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Berliner Nibelungentreue oder: Die Ukrainer dürfen uns auch die Pipelines sprengen

Erst Bundesinnenministerin Nancy Faeser, jetzt ausführlichst der Spiegel – sie legen sich darauf fest, dass die Ukraine Nord Stream gesprengt hat. Und dann tun sie auch noch so, als wäre das gar kein Problem, und liefern weiterhin Waffen an ein Land, das damit eigentlich den Krieg erklärt hat.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 29.08.2023 auf RT DE

Da hat er aber ordentlich ins Budget gegriffen, der Spiegel, um seine neueste Version von „die Ukraine war’s, aber natürlich irgendwie doch nicht“ zu verfassen – einschließlich Reisekosten nach Moldawien und Polen und Miete für das vermeintlich genutzte Boot Andromeda.

Damit auch alles aufgeht, muss man natürlich die Vorgeschichte der Nord-Stream-Pipelines verschweigen. Schließlich war schon der Grund für den Bau von Nord Stream 1 die Tatsache, dass die damalige ukrainische Regierung eine Erneuerung der durch die Ukraine führenden Pipeline abgelehnt hatte, weil an dem Konsortium, das dies komplett finanziert hätte, auch Russland, genauer gesagt Gazprom beteiligt war, und in den Jahren zuvor die vorgenannte Pipeline sowohl illegal angezapft als auch gerne mal als Erpressungsinstrument seitens der Ukraine gebraucht worden war.

Auch die vielfältigen Beteuerungen seitens mehrerer US-Politiker, eingeschlossen US-Präsident Joe Biden, man werde eine Nutzung von Nord Stream 2 nicht zulassen, mussten heruntergespielt werden, denn in dem viele Seiten umfassenden Text geht es darum, die These, es habe sich um eine kleine ukrainische Sabotagemannschaft gehandelt, mit etwas Fleisch zu versehen. Da sollten andere Informationen nicht in die Quere kommen.

Die Ermittlungen von Seymore Hersh, die eine US-Täterschaft bestätigten, werden in einem Satz abgetan. „Beweise für seine Thesen lieferte Hersh keine, wesentliche Teile seines Berichts erwiesen sich später als falsch.“ Nun, der Spiegel erhält mittlerweile die eine oder andere Spende der Bundesregierung, die hilft, das Blatt am Leben zu halten.

Zwischendrin wird ganz kurz immer wieder die eigentliche Frage angerissen, die das Thema so brisant macht, und um die die Bundesregierung seit bald einem Jahr – ja, so lange ist das inzwischen her – auf Zehenspitzen herumschleicht.

„Die Tat habe darauf gezielt, ‚die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen nachhaltig zu stören. Mit solch einem Vorgehen ist ein Angriff auf die innere Sicherheit des Staates verbunden‘. So formuliert es ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof im seither laufenden Verfahren gegen unbekannt.“

Kurz darauf wird erkennbar, wie sich die Truppe aus 18 Autoren gewunden haben muss. Es handelt sich um eine schriftliche Variante eines Schlangenmenschenauftritts im Varieté.

„Wenn es ein russisches Kommando war, gilt der Anschlag dann als kriegerischer Akt? Immerhin: Laut Nato-Artikel 5 kann ein Angriff auf die kritische Infrastruktur eines Nato-Landes den Bündnisfall auslösen. Wenn es hingegen die Ukraine war, darf man das Land noch mit Panzern oder gar Kampfjets unterstützen? Und wenn gar die Amerikaner beim Anschlag geholfen haben sollten, sind dann 75 Jahre transatlantische Partnerschaft zerstört?“

Feinste Verbalakrobatik, die die Aufmerksamkeit des Lesers geschickt ablenkt. Denn warum sollte es sich nur dann um einen kriegerischen Akt handeln, wenn es „ein russisches Kommando war“? Tatsächlich muss man auf diese Variante bezogen gar nicht mehr über das ganze Ereignis wissen, als dass die Bundesregierung seit einem Jahr Mäuschen spielt, um sich darüber im Klaren zu sein, dass es selbst unter Anstrengungen nicht möglich war, die Nummer Russland in die Schuhe zu schieben.

Warum aber wird eine Handlung, die immerhin nach Aussage des Ermittlungsrichters darauf abzielt, „die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen nachhaltig zu stören“, dann, wenn sie von den USA oder der Ukraine begangen wird, plötzlich nicht mehr zum kriegerischen Akt?

