Demokratie – Medien – Aufklärung

Die bestrafte Meinung

Es ist in Deutschland kaum noch möglich, Position zu beziehen

Haltung zeigen, Position beziehen, das sind die Dinge, die heute erwartet werden. Das gilt übrigens nicht nur für den Ukraine-Krieg, sondern war auch schon in der Corona-Episode zu beobachten. Wären die Haltungen und Positionen nicht so kategorisch in richtig und falsch unterteilt, könnte man diesen Ansatz tatsächlich als förderlich für die eigene Meinung und den gegenseitigen Austausch betrachten. Aber dem ist bekanntlich ja nicht so.

Von Tom J. Wellbrock

Erstveröffentlichung am 14.06.auf RT DE

Meine eigene Haltung ist nicht sehr populär. Mein geschätzter Blog-Partner und Freund Gert Ewen Ungar hat dieses sich daraus entwickelnde Gefühl als „Fremdheitserfahrung“ bezeichnet. Er lebt inzwischen in Moskau, sah sich in seiner Zeit in Berlin massiven Drohungen ausgesetzt und fühlt sich jetzt sicher. Und freier. Unerhört, oder? Wie kann man sich in Russland freier fühlen als in Deutschland, der weltweit besten Demokratie, die man für Korruptionsgeld kaufen kann?

Die Erklärung ist einfach: Wir Deutschen haben ein anachronistisches Selbstbild. Die meisten von uns glauben immer noch, in einem Land der Freiheit, der Meinungsvielfalt, der unabhängigen Presse und einer den Menschen zugewandten Politik zu leben. Es wäre unangebracht zu behaupten, dass diese Einschätzung nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte, denn wir sind ja noch lange nicht fertig.

Wir bewegen uns längst weit unterhalb einer erstrebenswerten Oberfläche, wir glauben, frei ein- und ausatmen zu können und ersticken doch an der pathologischen Gesellschaft, die wir geworden sind. Die Demokratiefeinde entlarven sich selbst, wenn sie behaupten, jeder könne seine Meinung frei äußern, müsse dann aber mit den Folgen leben. Nein, so funktioniert das nicht.

Meinungsfreiheit bedeutet, auch mit unbequemen Ansichten nicht sanktioniert zu werden. Argumentativer Gegenwind ist damit nicht gemeint, dieser ist richtig und wichtig und gehört dazu. Doch wenn die „falsche“ Meinung zu einem personifizierten Staatsfeind wird, den es auszugrenzen, zu bestrafen, zu bedrohen, zu beleidigen und zu demütigen gilt, dann haben die Feinde der Meinungsfreiheit Oberwasser bekommen. Und jeder, der es sieht und nichts dagegen unternimmt, ist Täter und Mittäter.

Es ist leicht, die Meinungsfreiheit anzupreisen, wenn die eigene nicht aneckt. Und damit komme ich zurück zu mir und meiner Meinung. Faktisch darf ich sie nicht äußern, weil ich dann Gefahr liefe, russische Kriegspropaganda oder Desinformation zu verbreiten. Ausgerechnet eine Ukrainerin musste eine bittere Erfahrung mit der deutschen Justiz und der Meinungsfreiheit machen.

Die 48-jährige Frau hatte auf einer Demo in Fernsehkameras gesagt, Russland sei „kein Aggressor“ und der Krieg in der Ukraine für Russland „alternativlos“. Für das Gericht, das den „Fall“ (von Meinungsfreiheit) verhandelte, war klar, dass die Ukrainerin den Krieg „für andere wahrnehmbar gutgeheißen und befürwortet“ hatte. Wohlgemerkt bezogen auf die russische Seite. Hätte sie gesagt, dass westliche Waffenlieferungen alternativlos seien, wäre sie vermutlich in den Medien gefeiert worden.

Die bestrafte Meinung

Gemäß der aktuellen Rechtslage gibt es also keine weitere als die offizielle Interpretation des derzeitigen Ukraine-Krieges. Das ist verheerend und doch nicht überraschend. Schon während der Corona-Episode wurde deutlich, dass anerkannte „Fakten“ immer nur die sind, die von der politischen Führung vorgegeben werden. Oder nehmen wir den Klimawandel: Können tatsächlich 99 Prozent aller sich mit dem Thema befassenden Wissenschaftler zu ein und demselben Ergebnis kommen? Selbstverständlich nicht, und selbst wenn es so wäre, ein Beweis für die Richtigkeit der Behauptungen wäre damit nicht erbracht. Wie oft in der Geschichte waren die Außenseiter die, deren Theorien abfällig behandelt wurden, diejenigen, die am Ende richtig lagen?

Natürlich: Die Meinungsfreiheit endet dort, wo justiziables Verhalten vorliegt, zum Beispiel, wenn jemand den Holocaust leugnet. Der hat nachweislich stattgefunden, und jeder, der etwas anderes behauptet, widerspricht den historischen Fakten. Doch die „Billigung des russischen Angriffskrieges“ ist weit von historischen oder auch nur gegenwärtigen Fakten entfernt. Denn diese Einschätzung unterstellt Fakten, die es so nicht gibt, die aber zumindest verschiedene Blicke auf die Thematik zulassen müssten. Ohnehin ist es geradezu größenwahnsinnig und zutiefst realitätsfern, anzunehmen, man könne einen geopolitischen Konflikt dieser Größenordnung auf einige wenige Sätze der Erklärung herunterbrechen.

