Hinterhältige Strategie Washingtons und Londons: Deutschland Speerspitze gegen Russland
Wolfgang Bittner im Interview bei Rossija Segodnja, Moskau
Rossija Segodnja: Herr Bittner, soeben ist Ihr neues Buch „Ausnahmezustand – Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“ erschienen. Warum dient Deutschland, wie es in der Verlagsinformation heißt, als Speerspitze gegen Russland, was auch auf den Krieg in der Ukraine zutrifft?
Wolfgang Bittner: Was sich zurzeit zwischen Deutschland und Russland abspielt, ist eine Tragödie. Es ist eine Jahrhundert-Katastrophe. Besonders tragisch ist, dass sich Deutschland jetzt zum dritten Mal gegen Russland in Stellung bringen lässt. Das war im Ersten und Zweiten Weltkrieg so und ist auch jetzt wieder der Fall. Durch die bedingungslose Kapitulation 1945 geriet Deutschland vollkommen in die Hand der USA, darüber habe ich eingehend in meinem neuen Buch geschrieben. Die USA verfolgen nach meiner Analyse seit über einem Jahrhundert eine Langzeitstrategie, die der Ausschaltung Deutschlands dient, vor allem auch der Verhinderung einer Kooperation zwischen Deutschland und Russland als einer wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenz. Jetzt wird Deutschland als Speerspitze gegen Russland eingesetzt und Japan und Südkorea gegen China. Die USA wollen mit aller Macht ihren durch nichts begründeten Anspruch auf globale Herrschaft durchsetzen, selbst wenn es dabei zu einem großen Krieg kommen sollte. Also diese Hybris geht von den Neokonservativen in Washington mit den dortigen Finanz- und Wirtschaftseliten und natürlich ihrer Galionsfigur Joseph Biden aus. Ich halte Biden für den gefährlichsten Politiker der letzten Jahrzehnte. Er ist es auch, der Deutschland jetzt zur Unterstützung der Ukraine verpflichtet. Wirtschaftlich profitieren die USA enorm durch diesen Konflikt, den sie ja immer wieder von neuem anheizen.
Sie haben gesagt, Biden sei ein sehr gefährlicher Politiker. Darf ich fragen, warum Sie das meinen?
Joseph Biden hat alle Konflikte und Kriege der letzten Jahrzehnte mitzuverantworten, und er ist jetzt als Präsident so weit gekommen, dass er die Aggression gegen Russland und auch gegen China auf die Spitze treiben kann. Ich denke, er ist keine große Leuchte, aber er ist gerissen und bauernschlau und er hat immer noch die Zügel in der Hand, natürlich im Einvernehmen mit seinem, sagen wir mal, Schattenkabinett, also den Finanz- und Wirtschaftseliten, die hinter ihm stehen und die ihn auch in das Präsidentenamt hineingebracht haben.
Sprechen wir über Ramstein. Es ist noch nicht ganz klar, ob Deutschland doch seine Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine liefert. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat gesagt, Deutschland liefert diese Panzer, wenn es auch die USA mit ihren Abrams tun. Damit überschreite das Land die rote Linie und sei „indirekt“ am Krieg in der Ukraine beteiligt, muss auch der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius zugeben. Indirekt nur in dem Sinne, dass man keine deutschen Soldaten an die Front schickt.
