Meinungsfreiheit, Demokratie – in Deutschland oder in Ungarn?
Auf Empfehlung der Freidenkergruppe Ungarn veröffentlichen wir Auszüge aus dem Magazin der Budapester Zeitung (Nr. 9-2023).
Webredaktion
Anna Berg, eine lebenslustige Thüringerin, lebt wegen der als immer unerträglicher empfundenen Zustände in Deutschland seit anderthalb Jahren in einem kleinen Ort am Balaton unweit von Keszthely. Mit ihrem ungarischen Mann zog sie Ende der 1980er Jahre von Ungarn nach Thüringen, und nun wieder zurück. Mit Rita Solymár spricht sie über ihre Motive:
(…) Dann kam die Pandemie und die damit verbundenen staatlich verordneten Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger. Dabei wurde mir einmal mehr bewusst, dass in Deutschland kritisches, vom allgemeinen Mainstream abweichendes Denken nicht mehr erwünscht ist. Andersdenkende werden diffamiert, Fragen zu stellen und Vorschriften zu hinterfragen gilt als verwerflich. Ich war einfach geschockt, als mir klar wurde, dass ich wieder überlegen musste, mit wem ich worüber sprechen kann. Und das in einer Demokratie?!
Die ach so hochgelobte Diskussionskultur der Deutschen blieb irgendwann auf der Strecke, diskutiert wird nur so lange, wie alle ins gleiche Horn stoßen. Jede Meinung, die abseits des Mainstreams liegt, ist schlichtweg inakzeptabel und natürlich unwahr. Wer sich traut, abweichende Gedanken zu äußern, wird bestenfalls nur mundtot gemacht und als Querdenker abgestempelt.
Aber was bedeutet eigentlich Querdenken? Sucht man zum Beispiel in Wörterbüchern (heutzutage natürlich online) nach dem Begriff, bekommt man fast ausschließlich Erklärungen, die Querdenker als renitente Corona-Leugner und Impfgegner beschreiben. Sucht man jedoch lange genug, so kann man auch lesen, dass das Querdenken im ursprünglichen Sinne ganz und gar nicht negativ behaftet ist, denn Neues im Denken entsteht nur, wenn man sich von der allgemein herrschenden Meinung löst und einen Gegenstand oder ein Problem aus einer anderen Perspektive betrachtet.
Querdenken ist also nützlich, ja sogar notwendig. Berühmte Wissenschaftler wie Nikolaus Kopernikus, Charles Darwin und Sigmund Freud waren Querdenker. Nicht umsonst gelten sie als Begründer unseres modernen Weltbildes, sie stellten sich quer zu den Dogmen ihrer jeweiligen Zeit, misstrauten dem Schein und den allgemeinen Denkmustern. So gesehen muss es sogar Querdenker geben, um bei der Suche nach der Wahrheit voranzukommen.
Leider hat dieser Begriff seit der Corona-Zeit einen absolut negativen Klang. Ja, Querdenker können unbequem sein, aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein, man sollte sich also immer Gehör verschaffen, wenn man anderer Meinung ist. Irgendwann werden auch unterdrückte Ansichten ans Tageslicht kommen.
Was bei mir letztendlich das sprich-wörtliche Fass zum Überlaufen brachte, war die Tatsache, dass keiner meiner Autorenkollegen im Autorenverband, dessen Mitglied ich war, die Stimme gegen die Corona-Maßnahmen erhob oder sich zumindest kritisch dazu äußerte. Ich war maßlos enttäuscht. Das traf mich so sehr, dass ich sogar meinen Facebook-Account löschte. Das Netzwerk, dem ich angehörte, brachte mir nichts mehr, denn ich konnte nicht sein, was ich bin. In dem Moment stand für mich fest, dass ich in meiner alten Heimat samt ihrer unterwürfigen, verbohrten Bürger nicht mehr leben will.