Man kann das tun, aber nur, wenn man historische Zusammenhänge und Entwicklungen ausblendet und so tut, als gebe es sie nicht. Ebendies ist geschehen. Im Jahr 2023 beginnt die Geschichte der Ukraine mit dem 24. Februar 2022, davor bewegen wir uns in einem luftleeren Raum. Es ist schwer bis unmöglich, diese Vorgehensweise auch nur im Ansatz als seriös zu bezeichnen.

Gefährder

Ich wage zu behaupten, dass ich mich im Ukraine-Konflikt recht gut auskenne. Sicher, es gibt haufenweise Leute, die tiefer in der Materie sind als ich, aber es gibt noch viel mehr, deren Wissen sich auf rudimentäres Wissen beschränkt. Nun ist es aber so, dass diese Uninformierten und dementsprechend Unwissenden die öffentliche Meinung dominieren. Sie verbreiten Unsinn, glauben Unsinn und werfen anderen vor, Unsinn zu erzählen. Wer etwa ernsthaft glaubt, Russland hätte im Jahr 2014 die Ostukraine angegriffen, betreibt Geschichtsfälschung. Wer der Tatsache widerspricht, dass im Jahr 2014 auf dem Maidan ein von den USA finanzierter Putsch stattgefunden hat, der zu einem verfassungswidrigen Umsturz einer zuvor demokratisch gewählten Regierung geführt hat, betreibt ebenfalls Geschichtsfälschung. Bestraft wird er dafür nicht, im Gegenteil, wahrscheinlich warten warme Worte des Bundespräsidenten auf ihn, verbunden mit der Übergabe irgendwelcher absurder Preise, die er als Dank für seine unverschämten Lügen erhält.

Meine Sicht auf den Ukraine-Konflikt ist eine andere. Ich habe mich intensiv mit dessen Entstehung auseinandergesetzt und viele Faktoren unter die Lupe genommen, die letztlich zum aktuellen Krieg im Februar 2022 geführt haben.

An dieser Stelle stocke ich. Wie geht es jetzt weiter? Was kann ich jetzt schreiben? Darf ich meine Einschätzungen formulieren und erklären, warum ich zu ihnen komme? Nein, unter dem Strich kann ich das nicht. Würde ich behaupten, dass der aktuelle Ukraine-Krieg das Ergebnis langer Vorbereitungen durch den Westen ist, bestünde die Möglichkeit, dass diese Analyse als „Billigung des russischen Angriffskrieges“ ausgelegt würde. Würde ich behaupten, dass Russland bis zuletzt versucht hat, diesen Krieg zu vermeiden, indem die eigenen Sicherheitsinteressen berücksichtigt werden, wäre womöglich auch diese Aussage eine „Billigung des russischen Angriffskrieges“.

Es ist irre. Man muss (natürlich) davon ausgehen, dass auch Richter, die Menschen wegen der Billigung des russischen Angriffskrieges zu was auch immer verurteilen, in der Sache ahnungslos sind. Im Falle eines solchen Richters, der „Recht spricht“, wäre die Grundlage seiner Entscheidung also nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische, es geht einfach nicht anders. Das ist eine fatale Ausgangssituation!

Das ist, als würde ein Polizist einen Dieb festnehmen und zugleich ein Urteil darüber fällen, wie dessen familiäre Verhältnisse aussehen oder wie er seine Frau behandelt. Doch über die Tat des Diebstahls hinaus kann der Polizist den Festgenommenen nicht einschätzen, es fehlt ihm das Hintergrundwissen dafür. Daher wird er sich aus gutem Grund dafür entscheiden, sich auf den Diebstahl zu fokussieren und andere Aspekte, die er nicht kennt, auszublenden. Der Richter sollte das eigentlich auch tun. Er kennt die politischen, historischen und geopolitischen Hintergründe des Ukraine-Konflikts nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel) und ist faktisch nicht berufen und nicht ausgebildet oder hinreichend informiert, um eine realistische Grundlage für einen Urteilsspruch zu haben.

Nun könnte man einwenden, dass der Richter über die genannten Punkte geopolitischer, historischer oder politischer Natur gar nichts wissen muss, denn da es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt, ist die Billigung oder Verteidigung dieses Kriegs per se justiziabel, eine Verurteilung daher gerechtfertigt. Dem kann und muss jedoch entgegengehalten werden, dass dies eine abschließende und umfangreiche Beurteilung der Situation voraussetzt. Was also, wenn Historiker im Nachgang feststellen, dass die Unterstellung der Völkerrechtswidrigkeit falsch war? Es wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Politik, Medien und Volk sich auf der richtigen Seite wähnen und im Nachhinein des Irrtums oder der Lüge überführt werden.