Ich bin kein Militärexperte, aber der Leopard-Kampfpanzer ist ebenso wie der amerikanische Abrams keine Verteidigungswaffe, sondern eine Offensivwaffe. Wie sich jetzt der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius gegenüber Russland verhalten wird, das hängt ja von Bundeskanzler Olaf Scholz ab. Und wie der weiter vorgehen wird, hängt wiederum von den Entscheidungen ab, die in Washington getroffen werden. Dass Deutschland bereits durch die vielen Waffenlieferungen und die horrenden Geldzuwendungen an die Ukraine zur Kriegspartei wurde, das ist ungeheuerlich. Wer wird das letztlich der deutschen Bevölkerung gegenüber vertreten? Diese hinterhältige, bösartige Strategie Washingtons und auch Londons zielt darauf ab, Deutschland immer mehr in diesen Stellvertreterkrieg in der Ukraine hineinzuziehen. Und die Berliner Politiker, von denen viele in den USA geschult und ausgerichtet worden sind, unterwerfen sich zum Nachteil der Bevölkerung den US-amerikanischen Interessen. Sie machen mit und brechen damit ihren Amtseid, wonach sie dem Wohle des deutschen Volkes dienen sollen und Schaden von ihm abwenden sollen. Aber die USA haben Deutschland fest im Griff. Das wurde gerade jetzt wieder deutlich, als der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin zu einer Konferenz für die weitere Unterstützung der Ukraine auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Ramstein einlud, also diesem zentralen Drehkreuz für die amerikanische Luftwaffe. Das ist eine völlige Missachtung der deutschen Souveränität. Es dokumentiert geradezu, dass Deutschland nach wie vor unter Vormundschaft der USA steht, also nicht souverän handeln kann. Wir haben ja in Deutschland elf große amerikanische Stützpunkte. Das ist sozusagen exterritoriales Gebiet, da können die Amerikaner machen, was sie wollen. Sie haben da Sonderrechte. Sie können übrigens auch – das ist in einem Zusatzvertrag zum Stationierungsabkommen festgelegt – die deutsche Kommunikation überwachen. Also wenn sie damals das Handy der Bundeskanzlerin abgehört haben, dann war das legal. Das muss man alles berücksichtigen.
Sind Sie, Herr Bittner, mit der Feststellung einverstanden, die Lieferung schwerer Offensivwaffen könne die Situation um die Ukraine eskalieren? Könnte das den Sieg der Ukraine bringen? Wie sehen Sie das?
Dass die Lieferung schwerer Offensivwaffen die Situation in der Ukraine nur eskalieren kann, hat sich ja in den vergangenen Wochen bewiesen. Je mehr Waffen der Westen liefert, desto länger wird diese Auseinandersetzung dauern. Die Ukraine geht dabei allmählich zugrunde. Aber auch Deutschland, das ständig Waffen liefert und Milliarden an Kiew zahlt, wird ruiniert. Zurzeit findet ja wegen der Lieferung des Leopard-Kampfpanzers geradezu eine Treibjagd auf die Berliner Regierung und Olaf Scholz statt. Fraglich, ob der Bundeskanzler dem noch länger standhalten kann. Er verzögert das ja. Die deutsche Bevölkerung will jedenfalls in ihrer Mehrheit Frieden mit Russland. Das zeigt sich auch immer wieder bei Befragungen …
Ja, das haben die letzten Umfragen im Auftrag der dpa gezeigt, wie ich gesehen habe …
Ein großer Teil der Bevölkerung ist gegen die Lieferung weiterer Waffen und auch gegen diese weiteren Milliardenzahlungen an die Ukraine. Man fragt sich in großen Teilen der Bevölkerung inzwischen, warum Deutschland der Ukraine überhaupt irgendetwas schulden sollte. Also wir, die Deutschen, unterstützen ja inzwischen ein ganzes Land und gehen dabei selber vor die Hunde. Es ist ganz klar: Die Mehrheit der Deutschen will Frieden mit Russland. Aber dieses Bedürfnis wird von der eigenen Regierung, offensichtlich aufgrund des Drucks aus Washington, missachtet. Selenskyj kann die Bundesregierung beleidigen und beschimpfen. Aber Herr Scholz und diese unsägliche Außenministerin Baerbock versichern ihm weiterhin ihre unbegrenzte Unterstützung. Wie kommen sie dazu, eine unbegrenzte Unterstützung auf Kosten der deutschen Bevölkerung dieser maroden Ukraine, die von Nationalisten und Faschisten regiert wird, zu versichern? Was für eine entsetzliche Politik ist das? Selenskyj, der nach meiner Einschätzung als Marionette der USA und der ukrainischen Faschisten den Untergang der Ukraine betreibt, darf seine Kriegspropaganda vor der UNO und kürzlich vor dem Weltwirtschaftsforum betreiben. Ich halte das für eine Ungeheuerlichkeit. Übrigens gibt es einen Paradigmenwechsel in der Einschätzung des Ukraine-Krieges. Auf westlicher Seite leitete das vor einigen Wochen der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der USA, General Mark Milley, ein, als er in einem Interview in der New York Times entgegen der Politik Joseph Bidens zu Verhandlungen mit Russland aufrief. Offenbar fürchten hohe Militärs in den USA und Europa inzwischen die Inkompetenz von Politikern wie Biden, Austin, Selenskyj oder auch Baerbock, und melden sich allmählich zu Wort.
