Politische Skrupellosigkeit
Kommentar vom Hochblauen
Von Evelyn Hecht-Galinski
Erstveröffentlichung am 05.09.2023 im Blog Sicht vom Hochblauen
Mit Fassungslosigkeit beobachte ich die aktuelle deutsche Politik und ihre Akteure. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass wir nochmals gegen Russland Krieg führen. Ja, wir führen Krieg gegen Russland! Wir – unsere Politiker wollen uns zwar Glauben machen, dass wir nicht im Krieg gegen Russland stehen, sondern Russland gegen die Ukraine. Aber kann man sich freisprechen von Kriegsteilnahme, wenn man so aktiv wie wir die Ukraine mit Waffen und Milliarden unterstützt? Was unterscheidet uns denn noch von Krieg, stehen wir nicht schon an der Schwelle zu einem weit schlimmeren Krieg? Wie lange kann und wird Russland und Putin noch zusehen, wenn die Ukraine dank westlicher Unterstützung immer mehr nach Russland eindringt und auch vor terroristischen Aktivitäten nicht zurückschreckt?
Deutsch-russische Beziehungen ruiniert
Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass eine grüne, „russophobe“ Außenpolitik unter Leitung von Annalena Baerbock die deutsch-russischen Beziehungen so ruiniert. Hatte AA Baerbock nicht schon früh von Ruinierung Russlands gesprochen und auch schon im Mai 2022 vor „Kriegsmüdigkeit“ gewarnt? Wollte sie nicht Putin für „Urverbrechen“ bestrafen? Ist es wirklich eine Verteidigung der Ukraine und ihr „verbrieftes Recht in der UN-Charta, sein Land und seine Menschen zu verteidigen“, wie Baerbock das vollmundig erklärt? Sie schreckte auch nicht davor zurück, „Drohnen auf Moskau“ zu befürworten, als ukrainisches Recht auf Verteidigung.
Unter ihrer und Ampel-Führung wird Deutschland voll unter „US-Kommando“ gebracht. Diese Ampel tut alles dafür, dass die Ukraine zu einem militärischen Vorposten der USA und der Nato ausgebaut wird. Es scheint, dass man es hier in der Regierung und auch der Opposition als „Befreiungsschlag“ sieht, sich von Russland zu „befreien“ und sich voll unter US- und Nato-Führung zu begeben. Was das für die deutsche Bevölkerung bedeutet, erleben wir jetzt. Eine teure und ungewisse Zukunft, voller grün-rot-gelb-schwarzer Versprechungen, die mitnichten nachvollziehbar sind.
Ja, es ist diese politische Skrupellosigkeit mit der diese „Zeitenwende“ durchgezogen wird, mit falschen Aussagen, Vorhersagen und einseitig auf Ukraine-Unterstützung und Krieg gebracht. Was sich schon vor Jahren abzeichnete, nämlich „eine Braunfärbung der grünen Partei“, wie ich einen meiner Kommentare titelte, ist mittlerweile zur „Modefarbe“ deutscher Kriegs-Unterstützungs-Politik geworden.
Doppelstandards westlicher Sanktionen
In „guter deutscher Tradition“ und Dreistigkeit warf AA Baerbock Putin vor, „Hunger als Waffe“ einzusetzen, während sie strenge Sanktionen gegen Länder wie aktuell Niger befürwortet und damit genau das unterstützt, nämlich Hunger als Waffe zu benutzen. Diese Doppelstandards westlicher Sanktionen und Bestrafungen gegen ärmste Länder hat ebenfalls Tradition – alles, um weiteren Einfluss zu verlieren und Gier nach fehlenden Rohstoffen zu befriedigen. Während also Putsche, die nicht unter eigener westlicher Regie stattfanden, geahndet werden sollen, wenn möglich auch durch Kriege, werden „Westliche-Werte“-Putsche zu demokratischen Willensäußerungen „hochgeschönt“.
Hat AA Baerbock eigentlich eines der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs – die Leningrader Blockade zwischen September 1942 und Januar 1944 – vergessen? Hitler persönlich hatte diese Blockade angeordnet, die Leningrad fast zweieinhalb Jahre blockierte. In dieser Zeit starben und verhungerten über eine Million Menschen in Leningrad. Hitler und sein Oberkommando der Wehrmacht beschlossen: Leningrad wird nicht erobert, sondern nur eingeschlossen und ausgehungert. So war sein Kalkül, 2,5 Millionen Russen nicht ernähren zu müssen und stattdessen ausgehungert zu eliminieren und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Das war ein Genozid – offiziell so eingestuft – und der von Putins Familie erlebt und erlitten wurde und ihn für sein Leben geprägt hat.
Wenn also AA Baerbock leichtfertig und völlig einseitig von Kriegsverbrechen und Genoziden spricht, aber z.B. ukrainische Morde an Russen im Donbass unerwähnt lässt. Sieht also die deutsche „Werte“-Außenpolitik so aus, Waffenlieferungen und gute Beziehungen zu fragwürdigen Diktaturen und Faschisten zu fördern, dann ist das rot-grün verlogen, dass es mir die Scham- und Wut-Röte ins Gesicht treibt.
Hass gegen Russland
Hatten wir nicht gerade den 1. September – den Anti-Kriegstag? In Erinnerung an den Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen? Erlebten wir an diesem Tag ein offizielles Gedenken von den Spitzen des Staates – Bundespräsident und Bundeskanzler? Scholz besuchte lieber das DLR und ESA und stand neben Astronauten in der Raumstation. Während Steinmeier in Paris weilte und mit Macron dinierte.