Tatsächlich bedeutet eine solche Handlung, auch seitens der USA oder der Ukraine, dass sich Deutschland mit den Auftraggebern im Krieg befindet. Das ist keine Frage einer Erklärung, keine Frage des Wollens, sondern die Feststellung einer Tatsache. Denn seit die Zeiten der formellen Kriegserklärungen vorüber sind, ist Krieg ein Zustand, der als Folge einer bestimmten Qualität von Handlungen eintritt. Sicher gibt es historisch auch eine Reihe von Fällen, in denen das vermeintlich angegriffene Land selbst für diesen Zwischenfall gesorgt hat, siehe Golf von Tonkin, aber dass ein Land gegenüber einem anderen eine Handlung begeht, die unverkennbar die Kriterien für einen kriegerischen Akt erfüllt, und dieses andere Land daraufhin so tut, als sei nichts gewesen, das dürfte eine weltgeschichtliche Innovation sein.

Ein Akt, der immerhin jeden einzelnen Deutschen einen deutlichen Verlust an Lebensstandard einbrachte und dafür sorgte, dass Büros und Schulräume im vergangenen Winter nur noch auf begrenzt menschenfreundliche Temperaturen geheizt wurden. Ignorieren wir einmal, dass das grüne Wahnsinnige wie Wirtschaftsminister Habeck auch noch freute, sondern nehmen nur einmal schlicht zur Kenntnis, dass dieses spezifische Exemplar eines kriegerischen Aktes nachweislich Folgen für jeden einzelnen Bewohner des Landes hatte, wäre im Gegensatz dazu etwa die Versenkung einer Bundeswehrfregatte geradezu folgenlos.

Es habe Vorwarnungen gegeben, wurde nun auch im Spiegel-Artikel erwähnt. Und dann kommt eine Aussage, von der man nicht weiß, ob sie nicht Untätigkeit und Dummheit vorschiebt, um Verrat zu übertünchen:

„Der Bundesnachrichtendienst gibt die Hinweise an das Kanzleramt weiter, doch in der Regierungszentrale werden die Schreiben als nicht relevant betrachtet. Denn sie liegen dort erst vor, nachdem das Nato-Manöver zu Ende gegangen ist. Und nichts ist passiert. Man habe deswegen keinen Alarm mehr ausgelöst, sagt einer der wenigen, die damals von den Warnungen erfuhren. In der Sicherheitsbürokratie überwiegt die Ansicht, die Informationen seien falsch gewesen.“

Sollten diese Sätze der Wahrheit entsprechen, deuten sie auf eine noch tiefere Verblödung deutscher Sicherheitsorgane hin, als ich bisher jemals angenommen hatte. Als Folge jahrelangen Wertegeschwafels ist das nicht völlig auszuschließen, aber eigentlich gibt es für Sicherheitsbehörden keine „Freunde“, sondern schlicht nur andere Akteure mit anderen Interessen, die mit den eigenen übereinstimmen können oder auch nicht. Anders gesagt, dieses NATO-Manöver mit der dazugehörigen Anwesenheit von US-Schiffen in ebendieser Region ist eines der Ereignisse, bei denen die Sprengungen vorbereitet werden konnten. Die normale Reaktion wäre gewesen, danach sofort die Röhren zu überprüfen, und nicht, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun, weil das schließlich „Freunde“ gewesen seien.

Aber es gibt nun einmal jenen anderen Aspekt, den der Spiegel hier umgeht: Dass ein Schaden an der Pipeline zwar nicht im Interesse der Deutschen, aber wohl im Interesse der Bundesregierung gewesen sein könnte, die damit eine erstklassige Chance erhalten hat, irrwitzigste politische Pläne durchzusetzen, die andernfalls gescheitert wären – wie sich von US-amerikanischem Flüssiggas abhängig zu machen, wo doch jeder, der halbwegs mit der realen Geschichte, nicht der NATO-Propaganda, vertraut ist, weiß, dass gerade die Vereinigten Staaten ausgesprochen gerne erpressen. Sie sind schließlich das Vorbild, von dem die EU dieses Verhalten übernommen hat.

Überhaupt werden so einige Verdächtige in diesem Zusammenhang ganz beiläufig von jeder Schuld freigesprochen. Zwei kleine Beispiele:

„Er ruft Wirtschaftsminister Robert Habeck an. Der Vizekanzler ist damit der Erste im Bundeskabinett, der von dem Anschlag auf die Pipelines erfährt. Habeck soll, so ist zu hören, genauso überrascht gewesen sein wie Netzagentur-Chef Müller. Beide wussten offensichtlich nichts von den Warnungen Monate zuvor.“

Habeck ist schließlich genau die Person, der vermutlich so gut wie jeder zutraut, die Sprengung zumindest gebilligt zu haben. Wie praktisch, wenn erklärt wird, dass er von den Warnungen nichts gewusst habe.

