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Roger Waters: „Schwein gehabt“ sieht anders aus

Der Mitbegründer der legendären Rockband Pink Floyd Roger Waters steht weiter in der Kritik. Der Vorwurf lautet: Antisemitismus. Und nun gibt es auch noch Ärger wegen eines Auftritts in einer an Nazis erinnernden Uniform. Was wirklich hinter diesen Vorwürfen steckt.

Von Tom J. Wellbrock

Erstveröffentlichung am 30.05.2023 auf RT DE

Die Diskussionen um Roger Waters nehmen kein Ende. Der Bassist der Band Pink Floyd sei antisemitisch, heißt es immer wieder. Und dann auch noch der Auftritt in einer an Nazis erinnernden Uniform. Das geht ja nun gar nicht!

Doch, das geht! Und zwar gleich aus mehreren Gründen. Fangen wir mit der Uniform an.

Uniformen und Mauern

Die Uniform, die die woken Kulturbanausen wohl noch nie in ihrem Leben gesehen haben, stammt aus dem Film bzw. vom Album „The Wall“ von Pink Floyd. Es wäre eine gute Idee, sich diesen Film anzusehen, die Texte zu lesen und zu verstehen, um zu erkennen, dass es Pink Floyd damals (und Waters heute) um eine Anklage gegen autoritäre Systeme ging und geht.

Die Tatsache, dass Waters in einem seiner Konzerte in Tränen ausbrach, dürften die ahnungslosen Sittenwächter wovon auch immer als Erfolg verbuchen. Tatsächlich aber haben sie vermutlich einen kritischen Geist, der mit dem Tragen der Uniform die Perversität des Faschismus zeigen wollte, in die Verzweiflung getrieben. Ohne Wissen, ohne Empathie, ohne historische Kenntnis wurde hier ein Musiker in eine Ecke gestellt, in die er nicht gehört – ganz im Gegensatz zu den faschistoiden Geiferern, die nicht eher Ruhe gaben, bis der Musiker von historischer Bedeutung und Relevanz sich dem Mob beugte.

Die Anklage wegen Volksverhetzung schlägt dem Fass den Boden aus. Damals – als „The Wall“ als Film und LP herausgebracht wurde – wie heute steht das Werk für eine tiefe Abscheu vor dem Faschismus und vor faschistoiden Autoritäten, also – das ist die Interpretation des Autors dieses Textes – vor ebenjenen faschistoiden Zeitgenossen, die jetzt der Meinung sind, ihr geistloses und unwissendes Empfinden politischer Korrektheit an einem verdienten Musiker und kritischen Geist abarbeiten zu müssen.

Die Mauern sind in den hohlen Köpfen derer aufgebaut worden, die sich anmaßen, etwas beurteilen zu können, wovon sie nicht den Ansatz einer Ahnung haben.

Schwein gehabt!

Schwein hatte Pink Floyd schon 1977. In diesem Jahr erschien das Album „Animals“, auf dem Tiere eine wichtige Rolle spielten. Zum Beispiel Hunde. Sie standen in dem musikalischem Werk stellvertretend für Menschen, die nur am Profit orientiert sind. Sie gehen über Leichen und interessieren sich für ihre Mitmenschen nicht im Geringsten.

Die Rolle der Schweine auf dem Album wurde ausgerechnet von Wikipedia treffend zusammengefasst:

„Die Schweine (Pigs) sind für Waters die ‚Moralapostel‘, die den Menschen jeden Tag predigen, wie sie sich richtig zu verhalten hätten. Dabei würden gerade diese Menschen die meisten Fehler machen und sich besonders unmoralisch verhalten.“

Prophetisch!

Wenn das nicht passt!

Das „neue“ Schwein, das Waters auf seiner aktuellen Tour verwendet, ist eine Variation von damals. Und es ist mit einigen Symbolen bestückt worden, die alle eine Botschaft transportieren sollen. Die Stuttgarter Nachrichten schreiben dazu (Rechtschreibung und Orthografie wie im Original):

„Dagegen wehrt sich Waters in einem offenen Brief auf seiner Facebook-Seite: Er fühle sich durch den Vorwurf des Antisemitismus persönlich beleidigt, und weist darauf hin, dass er in seiner Show außer dem Davidstern auch das Kreuz und den Halbmond verwendet. Der Musiker argumentiert, die Symbolik des Davidsterns in ‚The Wall‘ richte sich gegen die Politik des Staates Israel, eines Staates, so Waters, ‚der Apartheid praktiziert, sowohl innerhalb seiner eigenen Grenzen also auch in den Gebieten, die er seit 1967 besetzt und kolonisiert hat‘. Friedlich gegen Israels Innen- und Außenpolitik zu protestieren sei nicht antisemitisch.