Umso politisch skrupelloser erscheint es mir, wenn nur 84 Jahre nach dem so genannten Unternehmen Barbarossa – einem Raub- und Vernichtungskrieg gegen die UDSSR, der erst mit der Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 und etwa 27 Millionen sowjetischen Kriegstoten endete – erneut Sanktionspakete und medialer und politischer Hass gegen Russland geschürt wird. Ein Konflikt der durch einen Putsch im Jahr 2014 begann und erneut mit den „ideologischen Nachfahren der deutschen Nazis“ (Patrick-Lawrence) fortgeführt wird.
Schon einmal arbeiteten deutsche Faschisten mit ukrainischen Nationalisten (OUN) zusammen, die tatkräftig den Deutschen Faschisten bei der Ermordung vieler Tausend Juden halfen. Vergessen wir niemals, dass von den insgesamt 6 Millionen im Holocaust ermordeter Juden 1,5 Millionen Juden aus der Ukraine kamen. Umso unverständlicher erscheint es mir, dass es Juden gibt, die die Ukraine unterstützen und die Befreier von Auschwitz, Rotarmisten und Russen bekämpfen.
Gemeinsame Sache mit Nazikollaborateuren und Massenmördern
Während seit dem Putsch 2014 Nazikollaborateure und Massenmörder wie Bandera, sowie Nazi-Asow-Bataillone wieder Straßen und Denkmäler bekommen, soll Russlands Kultur und alles Russische in der Ukraine vernichtet werden. Ja, es macht mich fassungslos, mit welcher politischen Skrupellosigkeit über alles „Nazi-verdächtige“ hinweggegangen wird und wir diese Ukraine unterstützen, diesen korrupten Nazi-Staat, in dem mitnichten „unsere Freiheit verteidigt wird“. (1)
Wir brauchen wieder eine unideologische Außenpolitik, die wieder zu einem guten und nachbarschaftlichen Verhältnis mit Russland führt – nicht als US-Vasall und Anhängsel einer Macht und Hegemoniepolitik, die uns Verarmung und endgültigen Verlust aller Selbstbestimmung bringt. Fassungslos macht mich eine Ampelpolitik, die dank ihres Dilettantismus und Doktrinität eine AfD fördert, die nichts außer Kritik, aber keine Lösungen anbietet. Mit völkischem Denken ist weder Deutschland noch Russland gedient. Das hat uns schon einmal ins Elend geführt.
Wenn allerdings diese Ampel inklusive der Union weiter auf diese „Zeitenwende“ mit Ukraine-Unterstützung, Russlandhass und Wirtschaftsdesaster abfährt, dann sehe ich tatsächlich eine düstere Zukunft für uns alle voraus.
Wahlkampf in Bayern mit „Geschmäckle“
Auch brauchen wir einen anderen Umgang mit Politikern wie Hubert Aiwanger, der mit einem antisemitischen Flugblatt in der Tasche vor 36 Jahren, einem Mann, der – wie es scheint – seinen Bruder benutzt, der auch eilfertig half, sich als Schreiber ausgab, obwohl er nie laut Aussagen dem Gedankengut dieses ekelhaften Flugblatts, im Gegensatz zu Bruder Hubert nahe stand, aber schließlich bleibt es in der Familie. Die Wahrheit wird man leider nie erfahren mit dieser Art der „Erinnerungskultur“ (2)
Ekelhaft wie Hubert Aiwanger sich selbst als unschuldig und Opfer zu stilisieren und zu inszenieren versucht. Er, der weder Reue zeigt, kann unter seinen Bierzelt-Anhängern Honig saugen und sich als Popstar feiern lassen, aber er ist untragbar für eine politische Arbeit. (3) Warum zeigt er nicht den Anstand zurückzutreten. Weil er skrupellos politisch handelt und mit „Nicht Erinnerung“ versucht durchzukommen, nach Vorbild von deutschen „Blackout“-Kanzlern und -Politikern, die es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Schließlich weiß er einen CSU-Koalitionspartner hinter sich, der ihn nicht entlässt. (4)
Ja, es ist Wahlkampf in Bayern. Und den grün-roten Kontrahenten kommt dieses schmierigste aller Flugblätter gerade gelegen, kam es doch zur rechten Zeit. Alles hat ein „Geschmäckle“ – was allerdings Aiwanger ganz und gar nicht von Schuld oder Reue befreit. Aiwanger ist der Oberpopulist einer populistischen Einmannpartei. Man sollte ihm nicht noch medial begleitete Auftritte in KZ-Gedenkstätten oder bei jüdischen Funktionären geben. Im Deutschland der Opportunisten sind wir 2023 von Aufrichtigkeit weiter entfernt denn je zuvor. Es ist ein Land, in dem die politische Skrupellosigkeit regiert.
Evelyn Hecht-Galinski ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Fußnoten:
(1) https://www.jungewelt.de/artikel/443425.wir-werden-nicht-vergessen.html
(2) https://www.sueddeutsche.de/bayern/aiwanger-soeder-fragenkatalog-antworten-dokumentation-1.6190239
Auch veröffentlicht in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ), Ausgabe 818 vom 06.09.2023 unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28763
Bild oben: pixabay.com / FelixMittermeier / Inhaltslizenz