Arbeit & Soziales

Habecks Heizgesetz: Höhere Mieten und der garantierte soziale Abstieg

In der ganzen Debatte über das Gebäudeenergiegesetz wird immer so getan, als sei eine zusätzliche Belastung für Mieter finanzierbar. Das Statistische Amt Münchens hat nun eine Auswertung vorgelegt, die beweist, dass dem nicht so ist.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 30.07.2023 auf RT DE

Welche Folgen hat das Gebäudeenergiegesetz wirklich für die Menschen in Deutschland? Wann immer man versucht, Genaueres zu erfahren, stößt man auf sehr allgemeine statistische Zahlen, wie eine bundesweite Mietbelastungsquote, die nicht wirklich weiter helfen. Das statistische Amt der Stadt München hat aber nun eine detaillierte Studie über die Mietbelastung von Haushalten angestellt, die auch zu diesem Thema einige Antworten liefert.

Dazu muss man erst einmal einiges über die momentane Situation sagen. Neubauwohnungen sind gut gedämmt; das haben schon die Bauvorschriften erzwungen. In der Regel ist es allerdings so, dass die Mieter von Neubauwohnungen eher wohlhabend sind oder andersherum, es sind die Ärmeren, die in den schlecht gedämmten und renovierungsbedürftigen Wohnungen leben. Das heißt auch, dass es gerade die ärmeren Mieter sind, die von den Vorgaben des GEG eher getroffen werden, außer es wurde zufällig in einem älteren Haus gerade eine neue Heizungsanlage eingebaut.

Nachdem nicht nur in München, sondern in den meisten bundesdeutschen Großstädten die Mehrzahl der noch halbwegs erschwinglichen Wohnungen aus den Baujahren 1960 bis 1980 stammt, mit Schwerpunkt auf den 1960ern, und die Haltbarkeit einer Heizungsanlage in der Regel tatsächlich bei 30–35 Jahren liegt, bedeutet das, dass eine Menge dieser Mieter von den Vorschriften zum Heizungsaustausch betroffen sein dürfte. Da die Vorgaben, die das GEG macht, die Energieeinsparungsverordnung und dann perspektivisch die EU-Verordnung, es erzwingen, dass nicht nur eine Heizanlage ausgetauscht wird, sondern zusätzlich in der Regel, etwa um die Nutzung von Wärmepumpen überhaupt zu ermöglichen, die komplette Wärmedämmung überarbeitet und außerdem womöglich auf Fußbodenheizung umgestellt werden muss, ist die Renovierung so aufwendig, dass die Mieter auf jeden Fall ihre Wohnung mindestens vorübergehend verlassen müssen.

Schon die EnEV führte vor etwa zehn Jahren zu Mietsteigerungen von etwa fünf Euro pro Quadratmeter. Inzwischen ist zwar eine Kappungsgrenze für die Umlage der Modernisierungskosten vorgesehen, aber die Kosten sind so hoch, dass sie dann, weil sie nicht umgelegt werden können, letztlich doch zu Wohnungskündigungen führen. Die meisten Vermieter dürften danach streben, einen neuen Mietvertrag abschließen zu können, der durch die gegebene Differenz zwischen Bestands- und Marktmieten dann doch die Refinanzierung der erzwungenen Renovierung ermöglicht.

Kommen wir zu den Münchner Zahlen. Grundlage der Auswertung ist eine umfangreiche eigene Befragung der städtischen Behörde von mehr als 7.000 zufällig ausgewählten Münchnern, bei der alle Einkommensgruppen erfasst wurden. In München sind zwar die Einkommen meist höher als andernorts (die Kaufkraft liegt um 35 Prozent über dem Bundesdurchschnitt), aber Mieten und Preise sind es auch. 75 Prozent der Einwohner Münchens wohnen zur Miete; kein Wunder bei einem Quadratmeterpreis für Wohneigentum, der 2020 schon bei 9.250 Euro lag und inzwischen weiter gestiegen ist.

Die Befragung erfolgte Anfang 2021. Das ist wichtig, weil der Wert, mit dem die Belastung durch die Wohnkosten ermittelt wird, die Wohnbelastungsquote (WBQ) ist, das heißt, die Miete mitsamt Nebenkosten zuzüglich Strom und Heizung. Seit 2021 sind die Kosten für Letzteres noch einmal deutlich gestiegen, weshalb die Belastung heute tatsächlich noch höher ist, als es diese Untersuchung darstellt.