Das Schwein repräsentiere das Böse eines fehlgeleiteten Staates, schreibt Waters in seinem Statement weiter. Dass er in ‚The Wall‘, einer Geschichte über Krieg, Tod, Zerstörung und Angst, prinzipiell mit Symbolen spielt, ist hinreichend bekannt. Animierte Hämmer marschieren im Gleichschritt wie in einer Militärparade, und Waters wirft sich gleich zu Beginn der Show einen langen schwarzen Mantel mit roter Armbinde über – und zeigt sich als Diktator.“

Wichtig ist ein weiterer Absatz im Text der Zeitung:

„Den 70-Jährigen, der im vergangenen Jahr vor der UN-Generalversammlung eine Rede gegen die israelische Palästina-Politik gehalten hat, in die Ecke von Nazis und Rassisten zu stellen ist die falsche Reaktion. Zu eindringlich ist sein Plädoyer für Frieden und Freiheit. Doch überschreitet er mit seinem provokanten Spiel mit religiösen und politischen Symbolen eine Grenze, oder ist das Kunst und somit erlaubt?“

Die abschließende Frage ist falsch, wenn auch die Betonung auf Waters‘ Plädoyer für Frieden und Freiheit stimmt. Doch die Symbolik, die er verwendet, ist keine, die nur in der Kunst erlaubt sein dürfte. Politische und religiöse Symbole darf man verwenden, um Zusammenhänge darzustellen, auch in anderen Bereichen als der Kunst. Aber das ist gar nicht der entscheidende Punkt.

Seht her, und seht hin!

Wer jemanden wie Waters als Antisemit bezeichnet oder gar wegen Volksverhetzung anklagt, sollte etwas tun, das heute nicht mehr sehr beliebt ist: Er sollte sich ein Bild von diesem Menschen machen. Das ist eine umfangreiche Arbeit, die aber notwendig ist, um einen Menschen nicht zu Unrecht eines bestimmten Vergehens zu beschuldigen. Waters war, solange ich ihn verfolge, und das ist eine ganze Weile, immer ein kritischer Mensch, der sich mit allem, was sich ihm bot, für den Frieden und ein gemeinsames Miteinander einsetzte.

Die israelische Politik kritisiert er schon sehr lange, und dafür darf man wiederum ihn kritisieren. Aber Substanz sollte es schon haben. Waters den Stempel des Antisemiten anzuheften, weil er die Politik Israels kritisiert, ist absurd und führt zu einer kategorischen Ablehnung jeglicher Kritik an der Politik Israels. Das allerdings trifft nicht nur auf Waters zu, sondern ganz grundsätzlich. Wer wagt es denn heute noch, die israelische Außenpolitik kritisch zu betrachten? Kaum jemand, der nicht bereit ist, mit bitterbösen Kampagnen gegen ihn zu rechnen.

Womöglich – darf man das denken und sogar sagen? – hat sich der israelische Staat auch zu einem Apartheidssystem entwickelt, weil Kritik an ihm per se als antisemitisch galt und gilt? Ich erlaube mir, diese Frage zu stellen und unbeantwortet im Raum stehen zu lassen.

Waters hat während eines Konzerts geweint, ich habe die Aufnahme gesehen. Und ich bin sicher, dass er nicht geweint hat, weil er sich als Antisemit überführt gefühlt hat. Abgesehen davon, jetzt mal ehrlich: Würde ein waschechter Antisemit einfach ganz offen vor einem Millionenpublikum kundtun, dass er ein Antisemit ist? Eher nicht, das wäre, als würde ein weltweit bekannter Musiker auf der Bühne bekannt geben, dass er Sex mit Kindern mag. In beiden Fällen wäre klar, was folgt.

Vermutlich, so meine Annahme, hat Waters geweint, weil er sein Leben lang ein friedlicher Kerl war. Einer mit Ecken und Kanten, der Drogen nahm (wofür man wohl dankbar sein muss, wenn man sein musikalisches Werk betrachtet), der fünfmal verheiratet war. Das war Gerhard Schröder (SPD) auch, aber der Vergleich verbietet sich wohl, da nicht auszuschließen ist, dass künftig jeder Mann, der fünfmal verheiratet war, Antisemit oder „Putinversteher“ sein könnte.

Das Problem ist ein ganz grundlegendes. An Waters wird es einmal mehr deutlich. Wir befinden uns im überdimensionierten Raum einer Sekte. In dieser Sekte gibt es klare Anweisungen, und wer sich nicht an diese hält, fällt aus der Gruppe heraus, wird zu einer Unperson, die am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben nicht mehr teilnehmen darf.

Waters ist nicht der Erste, der dieser Sekte zum Opfer fällt. Und er wird ganz sicher nicht der Letzte sein. Die Sektenführer führen sich auf wie verantwortungsvolle Eltern, die nur das Beste ihrer Zöglinge wollen und alles dafür tun, das auch zu bekommen. Die Sektenmitglieder sind brave und hörige Kriecher, die schreien und schimpfen, sobald die Sektenführer es tun. Ein Staat ist mit dieser Konstellation nicht zu machen, Kunst auch nicht, und selbstständiges Denken verbietet sich schon aus Prinzip.

Ich schließe mit dem oben stehenden und leicht abgewandelten Zitat aus der Wikipedia, und allein das würde ich als historisches Ereignis bewerten wollen:

„Die Schweine (Pigs) sind die ‚Moralapostel‘, die den Menschen jeden Tag predigen, wie sie sich richtig zu verhalten hätten. Dabei machen gerade diese Menschen die meisten Fehler und verhalten sich besonders unmoralisch.“

Tom J. Wellbrock ist Texter und Sprecher. Gemeinsam mit Jens Berger betrieb er den Blog Spiegelfechter. Aktuell betreibt er mit Roberto J. De Lapuente den Blog Neulandrebellen.de und führt dort u.a. die Interviews.


Bild oben: Roger Waters bei einem Konzert in Santiago de Chile 2018
Foto: Andrés Ibarra, CC BY-SA 4.0,
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74416762