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Zum 100. Gründungstag der „Freidenker für Feuerbestattung“ in Berlin

Artikel von Eberhard Schinck

Viele Generationen von Denkern und Forschern haben um die Probleme der Entstehung, der Entwicklungsgeschichte und des Wesens der Religion gerungen. Zwar haben weder die antike noch die feudale, noch die bürgerliche Wissenschaft diese Fragen zu lösen vermocht, aber die Bemühungen all dieser Wissenschaftler und Forscher sind doch nicht vergebens gewesen. Die umfangreichen Ergebnisse ihrer Arbeit sind jeweils in den darauf folgenden Erkenntnissen aufbewahrt und letztlich auf höhere Stufe gehoben. Dies war nicht hauptsächlich etwa das Ergebnis der natürlichen geistigen Entwicklung der Menschheit. Das Ringen um eine wissenschaftliche Auffassung vom Wesen und den Wurzeln der Religion war vielmehr ein Teil der ideologischen Auseinandersetzung zwischen den progressiven Kräften der Gesellschaft und der Reaktion. Die Verteidiger der Religion haben auch die jeweilige Ausbeuterordnung der Sklavenhalter, der Feudalherren oder der Bourgeoisie verteidigt, und die Kritiker der Religion haben die reaktionären Kräfte der Gesellschaft bekämpft. „… die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“ [Marx, in Zur Kritik d. Hegelschen Rechtsphil. ME W. Bd. 1 S. 378]

Die Freidenkerbewegung hat von Anfang an auf der Seite der Fortschrittskräfte gestanden. Sie hat sich immer aus der Klasse, die den Fortschritt trägt, entwickelt. Arbeiterbewegung ohne Freidenker ist in Deutschland eigentlich nicht denkbar und umgekehrt. Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert ging, hervorgerufen durch die rasche Ausweitung der industriellen Großproduktion, die massenweise Proletarisierung immer schneller und brutaler voran. Soziale Entwurzelung, familiärer Ruin, Kindersterblichkeit, Arbeitsunfälle, Arbeitskrankheiten, Seuchen, Hunger und vieles mehr charakterisierten den kapitalistischen Verelendungsprozess. Kaum Wunder, dass unter diesen Bedingungen religiöse Hoffnungen, Wundergläubigkeit, Hinnahme kirchlicher Ausbeutung eine rapide Abnahme an Akzeptanz erfuhren. Freidenker waren vor zwingende Alternativen gestellt. Die Idee der Feuerbestattung hatte trotz vorangegangener jahrzehntelanger Diskussion und Propaganda durch eine Anzahl Intellektueller noch relativ wenig Verbreitung gefunden. Die große Masse der einfachen Menschen aus den untersten Klassen und Schichten waren von dieser Idee fasst noch gar nicht erfasst worden. Es gab in Deutschland nur einige wenige Krematorien, in Preußen waren noch nicht einmal die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einäscherung geschaffen. Staat und Kirche standen beide einer Bewegung für Feuerbestattung todfeindlich gegenüber. Sie waren bereit, jede Feuerbestattung zu unterdrücken.

Gerade dieser Kampf aber, den die Freidenker um die Durchsetzung ihrer noch jungen Feuerbestattungsidee gegen Kirche und Staat zu führen hatten, machte es notwendig, dass eine eigene proletarische Bewegung geschaffen wurde. Diese Bewegung sollte nicht nur wegen ihrer Stellung zur Bestattungsform entstehen. Sie sollte strukturell diese neue Idee mit der Gegnerschaft zum Obrigkeitsstaat und antikirchlichen Erkenntnissen verbinden. Die Gründung der Bewegung als Verein wurde 1905 von 12 Sozialdemokraten in Berlin vorgenommen. Sie gründeten den „Verein der Freidenker für Feuerbestattung“. Mit ihrem mutigen Schritt verfolgten die Gründerväter das Ziel: „… die Idee der Feuerbestattung, getragen von sozialistischen und antikirchlichen Erkenntnissen in die Massen des Proletariats hineinzutragen“. Der Vorsitzende des Deutschen Freidenker-Verbandes, Max Sievers, der vom faschistischen Reichsgericht zum Tode verurteilt und 1944 ermordet wurde, hatte seine grundsätzliche Bewertung dieser Gründung des „Verein der Freidenker für Feuerbestattung“ auf dem Freidenker-Reichskongress von 1925 gegeben:
„Als 1905 jene 12 Genossen zusammentraten, um im Gegensatz zu den bürgerlichen Vereinen eine in ihrer Tendenz und Struktur rein proletarische Organisation für Feuerbestattung zu gründen, ahnte wohl keiner von ihnen, zu welch mächtigem späteren Bau sie den Grundstock legten. Dennoch war es eine mutige, zielbewusste Tat, die sie vollbrachten.

Der Erinnerung daran war auch die ideologische Konferenz des Deutschen Freidenker-Verbandes am 19. Februar 2005 in Berlin unter dem Thema „Aufklärung gegen Volksverdummung und Zerstörung der Vernunft“ gewidmet.

Diesen Artikel haben wir dem BayernInfo 2/2005 entnommen.


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