Hier in Ungarn darf ich wiederum so sein, wie ich bin, und sagen, was ich denke – darüber bin ich sehr froh. Ich lebe jetzt seit November 2021 in Ungarn und fühle mich hier rundum wohl. Ich habe lauter nette hilfsbereite Nachbarn, habe fast ausschließlich gute Erfahrungen gemacht und eine Reihe interessante liebenswerte Menschen kennengelernt. Ich habe das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein. Und wenn mich jemand fragt, kann ich ruhigen Gewissens sagen: Ich habe meine Entscheidung nicht bereut!
Wer untergräbt die Demokratie?
Tagein, tagaus rauscht es im Blätterwald, über die „gefährdete Demokratie“ in Ungarn, eine autoritäre Regierung und Sanktionen der EU, die nötig seien, das Land wieder auf „rechtsstaatlichen Kurs“ zu bringen. In einem Interview nimmt die ungarische Justizministerin Judit Varga dazu Stellung (Auszüge):
Die EU-Kommissarin Vera Jourová hat ein Konzept namens „European Democracy Action Plan“ ausgetüftelt – die Ähnlichkeit mit jener „Action for Democracy“ aus den USA, die der ungarischen Opposition illegale Gelder im Wahlkampf zufließen ließ, sticht ins Auge.
Offiziell will die Initiative aus Brüssel übrigens erreichen, dass in den europäischen Gesellschaften die Zivilsphäre, genauer gesagt die Einflussnahme von NGOs auf das öffentliche Leben gestärkt werden soll. Dabei widerspricht das allem, was wir bislang über die Demokratie wussten und dachten.
Wer Menschen repräsentieren will, muss bei Wahlen antreten, die Parteien müssen strengen und transparenten Finanzierungsregeln gerecht werden, über die sie Rechenschaft abzulegen haben. Eine Parlamentshürde verdeutlicht den Ernst dieses Unterfangens, und Einmischungen aus dem Ausland sind allgemein unerwünscht.
In einem Rechtsstaat braucht es Garantien, dass externe Akteure den Wählerwillen nicht beeinflussen. Wer Einfluss nehmen will, der muss bei den Wahlen antreten und deren Spielregeln einhalten. Die von den linksliberalen Medien in den Vordergrund gerückten internationalen NGOs unterwerfen sich keiner Kontrolle und nehmen doch Einfluss auf die Wähler. Dabei legen sie kaum etwas über sich offen.
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission beruft sich hinterhältig auf Bürgerrechte und Demokratie, während sie für die Finanzierung von internationalen Organisationen sorgt, die politischen Zielen dienen und keinerlei demokratische Vollmachten mitbringen. So wurde die Finanzierung des Themas „Europäische Rechte und Werte“ verdoppelt, wo NGOs an Staaten vorbei mit Geldern ausstaffiert werden. Um diese gut anderthalb Milliarden Euro können sich jene bewerben, die über beste Kontakte zur EU-Zentrale verfügen und ihr Netzwerk über möglichst viele Mitgliedstaaten ausdehnen.
Immer häufiger verstecken sich Geldgeber hinter dem scheinbar neutralen Antlitz einer NGO, um letztlich aber doch ihren knallharten politischen Willen durchzusetzen. Wir müssen verstehen, dass es hier nicht um die gesellschaftliche Kontrolle im guten Glauben oder aber um Tätigkeiten geht, mit denen die staatliche Präsenz ergänzt wird, wie beispielsweise beim Tierschutz. Schritt für Schritt wird sogar die Arbeit der EU-Kommission an internationale NGO-Netzwerke ausgelagert. An die Stelle einer indirekt oder auf direktem Wege gewählten politischen Führung treten die Agenten von Organisationen, die im Wesentlichen für nichts Verantwortung tragen müssen. Deshalb fordern wir pausenlos, Europa muss wieder die Demokratie der Demokratien werden.