Wie stehen Sie dazu, Herr Bittner? Sollen nun eher die Waffen oder eher die Diplomatie eine besondere Rolle im Ukrainekonflikt spielen?
Die Kiewer Regierung hat ja Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ostukraine seit 2014 entweder boykottiert oder abgelehnt. Und die Ex-Bundeskanzlerin Merkel, wie auch der französische Präsident Macron und der ehemalige ukrainische Präsident Poroschenko, haben zugegeben, dass die Vereinbarung von Minsk lediglich dazu gedient hat, die Ukraine gegen Russland in Stellung zu bringen und aufzurüsten. Ein unglaublicher Skandal! Die westliche Allianz hat sich damit als verlogen und kriegstreiberisch entlarvt. Was sich da abspielt, das ist wirklich haarsträubend. Mir machen auch diese Kriegspropaganda und diese Militarisierung große Sorgen. Das gesellschaftliche Klima in Deutschland hat sich dadurch erschreckend verändert. Kultur spielt kaum noch eine Rolle, und die Menschen werden belogen und indoktriniert. Wenn die USA die berechtigten Sicherheitsforderungen Russlands erfüllt hätten und die ukrainische Regierung den Weg der Neutralität eingeschlagen hätte, wäre es überhaupt nicht zum Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine gekommen. Der deutsche Ex-General Erich Vad forderte kürzlich, dass der sinnfreie Aktionismus in der deutschen Politik, so nannte er das, endlich ein Ende finden müsse. Waffenlieferungen ohne ein politisch strategisches Konzept seien Militarismus pur. Es ist doch kurios und eigentlich zutiefst erschreckend, wenn westliche Militärs für ein Ende der Aggression und für Diplomatie eintreten, während die Politiker und die Medien Kriegspolitik und Propaganda betreiben. General Vad kritisierte übrigens auch eine Gleichschaltung der Medien in Deutschland, er wurde deswegen scharf angegriffen. Um das Leiden der Zivilbevölkerung in der Ukraine und den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands zu beenden, muss meines Erachtens so bald wie möglich verhandelt werden, und zwar zwischen Russland und den USA. Denn was in der Ukraine geschieht, haben vor allem die USA zu verantworten. Ohne sie passiert da gar nichts. US Präsident Joseph Biden wähnt sich jetzt am Ziel seiner jahrzehntelangen Bemühungen, Russland zu ruinieren und den westlichen Begehrlichkeiten wie auch den strategischen Interessen zu unterwerfen. Das wird die russische Regierung nicht zulassen. Ich bin überzeugt, dass sich Russland in dieser Auseinandersetzung trotz der immensen Waffenlieferungen der westlichen Allianz durchsetzen wird. Etwas anderes ist meines Erachtens überhaupt nicht möglich. Russland ist eine Atommacht und wird eine Niederlage niemals zulassen.
Könnte es vielleicht sein, dass Selenskyj jetzt seine eigene Rolle auf der internationalen Bühne spielt, und dass er wegen Verhandlungen mit Russland nicht immer die USA in Betracht zieht?
Selenskyj empfinde ich als ziemlich furchtbar. Er ist von Beruf ein Schauspieler, ein Showman. Das lebt er jetzt aus. Aber hinter ihm stehen natürlich die amerikanischen und britischen Geheimdienste und das Weiße Haus. Wie gesagt, in der Ukraine passiert fast gar nichts ohne Wissen und Zustimmung der USA. Davon kann man ausgehen. Und Deutschland wird in die Enge getrieben. Es ist ja so, dass auch in Büchel in Rheinland-Pfalz Atomwaffen stationiert sind. Und der Luftwaffenstützpunkt Ramstein ist die größte Militärbasis der US-Luftwaffe außerhalb der USA. Dort befindet sich die Kommandozentrale der Luftstreitkräfte der NATO, und von Ramstein aus überwacht sie die Raketenabwehr des NATO-Bündnisses, von dort steuern die USA auch den weltweiten Einsatz von Kampfdrohnen. Deutschland ist nach wie vor ein besetztes Land, das muss man bei allem, was geschieht, berücksichtigen.
Wolfgang Bittner, Jahrgang 1941, lebt als freier Schriftsteller in Göttingen
Wir danken Wolfgang Bittner für die Genehmigung zur Veröffentlichung des Interviews.
Bild oben: Gebäude der Nachrichtenagentur Rossija Segodnja in Moskau
Foto: Aleksey Savitskiy, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62069615