Verbreiteter, auch in der sozialpolitischen Literatur, ist die Mietbelastungsquote (MBQ), die auf der Nettokaltmiete beruht. Die Banken beispielsweise bewerten eine MBQ von mehr als 30 Prozent des Einkommens bereits als kritisch. Der entsprechende Schwellenwert bei der WBQ wurde bei 40 Prozent angesetzt.

Der zweite wichtige Wert, um den es in dieser Untersuchung geht, ist das Resteinkommen, das einem Haushalt verbleibt, wenn die Wohnkosten vom Einkommen abgezogen wurden. Hier wurden die in der europäischen Statistik üblichen 60 Prozent vom (gewichteten) Medianeinkommen als Armutsgrenze angesetzt. Dabei wurden die Münchner Einkommenswerte zugrunde gelegt, weil die 60 Prozent ein Maßstab nicht für absolute, sondern für relative Armut sind, und weil derjenige, an dessen Möglichkeiten man wahrnimmt, ob man arm ist oder reich, immer jemand aus der Nähe ist.

Obwohl der stadtweite Durchschnitt der Wohnkostenbelastung in München bei 32,7 Prozent liegt, zahlen 27,4 Prozent der städtischen Bevölkerung mehr als 40, und 12,1 Prozent sogar mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten. Das durchschnittliche Resteinkommen liegt in München pro Haushalt bei 2.300 Euro, aber ein Viertel haben nur 1.400 Euro oder weniger im Monat zur Verfügung, nachdem die Miete bezahlt ist. 24,3 Prozent und damit nicht ganz ein Viertel der Befragten hatte ein Resteinkommen, das unter 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Äquivalenzeinkommens lag und lebte damit unter der Armutsgrenze. 18 Prozent, und das ist immerhin fast jeder Fünfte, haben sowohl eine hohe Mietbelastung als auch ein Resteinkommen unterhalb der Armutsschwelle. Diejenigen, die weniger als 60 Prozent Resteinkommen, aber eine WBQ von weniger als 40 Prozent haben, leben in der Regel in überbelegten Wohnungen.

Die wirklich spannende Frage, die Auskunft darüber gibt, was das GEG in solchen Städten wie München anrichten könnte, nennt sich „Lock-In“ oder Eingeschlossensein. Der Abstand zwischen den Bestands- und den aktuellen Marktmieten ist sehr hoch. Bei der Mehrzahl der angebotenen Wohnungen sind es vier bis sechs Euro pro Quadratmeter und darüber. Selbst in Feldmoching-Hasenbergl, dem Viertel, in dem sich die ärmsten Mieter finden, liegt die Miete bei einem aktuell geschlossenen Mietvertrag um besagte vier bis sechs Euro über der bisherigen. Die Aussicht für Mieter, eine gleichwertige Wohnung bezahlen zu können, ist also ausgesprochen schlecht. Das führt dazu, dass die Meisten versuchen, einen Wohnungswechsel zu vermeiden, selbst wenn die Wohnung entweder zu eng oder, auch das gibt es, zu groß ist. Das ist es, was der Begriff „Lock-In“ bedeutet.

Gründlich, wie das Münchner Statistische Amt ist, hat es auch ermittelt, was mit Mietern passiert, die die Wohnung bei den heutigen Marktmieten wechseln. Dabei wurden die Resteinkommen in vier Gruppen aufgeteilt. Auf die Armen mit weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens folgt die untere Mitte mit 60 bis 120 Prozent, die obere Mitte mit 120 bis 200 Prozent und die reichen Haushalte mit mehr als 200 Prozent.

Klar, die armen Haushalte blieben arm; man kann aber davon ausgehen, dass beträchtliche Teile nach einem Umzug sogar in strenge Armut fielen, die bei 50 Prozent des Medianeinkommens liegt. Aber auch 24 Prozent der Haushalte, die bisher zur unteren Mitte gehörten, wären nach einem Umzug arm. Haushalte der oberen Mitte würden zu 28,3 Prozent in die untere Mitte absinken, und selbst 19,1 Prozent der reichen Haushalte wären nach einem Wohnungswechsel nur noch obere Mitte.