Und dann sind da noch die Amerikaner selbst, die vermeintlich die Ukraine vor einer solchen Handlung gewarnt hätten.

„Washington wendet sich mit einer eindeutigen Botschaft an Kiew: Lasst es bleiben! Blast die Operation ab! Das berichten später ‚Zeit‘ und ‚ARD‘ als Erste. Doch womöglich dringen die Amerikaner damit nicht durch.“

Es ist schon seltsam, nicht? Ständig erklären die USA, dass sie Kiew von irgendetwas abraten würden, wie vom Beschuss russischen Gebiets – genauer gesagt, jenes russischen Gebiets, das nicht einmal vom Westen angezweifelt wird, wie Belgorod oder gar Moskau – und ständig machen die Ukrainer dennoch so weiter wie zuvor. Angesichts der Tatsache, dass die USA jederzeit den Geldhahn, von dem inzwischen die gesamte Fortexistenz des ukrainischen Staates abhängt, zudrehen könnten, eine völlig unerklärliche Reaktion.

Außer natürlich, man bezieht die Tatsache mit ein, dass trotz der fortgesetzten Zuwiderhandlungen besagter Geldhahn noch nicht einmal teilweise zugedreht wurde, sondern im Gegenteil immer weiter geöffnet, was für den intelligenten Beobachter die Frage aufwirft, ob hier die vermeintlichen Warnungen nicht schlicht eine Methode sind, seine Hände in Unschuld zu waschen, faktisch aber jeder Akt des Terrors gebilligt wird. Wer die ganze Entwicklung miterlebt hat, weiß, dass das bereits beim Massaker von Odessa der Fall war, das nicht die geringsten Folgen für die Regierung hatte, die daran beteiligt war.

Ein kleines Detail wird aus dieser mysteriösen Warnung noch zitiert, das andeutet, auf welche Weise man sich aus der politischen Bewertung herauswindet:

„Die Männer unterstünden dem Kommando des ukrainischen Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj, Präsident Wolodymyr Selenskyj sei hingegen nicht informiert.“

Allerdings, auch der Armeechef ist ein Funktionär des Staates, wenngleich man bei der Ukraine gerne so tut, als sei alles, was nicht der dortige Präsident persönlich getan habe, nichts, was dem Staat zuzurechnen sei. Diese Winkelzüge sind natürlich besonders wichtig, seit man sich auf die Ukraine als Hauptverdächtigen eingeschossen hat.

„Kaum jemand in der Hauptstadt will zu Ende denken, wie man sich gegenüber Kiew verhalten müsste, wenn eine Beteiligung staatlicher ukrainischer Stellen nachgewiesen würde. Einerseits könnte Deutschland schlecht ein solch schwerwiegendes Verbrechen einfach abhaken. Aber die Unterstützung für die Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland einzustellen wäre auch keine Option.“

Nun, die „klassische“ Reaktion sähe ganz anders aus. Tun wir einfach so, als wäre die Ukraine-These Realität. Wie hätte sich eine noch normal funktionierende deutsche Regierung in diesem Fall verhalten?

Das Minimum wäre gewesen, mit Auftauchen des Verdachts sofort sämtliche Leistungen an die Ukraine vorerst einzustellen, den Botschafter einzubestellen und ihm die schriftliche Aufforderung zu übergeben, sämtliche Beteiligte umgehend zu ermitteln und an die deutschen Behörden auszuliefern. Selbstverständlich dürften sie ebenso Material liefern, das sie entlastet, aber eine Fortsetzung der Beziehungen auf der bisherigen Basis wäre nicht möglich. Auch in der EU hätte eine normale deutsche Bundesregierung darauf hingewirkt, die Unterstützung vorerst auszusetzen.

Das ist die milde Variante. Die weniger milde würde auf der Tatsache beruhen, dass es sich de facto, das kann man nicht oft genug betonen, um einen Kriegszustand handelt, der durch besagte kriegerische Handlung eingetreten ist. Die Konsequenz wäre zuerst die sofortige Ausweisung des ukrainischen Botschafters und ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der zweite Schritt würde darin bestehen, öffentlich zu erklären, dass man sich infolge dieser Handlung nun mit der Ukraine im Krieg befinde, und die Verbündeten dann dazu aufzufordern, in diesem Krieg – entsprechend Artikel 5 des NATO-Statuts – beizustehen, oder, falls diese Verbündeten dazu nicht bereit seien, die NATO zu verlassen.