Als die EU-Kommission mit uns im Rahmen des Rechtsstaatsverfahrens das Gesetzespaket zum Justizwesen verhandelte, stützte sich Brüssel – um die Arbeitsweise der ungarischen Gerichtsverwaltung beurteilen zu können – nicht etwa auf die dreitausend ungarischen Richter und deren Vereinigungen, sondern auf Amnesty International, Transparency International und das Ungarische Helsinki-Komitee.
Frau Jourová meinte wiederum, sie werde erst Ruhe geben, wenn sie das Paket auf einer Budapester Konferenz gemeinsam mit den Vertretern dieser NGOs zerlegen oder halt billigen kann. Es zeugt von einem extrem merkwürdigen Rechtsverständnis, wenn eine mit dem Willen der Bürger regierende Partei bei der Gestaltung von Gesetzen nicht die Meinung der von der Exekutive im Übrigen unabhängigen Richter berücksichtigen soll, sondern sich dem angeblichen Fachverstand von aus dem Ausland bezahlten NGOs zu unterwerfen hat. Das ist Nonsens!
Die Lage stellt sich jedoch vollkommen anders dar, wenn Brüssel uns Korrekturen gestützt auf die Meinung international finanzierter NGOs vorschreiben will. Noch ist die Europäische Union eine Gemeinschaft souveräner Nationen und nicht ein Imperium, das aus einem über den Nationen stehenden Zentrum gelenkt wird.
In Brüssel ist die Hungarophobie mittlerweile Usus. In den internationalen Medien wurde eine unglaubliche Diskreditierungskampagne gestartet; was Jupiter erlaubt ist, daran dürfen wir nicht einmal denken. So bezeichnete einst Judith Sargentini [EU-Abgeordnete der Niederlande] die Aufstellung von Verwaltungsgerichten in Ungarn als einen gegen die Rechtsstaatlichkeit gerichteten Akt. In der Slowakei wurden solche Gerichte erst kürzlich eingeführt, unter anderem um an Gelder in Kohäsionstöpfen zu gelangen. Hier geht es nicht um juristische oder fachliche Fragen, hier findet eine politische Hexenjagd statt.
Ein riesiges Geflecht aus Politikern und Experten arbeitet in Brüssel daran, dass es den Ungarn so schlecht wie möglich gehen möge. Seit Jahren erlebe ich, dass in Dokumenten der Kommission die gleichen Formulierungen auftauchen, wie sie von unserer Opposition daheim benutzt werden. Es werden konkret Texte abgestimmt, den Stift in Brüssel führt häufig eine ungarische Hand. Ich übertreibe hier keinesfalls. Ohne ungarisches Zutun würde dieses Programm gar nicht zur Aufführung gelangen.
Wir müssen uns nicht moralisch rechtfertigen und dem Druck der internationalen Medien nachgeben, das Parlament muss zuallererst die ungarischen Interessen zur Geltung bringen. Wir sind es leid, dass die als „die Guten“ deklarierten Demokratien den nicht gefälligen souveränen Ländern laufend vom hohen Ross aus diktieren wollen! Mit welchem Recht tun sie das? Wir lassen nicht so mit uns umspringen! Ungarns Regierung besitzt ausreichende Vollmachten und Stabilität, um ihre abweichende Meinung kundzutun.
Nehmen wir die Richter, die im Magazin „Politico“ nahezu täglich lesen müssen, sie seien nicht unabhängig. Was denken sich diese Leute eigentlich, wer sie sind? Wie können Politiker eines Landes, wo die Regierung den Generalstaatsanwalt ernennt, eine mangelnde Unabhängigkeit der ungarischen Justiz beklagen?
Judit Varga, Jahrgang 1980, ist seit Juli 2019 ungarische Justizministerin.
Wir danken Herrn Jan Mainka, Herausgeber und Chefredakteur der Budapester Zeitung, für die Genehmigung der Textübernahme.
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