Ein Wohnungswechsel ist also ein erstklassiges Rezept für den sozialen Abstieg. Und nicht nur in München, sondern in vielen anderen Großstädten gibt es auch keine einfache Möglichkeit, das Problem durch einen Umzug ins Umland zu lösen, denn der Einzugsbereich der hohen städtischen Mieten reicht über die Stadtgrenzen selbst hinaus. Mit Ausnahme der obersten Einkommensschicht können die Meisten dieser Lage nicht entrinnen.

Dazu kommt, dass das vorhandene Angebot an Wohnungen selbst zu den aktuellen Preisen mit ihren beschriebenen Folgen viel zu gering ist. Das heißt, ein Verlust der Wohnung, der umso wahrscheinlicher wird, je höher die Belastung ist, führt nicht zu einem vorübergehenden, sondern zu einem dauerhaften Problem. Das heißt gleichzeitig, dass jede größere Umsetzungsbewegung, wie sie die erzwungenen Renovierungen auslösen, auch die Wohnungslosigkeit weiter verschärfen wird, weil es für die wenn auch nur vorübergehend nicht zur Verfügung stehenden Wohnungen keinen Ersatz gibt.

Zu dieser Ausgangslage kommt nun eine verpflichtende Umgestaltung der Heizanlage mit einer zusätzlichen Mieterhöhung hinzu. Was passiert, wenn ein Vermieter die Anlage austauschen muss, es aber schlicht keinen Ersatzwohnraum für die Mieter gibt, die Heizanlage aber eben nicht weiter betrieben werden darf, weil die Gründe, aus denen man die Austauschpflicht verzögern kann, rein technischer und eben nicht sozialer Natur sind? Müssen dann die Mieter ihre Wohnungen verlassen, weil die alte Heizung nicht mehr betrieben werden darf? Und wohin sollen sie dann?

Es ist letztlich gleich, ob die Kappungsgrenze für die umlagefähigen Modernisierungskosten bei drei Euro pro Quadratmeter und acht Prozent oder etwas mehr oder weniger liegt. Denn zum einen ist klar, dass durch diese Regelung eine ohnehin kritische Lage weiter verschärft wird, und zum anderen, dass viele Mieter in München von jeder Erhöhung über die Schwelle hinaus belastet werden, die überhaupt noch tragbar ist, das heißt, mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Überschuldung geraten. Denn die besagten 18 Prozent, die jetzt bereits mehr als 40 Prozent Belastung durch die Wohnkosten haben und die jetzt schon gemessen an ihrem Resteinkommen arm sind, haben überhaupt keinen Spielraum für höhere Mieten. Null. Egal, ob mit Gasheizung oder Wärmepumpe. Jeder Euro, der zu den heutigen Beträgen hinzukommt, führt erst zur Tafel und dann in die Katastrophe.

Aber auch jene, die bisher in der unteren oder oberen Mitte liegen, dürfen sich auf jeden Fall auf einen Abstieg freuen. Das Habecksche Heizgesetz wird für sie die gleiche Auswirkung haben wie ein Umzug. Doch im Laufe der Zeit kombinieren sich beide Effekte, und die umgelegten Renovierungskosten sorgen dafür, dass der Abstand zwischen Bestands- und Neumieten noch weiter steigt. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Gruppe der Personen, die mit einem Wohnungswechsel sozial absteigt, noch deutlich größer wird.

Wenn man die Münchner Untersuchung als Modell nimmt, wie sich das GEG auswirken dürfte, kann man nur sagen: Solche Späße kann man sich in einer Lage leisten, in der es ausreichend bezahlbare Wohnungen gibt. Diese Lage müsste erst einmal geschaffen werden. Aber in einer solchen Lage, wie sie das Münchner Statistische Amt beschreibt, Bedingungen zu schaffen, die sowohl zahlreiche Wohnungswechsel als auch einen weiteren Anstieg der Mieten provozieren, ist nicht zu rechtfertigen.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: München, Olympiastadion mit Fernsehturm
Quelle: pixabay.com / designerpoint