seiner Opfer. Dazu noch Aussagen wie: „Wir müssen jetzt Israel freie Hand lassen.“ Israel müsse endlich die Infrastruktur der radikal-islamischen Hamas zerstören, denn die wolle keine Zwei-Staaten-Lösung, sondern Israel zerstören, sagt SPD-Außenpolitiker Michael Roth. Deutschland müsse fest an Israels Seite stehen.
Wie sagte mein jüdischer US-Freund in Israel Steeve von „Desertpeace“ zu mir: wir veranstalten fast täglich eine „Kristallnacht“ bei den Palästinensern und die Welt schweigt. Ja, bei der Wortwahl der Berichterstattung fängt es an, bemängelt die FAZ im Feuilleton vom 9. Oktober, „nicht jedem Reporter gelingt es, von Terroristen zu sprechen, wenn z.B. im ARD-Brennpunkt von „palästinensischen militanten Kämpfern“ die Rede ist. Ganz falsch: ich bemängle, dass immer wieder das Wort „militant“ benutzt wird, wenn es um palästinensischen Widerstand geht, aber niemals im Zusammenhang mit jüdisch-israelischem Staats oder Siedlerterror!
Die Krone der Kritik war dann der Vorwurf am ZDF und dem Nahostexperten Michael Lüders, der es wagte, „weitgehend emotionslos“ von einer „Schlappe des israelischen Militär-Establishments“ und aus Sicht der Hamas von einem „Erfolg“ zu sprechen, und davon, dass die israelische Politik der „vollständigen Entrechtung und Unterdrückung der Palästinenser, die Kritiker als ‚Apartheid’ bezeichneten, gescheitert“ sei. Damit hat Lüders sehr richtige Tatsachen aufgezählt, die voll zu unterstreichen sind. So wird systematisch jeder Sympathisant, Experte oder Journalist kritisiert. Sie müssen sogar – wie das Beispiel von Journalisten zeigt – um ihre Posten fürchten müssen, wenn sie eine „eigene“ Meinung und Sicht der Dinge vertreten, die aus dem „Main-Stream“ ausschert, wenn es um die Politische Korrektheit zu Israel und der Ukraine geht.
Aktion „Al Aksa-Flut“ ein ausgeklügelter Coup im Interesse Israels?
Ich frage mich inzwischen, ob die Hamas-Aktion „Al Aksa-Flut“ wirklich so überraschend kam für die Regierung und Geheimdienste Israels, sondern ein ausgeklügelter Coup war, um Netanjahu und Biden innenpolitisch zu stabilisieren und abzulenken von Korruption, „Impeachment“ und im Hinblick auf die US-Wahlen. Netanjahu kann sich als Kriegsmanager und Chef einer Einheitsregierung ohne lästige Siedler und Orthodoxe zeigen. Alle Oppositionspolitiker sitzen wieder auf der Regierungsbank. Die Demonstrationen gegen die Justizreform haben schlagartig aufgehört. Eine Einladung ins Weiße Haus ist sicher, und die internationale Unterstützung gewiss. So wären mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Angesichts des Krieges haben die USA Kriegsschiffe und zusätzliche Waffen bereitgestellt, Gaza und die Hamas können ein für allemal plattgemacht werden und der Kampf gegen „menschliche Tiere“, wie der israelische „Kriegsminister“ galant meinte, gewonnen werden. Was scheren da die Opfer oder Geiseln, wenn es um das Wohl gewisser Politiker geht. Wenn jetzt noch die Bodenoffensive kommt…
Mein Albtraum aber ist, dass mit der Mobilmachung von 300.000 Reservisten der „Jüdischen Verteidigungsarmee“ und der US-Unterstützung mit Kriegsschiffen und neuen Waffen, ein Krieg gegen Libanon oder/und Iran bevorsteht. Schließlich kann Israel nur in Kriegszeiten inneren Frieden erreichen. Hoffentlich irren sich mein Mann und ich mit diesem Gedankenspiel. Aber die Diskussionen werden noch kommen. (1)
Das war ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit, auch und gerade, wenn es um Israel und die Ukraine geht!
Evelyn Hecht-Galinski ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Fußnote:
Auch veröffentlicht in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ), Ausgabe 820 vom 11.10.2023 unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28809
Bild oben: pixabay.com / hosny_salah / Pixabay License