Vergessene Schicksale: „Unter den Russen waren wir frei“
Gedächtnisverlust gibt es nicht nur in der Ukraine, sondern auch in den baltischen Kleinstaaten. Beim NATO-Gipfel in Vilnius wurde mit Rücksicht auf die dort regierenden Eliten die Erwähnung des Holocaust in Litauen peinlichst vermieden. Damit wurde das Gedenken an die Opfer von den Repräsentanten der westlichen Zivilisation mit Füßen getreten.
Von Rainer Rupp
Erstveröffentlichung am 22.07.2023 auf RT DE
Der Gedächtnisverlust über historische Zusammenhänge ist in den letzten Jahren in den Hauptstädten der westlichen Hemisphäre immer akuter geworden und hat inzwischen katastrophale Zustände erreicht. Das hat unter anderem zu einer totalen Begriffsverwirrung mit bestürzenden und gefährlichen Folgen in der realen Welt geführt. In unserem Land diffamieren zum Beispiel Politiker der etablierten Parteien von CDU/CSU bis zur Linken die national-konservative Partei AfD als rechtsradikal und die medialen Hofschranzen denunzieren pauschal die Partei und ihre Wähler nicht selten als Faschisten und sogar als Nazis.
Dieser Realitätsverlust wird jedem klar, der sieht, wie dieselben elitären deutschen Herrschaften echten, blutbesudelten Nazis in Ländern wie der Ukraine und in den baltischen Giftzwerkstaaten huldigen und sie mit Waffen und Geld zuschmeißen. Denn im Unterschied zur AfD sind die Ukro-Nazis für die deutsche Elite keine Faschisten, sondern bewundernswerte Freiheitskämpfer gegen die bösen Russen.
Bei Freiheitskämpfern gegen Putin spielt natürlich keine Rolle, wenn die Leute öffentlich mit Nazi-Symbolen herumlaufen, sich mit Heil Hitler begrüßen, die Nazi-Ideologie vertreten oder aus Göbbels‘ Werken zitieren und jeden Mitbürger, der nicht reinrassig ukrainisch ist und etwa russische oder ungarische Vorfahren hat, als Feind betrachten, der vertrieben oder vernichtet werden muss. Und diese echten Ukro-Nazis reden nicht nur darüber, sondern sie schreiten ungehemmt zu ihren mörderischen Taten. Aber in ganz Deutschland erkennt kein Politiker der etablierten Parteien und kein Presstituierter und keine Presstituierte ein Nazi-Problem in der Ukraine.
RT DE-Leser wissen seit Langem, welche immens zerstörerische Rolle der Nazi-Gedankenunrat inzwischen in allen Lebensbereichen des ukrainischen Staates spielt. Die Macht der Ukro-Nazis, die nach 2014 alle Schlüsselpositionen in den Sicherheitsministerien und -behörden besetzt haben, basiert dabei auf den vielen, mit westlicher Hilfe mit schweren Waffen ausgerüsteten Nazi-Brigaden, wie zum Beispiel „Asow“, die in den letzten Jahren in die reguläre Armee integriert wurden.
Ähnlich wie bei der deutschen Waffen-SS haben diese politisch-fanatisierten Brigaden den Ruf einer Elitetruppe für Aufgaben an der Front, um zugleich für „besondere Aufgaben“ hinter der Front eingesetzt zu werden, aktuell etwa um fahnenflüchtige, zwangsrekrutierte Soldaten abzufangen und um mit einigen exemplarischen, standrechtlichen Exekutionen die Anderen zum Weiterkämpfen gegen die Russen zu „motivieren“.
Im Zweiten Weltkrieg haben die Väter und Großväter der heute aktiven ukrainischen Nazis an der Seite der deutschen SS und anderer Sondereinheiten Hundert Tausende von ukrainischen Menschen (Gewerkschaftlern, Kommunisten, Juden, Russen und Polen) oft mitsamt deren Familien ermordet und in Massengräbern verscharrt. Und obwohl heute wieder alle staatlichen Schlüsselpositionen der Ukraine von Nazis besetzt sind, leiden deutsche Medien mitsamt der politischen Kaste unter einem akuten Gedächtnisverlust, wenn es darum geht, waschechte Nazi-Monster zu erkennen.
Das gilt nicht nur für die Ukraine. Der NATO-Gipfel in Vilnius hat – sicherlich unbeabsichtigt – für Leute ohne Gedächtnisverlust ein Schlaglicht auf die Nazi-Vergangenheit in Litauen geworfen, wo viele Mitglieder der lokalen Bevölkerung ebenfalls an der Seite der deutschen SS oder für die SS im eigenen Land Juden, Kommunisten und Russen aufgespürt und ermordet haben. Nach dem Krieg konnten sich viele dieser Nazi-Killer und ihrer Helfer in die USA und vor allem nach Kanada retten, wo sie in der Weite des Landes in ihren faschistischen Gettos ihre menschenfeindliche Gesinnung weiter gepflegt und ihr nach außen eine demokratische Maske aufgesetzt haben.
Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 kamen nicht nur aus dem fruchtbar gebliebenen Schoß der West-Ukraine neue Nazi-Monster gekrochen, sondern auch in den drei baltischen ehemaligen Sowjetrepubliken, Litauen, Estland und Lettland. Begeisterte ideelle, finanzielle und personelle Verstärkung bekamen diese neuen Nazi-Bewegungen von der Nazi-Diaspora in Kanada und den USA. Die Nazi-Diaspora selbst bekam dabei vor allem vom US-Auslandsgeheimdienst CIA tatkräftige Unterstützung, der während des gesamten Kalten Krieges den Kontakt zu diesen Nazi-Gruppen aus der Sowjetunion gepflegt hatte.
Diesbezüglich sei daran erinnert, dass bis zu zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die von Stepan Bandera von München aus gesteuerten Ukro-Nazis mithilfe von CIA und BND immer wieder Gruppen für Sabotageanschläge in die West-Ukraine geschleust haben. Dabei haben die Vorbilder der jetzt als Freiheitskämpfer firmierenden Ukro-Nazis vor allem leicht zu treffende zivile Ziele zerstört, ohne Rücksicht auf zivile Opfer.
Diese nie verfolgten Kriegsverbrechen des BND und der CIA in der ukrainischen Sowjetrepublik fanden erst ein Ende, nachdem Stepan Bandera in München 1959 auf offener Straße – angeblich von einem sowjetischen Agenten – erschossen worden war und zuvor der sowjetische Geheimdienst sein Netzwerk aus lokalen Nazi-Helfern zerschlagen hatte.
Banderas Grab in München ist heute ein Wallfahrtsort für Ukro-Nazis. Zu Banderas Todestag war auch der vormalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrei Melnyk, gepilgert. Dort hatte er einen Kranz niedergelegt und die Bilder davon stolz in den sozialen Netzwerken verbreitet. Es handelt sich bei ihm um denselben Nazi-Botschafter, der ungestraft den deutschen Kanzler als „beleidigte Leberwurst“ bezeichnen durfte.
Auch sonst konnte sich Melnyk jede undiplomatische Pöbelei erlauben, ohne von deutscher Seite zurechtgewiesen zu werden oder dass seine ideelle Nähe zu Banderas Erbe von unseren Qualitätsmedien kritisiert worden wäre. Denn ukrainische Nazis dürfen sich in Deutschland praktisch alles erlauben, ohne als Nazis bezeichnet zu werden. Ein AfD-Politiker braucht jedoch nur die wahnsinnige Klima-Politik der Ampel-Regierung zu hinterfragen, schon wird er von deutschen Faschistenjägern in den Medien als rechtsextrem oder als Nazi beschimpft.
Aber wenden wir uns nun Litauen zu. Rechtzeitig zum NATO-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius hatte der US-Amerikaner John Wight in einem Artikel an das 1988 erschienene Buch mit den persönlichen Erinnerungen des litauischen Juden und Überlebenden des Holocaust, William W. Mishell, erinnert. Das Buch mit dem Titel „Kaddish for Kovno: Life and Death in a Lithuanian Ghetto“ (Kaddisch für Kowno: Leben und Tod in einem litauischen Ghetto) handelt von seinen persönlichen Erinnerungen an das Leben als Jude während der Nazi-Besatzung Litauens. Einer der hervorstechenden Sätze in Mishells Buch lautet:
„Wir [die Juden Litauens] waren unter Deutschland dem Untergang geweiht. Unter den Russen waren wir frei.“
Auch der Autor Wight stellt in seinem Artikel erstaunt fest, „dass der Gedächtnisverlust in den Hauptstädten der westlichen Hemisphäre aktuell der letzte Schrei ist“, und zum Beweis dafür blickt er zurück auf die Durchführung des Holocausts in Litauen und darauf, welche unsägliche Rolle viele nichtjüdische Bürger dieses kleinen und heutigen NATO-Mitgliedstaates dabei gespielt haben.
Die Tatsache, dass im Umfeld des Medienauftriebs zum Gipfel in Vilnius NATO-Politiker und die westliche Presse die Geschichte des Holocausts in Litauen komplett ignoriert haben, ist in der Tat ein weiteres Indiz dafür, dass der Holocaust politisch instrumentalisiert wird. Der Holocaust spielt nur dann eine Rolle, wenn es politisch von Nutzen ist.
Wight urteilt in seinem Artikel: Sich in Vilnius an den Holocaust zu erinnern sei „schließlich das Mindeste gewesen, um den Toten Tribut zu zollen“. Die Tatsache, dass dieser Tribut nicht gezollt wurde, hat damit zu tun, dass dabei womöglich historische und eventuell sogar familiäre Zusammenhänge zwischen den damaligen litauischen Tätern und ihren Kindern und Enkeln im aktuellen Parlament und in der Regierungselite Litauens aufgedeckt worden wären.