Die Reaktion der Bundesregierung entspricht da eher (und es ist eigenartig, dass gerade dieses Muster so häufig auftaucht) einer missbräuchlichen Beziehung, einer misshandelten Ehefrau, die zu ihrem Peiniger zurückkehrt, weil er sie doch so sehr liebt. Mit einem blauen Auge, einem gebrochenen Arm und drei gebrochenen Rippen.

Was ist es denn, wenn man einmal die Ukraine-Hypothese ernst nimmt, dass dieses korrupte osteuropäische Land voller Hitler-Verehrer so ungeheuer attraktiv und bedeutend macht, dass man sogar eine Kriegshandlung hinnimmt, ohne seine „Solidarität“ (es graut mir davor, dieses Wort derart zu beschmutzen) auch nur infrage zu stellen? Müsste man nicht sagen, dass ein Land, das selbst gegen enge Verbündete, gegen seinen zweitwichtigsten Finanzier, eine Kriegshandlung unternimmt, eigentlich dringend eine neue Regierung bräuchte?

Es ist schon interessant, wie der Tatsache ausgewichen wird, dass die völkerrechtliche Konsequenz aus dem Anschlag auf Nord Stream, so man die Ukraine-Hypothese ernst nimmt, darin bestehen könnte, ja, eventuell sogar darin bestehen müsste, Kiew zu bombardieren. Wenn man die Situation, die als Grund galt, Belgrad anzugreifen, mit Nord Stream vergleicht, ist Letzteres eine weit profundere Begründung, schließlich ist Deutschland selbst unmittelbar betroffen. Aber während rund um den Globus alle möglichen Gründe gefunden werden, warum man unbedingt eingreifen müsse, bis hin zum chinesischen Meer, das ohne deutsche Patrouillenboote nicht vollständig zu sein scheint, ist die Reaktion, die auf eine Handlung erfolgt, die üblicherweise einen Krieg zwischen den beiden beteiligten Ländern eröffnet, nicht aufzufinden.

So ein klein wenig Kritik rutscht sogar der Großgruppe der Spiegel-Redakteure heraus:

„Im Kreis der Ermittler ist man erstaunt darüber, wie detailverliebt sich der Kanzleramtschef für den Fortgang des Verfahrens interessiert. Und wie wenig Berlin zugleich daran gelegen zu sein scheint, den beispiellosen Angriff auf das Rückgrat der deutschen Energieversorgung schnellstmöglich aufzuklären.“

Das Problem heißt natürlich auch in diesem Fall USA. Denn der Schritt, der die logische Konsequenz selbst in der Ukraine-Variante wäre, würde, weil die USA selbst, vorerst zumindest, auf der Seite der Ukraine stehen, Deutschland in Gegensatz zu den USA bringen. Wozu die Berliner Truppe entweder nicht willens oder nicht imstande ist.

Der Spiegel-Artikel allerdings fügt sich letztlich ein in die Reihe jener Veröffentlichungen in der New York Times und in der Washington Post, die andeuten, dass auch in Washington einige die Kiewer Stellvertreter gerne fallen lassen würden, weil sie im Grunde bereits so weit ausgeblutet sind, dass sie nutzlos wurden. Man könnte bereits Wetten darüber abschließen, dass in dem Moment, da Washington sich von Kiew abwendet, in Deutschland plötzlich harte Beweise auftauchen, dass es tatsächlich eine staatliche ukrainische Aktion war. Genau in dem Moment, in dem man seine Nibelungentreue zu den Vereinigten Staaten damit bestätigt und nicht infrage stellt.

Es ist schon schmerzhaft, zu sehen, dass ausgerechnet diese bizarrste deutsche Neigung, sich bis zum Untergang an trügerische „Freunde“ zu halten, weiter besteht, nachdem so viele Eigenschaften, die man einmal für typisch hielt, ausgelöscht wurden. Auch ohne den Anschlag auf Nord Stream ist das Festhalten an den USA eine geopolitische Idiotie erster Güte; aber unter Einbeziehung dieser Kriegserklärung ist es die Bereitschaft, mit oder für vermeintliche Verbündete unterzugehen, die sich in Wirklichkeit längst als Feinde entpuppt haben. Daran würde sich auch nichts ändern, sollten die USA die Ukraine vor den US-Wahlen entsorgen. Kein Wunder, dass der Spiegel 18 Redakteure benötigte, um diesen hässlichen Anblick zu übertünchen.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: Die Marina von Dranske auf Rügen, wo angeblich die „Andromeda“ gefunden worden sein soll. (2011)
Foto:
Klugschnacker – CC BY-SA 3.0

Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15318346