Viele Stühle, eine Meinung

Wir müssen uns zweier simpler Wahrheiten bewusst werden.

  1. Unser Wohlstand war maßgeblich geprägt und beeinflusst durch billige Energie. Diese haben wir über Jahre zuverlässig erhalten. Jetzt haben deutsche Politiker die Verbindung gekappt. Sie können zetern, heulen, schimpfen und mit den Füßen stampfen. Das Fortschreiten des jetzigen Weges wird in einer Katastrophe enden. Ja, es ist wirklich so einfach.
  2. Punkt 1 anzusprechen, wird als Verrat und Demokratiefeindlichkeit betrachtet.

Damit befinden wir uns in einer ausweglosen Lage, aus der wir uns nur befreien können, wenn wir den Debattenraum wieder erweitern. Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Energie, den Krieg, Pandemien oder den Klimawandel. Es betrifft sämtliche politischen und gesellschaftlichen Themen, die uns beeinflussen. Die Verengung des Debattenraums ist in ihrer Destruktivität gefährlich, weil sie Dummheit und Trägheit fördert und eigene Versuche der Analyse unterbindet. Es ist einfach nicht klug, für einen Sachverhalt nur eine Interpretation zuzulassen und sämtliche andere Optionen als feindlich zu bewerten. Es unterbindet Konstruktivität, Lösungsmöglichkeiten und führt zu geistigem Stillstand.

Und es ist von einer grenzenlosen Herablassung und Aggressivität gegenüber den Menschen geprägt, die versuchen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und sich ein differenziertes Bild über Aspekte des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu machen. Hinzu kommt der Aspekt des Größenwahns. Davon auszugehen, dass es zu komplexen Problemen nur eine Lösung geben kann und im Gegenzug jede abweichende Ansicht ins Reich der Demokratiefeindlichkeit und/oder der Verschwörungstheorie zu verbannen, ist dumm und autoritär. Insbesondere, weil damit die Unmöglichkeit, eigene Entscheidungen zu korrigieren, einhergeht. Wir sehen das aktuell an der sogenannten „Energiewende“. Sie ist schlecht geplant, wenig durchdacht, ignoriert mögliche Gefahren und führt in einen wirtschaftlichen und sozialen Abgrund. Besonnenheit und gedankliche Flexibilität könnten uns vor diesem dunklen Weg retten, doch beides wird kategorisch abgelehnt.

Auch hier gilt: Wer Zweifel anmeldet oder Verbesserungsvorschläge anbietet, wird gesellschaftlich verbannt und verurteilt. Das schafft neben Ignoranz und der Informationsverweigerung ein Klima der Angst und der Verunsicherung.

Was also kann ich, können wir sagen?

Das Thema ist zweitrangig, die Vorgaben sind einfach: Richte dich nach denen, die dir sagen, was zu tun ist und hinterfrage sie nicht. Tust du es doch, bekommst du Schwierigkeiten. Womöglich könnten deine Gedanken und Ideen wirklich zu Verbesserungen führen, doch diese Möglichkeit wird schlicht nicht akzeptiert, und somit wirst auch du nicht akzeptierst, wenn du etwas sagst, das eine andere Richtung einschlägt.

Ich habe zum Ukraine-Konflikt eine dezidierte Meinung. Nicht immer liege ich richtig, ich irre mich, lerne dazu, bewerte neu, wo es mir nötig erscheint. Meine Grundannahmen weichen aber von dem ab, was uns täglich vorgebetet wird, und zwar ganz erheblich.

Vieles von dem, was ich denke, was ich mir in aufwendiger Recherchearbeit angeeignet habe, darf ich nicht mehr aussprechen. Würde ich sinngemäß wiederholen, was die oben genannte Frau gesagt hat, müsste ich ebenfalls mit einer Strafe durch den Staat bzw. ein Gericht rechnen.

Doch die mächtigen Entscheidungsträger täuschen sich, wenn sie davon ausgehen, mich auf diese Weise „zur Vernunft“ zu bringen, im Gegenteil. Meine Recherche hört ja nicht auf, meine Erkenntnisse, Analysen und Schlüsse verlieren nicht an Gewicht, wenn sie verurteilt und sanktioniert werden. Und damit bin ich nicht allein.

Ich werde auch weiterhin recht haben und mich irren, ich werde mir weiterhin meine eigenen Gedanken machen. Denn daran kann mich niemand hindern.

Noch nicht.

Tom J. Wellbrock ist Texter und Sprecher und betrieb gemeinsam mit Jens Berger den Blog Spiegelfechter. Aktuell betreibt er gemeinsam mit Roberto J. De Lapuente den Blog Neulandrebellen.de sowie den Telegram-Kanal „Randnotizen aus der Mitte


Bild: Elena Kolbasnikowa mit angeheftetem Stern in den russischen Nationalfarben nach dem Prozess im Kölner Amtsgericht, 6. Juni 2023
Screenshot aus einem Video von Felicitas Rabe auf odyssee.com. © Felicitas Rabe