Doch der Artikel Wights enthält noch einige weitere interessante Aspekte, die hier zusammenfassend genannt sein sollen. So verweist Wight darauf, dass bereits am 17. November 1940 in Berlin die rechtsextreme, antisowjetische Litauische Aktivistenfront (LAF) von einer Gruppe litauischer Emigranten unter dem ehemaligen litauischen Gesandten in Berlin, Oberst Kazys Škirpa, gegründet worden war. Ihr Ziel war es, den antisowjetischen Untergrund in Litauen mithilfe der Nazis zu vereinen. Aber sie hatten nicht nur die „Befreiung“ Litauens von der sowjetischen Kontrolle im Sinn, sondern auch die Säuberung des Landes von seiner jüdischen Bevölkerung.
In der damals veröffentlichten Proklamation, in der der jüdischen Gemeinde Litauens die Gründung der LAF verkündet wurde, heißt es unter anderem:
„Juden, eure Geschichte im litauischen Land, die fünfhundert Jahre gedauert hat, ist jetzt vorbei. Habt keine hoffnungsvollen Illusionen! Das litauische Volk, das sich für ein neues Leben erhebt, betrachtet Euch als Verräter und wird Euch behandeln, wie ein Verräter behandelt werden sollte!“
Mit der Besetzung Litauens durch die Nazis erfüllte sich diese düstere Prophezeiung. Die Juden des Landes waren in der Tat dem Untergang geweiht. Kurz vor dem Start von Hitlers Operation Barbarossa gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 erließ die LAF eine weitere Proklamation, die sich diesmal an die nichtjüdische Bevölkerung des Landes richtete:
„Die Stunde der Befreiung Litauens ist nahe. Sofort nach Beginn der Kampagne aus dem Westen werdet Ihr im Radio informiert. … Lokale Kommunisten und andere Verräter Litauens müssen sofort verhaftet werden, damit sie nicht der gerechten Bestrafung für ihre Verbrechen entgehen (ein Verräter wird nur begnadigt, wenn er zweifelsfrei beweist, dass er mindestens einen Juden getötet hat). … Informieren Sie die Juden ab heute darüber, dass über ihr Schicksal entschieden wurde.“
Laut der Holocaust-Enzyklopädie des Holocaust-Gedenkmuseums der Vereinigten Staaten wurden neunzig Prozent der jüdischen Bevölkerung Litauens von den Deutschen und ihren litauischen Kollaborateuren ermordet, die zu speziellen Hilfsbataillonen ausgebildet worden waren. Das Land verzeichnet eine der höchsten Raten von Holocaust-Opfern im von den Nazis besetztem Europa. Die Massaker dauerten bis zur Befreiung Litauens von der deutschen Besatzung durch die Rote Armee im Sommer 1944 an.
Angesichts der einunddreißig Staats- und Regierungschefs der heutigen NATO-Mitgliedsstaaten, die sich 2023 auf dem Gipfel des Militärbündnisses in der litauischen Hauptstadt Vilnius versammelt haben, wiederholte sich, ungeachtet der schrecklichen Rolle, die litauische Kollaborateure beim Nazi-Holocaust und bei der Verwirklichung von Hitlers Traum einer Zerstörung des slawischen Russlands gespielt haben, in Vilnius „die Geschichte als Farce“, heißt es im Artikel von Wight. Denn heute, nur acht Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, habe sich „eine neue Geißel des Friedens in Europa in Form des aggressiven Militärbündnisses NATO“ ebenfalls dazu aufgemacht, „Russland zu zerstören“.
Das Ende der US-geführten westlichen Vorherrschaft und Hegemonie ist laut Wight „voller krankhafter Symptome, aber das bei weitem schändlichste ist bisher die Bereitschaft, Russland bis zum letzten Tropfen ukrainischen Blutes zu bekämpfen“. Weiter schreibt Wight:
„Erschreckend ist, dass mit Ausnahme des ungarischen Viktor Orbán derzeit kein einziger westlicher Führer für ein Ende des anhaltenden Abschlachtens der männlichen ukrainischen Bevölkerung eintritt. Das Kriegsfieber hat die verwirrten Köpfe der vermeintlichen Vertreter der westlichen Zivilisation unter seine Kontrolle gebracht, und es ist dieses Kriegsfieber, das sie in Richtung ihrer eigenen Zerstörung treibt.“
Vor dem Hintergrund, dass Präsident Selenskijs Hoffnungen auf eine schnelle Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO beim Gipfel in Vilnius verpufft sind, und obwohl alle Anzeichen darauf hindeuten, dass die viel gepriesene ukrainische Gegenoffensive angesichts starker russischer Verteidigungslinien, überlegener Feuerkraft, riesiger Minenfelder und bisher enttäuschender Leistungen der NATO-Wunderwaffen und -Panzer nicht vom Platz kommt und zu einer Katastrophe für die Ukraine zu werden droht, setzen die westlichen Eliten weiter auf Krieg. Wight schließt:
„Eskalation statt Diplomatie, der nicht verhandelbare Weg für die westlichen Regierungseliten. … Adolf Hitler war von genau demselben Glauben besessen. … Das Besorgniserregende daran ist, dass es im Prozess oder auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg unser aller Tod sein könnte.“
Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild oben: Litauische Nazi-Kollaborateure nehmen Juden fest. NS-Propagandafoto vom Juli 1941
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B12290 / CC-BY-SA 3.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5432590