Größte deutsche Wohnungskonzerne in der Hand von Blackrock & Co
Aus: „FREIDENKER“ Nr. 4-22, Dezember 2022, S. 10-15, 81. Jahrgang
von Fred Schmid
77 Tausend und eine Unterschrift mit der Forderung nach Enteignung übergab die »Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« Mitte Juni dem Berliner Senat. Laut Landesgesetz hätten nur 20.000 Unterschriften innerhalb von sechs Monaten für die Zulassung zum Volksbegehren gesammelt werden müssen. Die Initiative schaffte die 77.001 in nur zwei Monaten: „Dass wir so viele in so kurzer Zeit sammeln konnten, zeigt unmissverständlich wie frustriert die Berliner/innen mit der Profitmacherei der Immobilienkonzerne sind“, erklärte Jenny Stupka, Sprecherin der Deutsche Wohnen & Co Enteignen. Neben der Deutschen Wohnen sollen alle privaten Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden. Allein Deutsche Wohnen (115.500 Wohnungen in Berlin) und Vonovia (44.000) gehören mehr als 10% aller 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen.[1]
Erste Konzentrationswelle am Wohnungsmarkt
„Die Struktur der Wohnungsanbieter hat sich seit dem Jahr 2000 deutlich verändert“, schreibt Professor Guido Spars, Forscher für Stadt- und Regionalökonomie sowie -entwicklung. „Vor allem große Wohnungsunternehmen prägen mehr und mehr das Geschehen am Wohnungsmarkt“.[2]
Eine wesentliche Vorbedingung für den Konzentrationsprozess am Wohnungsmarkt – Herausbildung großer Immobilienkonzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG – und den Einstieg der Finanzinvestoren ab Ende der 90er, in den Nullerjahren und nach der Finanzkrise 2009 bestand in der Abschaffung der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen: „Artikel 21 – Gesetz zur Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt“ (1988 Bundesgesetzblatt).
Eigentümerstruktur
Von den rund 41,3 Millionen Wohneinheiten (WE) in Deutschland befindet sich ziemlich genau die Hälfte (20,8 Mio. WE) im Geschosswohnungsbestand. Davon
- 3 Mio. WE (14,4%) im Eigentum von Selbstnutzern;
- 8,8 Mio. WE (42,3%) im Eigentum von privaten Kleinanbietern;
- 8,9 Mio. WE (42,8%) im Eigentum von professionellen, gewerblichen Anbietern
Letztere teilen sich auf:
- Privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen: 3,9 Mio. WE (18,8%);
- Kommunale Wohnungsunternehmen: 2,4 Mio. WE (11,5%)
- Wohnungsgenossenschaften: 2,1 Mio. WE (10,1%)
- Sonstige (Kirchen, Gewerkschaften, öffentliche Whg. U.: 0,5 Mio. WE (2,4%).[3]
„Bis 1990 mussten viele Wohnungsunternehmen wegen der Gemeinnützigkeit bestimmte Steuern nicht zahlen, dafür waren sie bei Miete und Gewinn stark eingeschränkt“, schreibt der Spiegel mit Verweis auf das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das dies als wichtigste Vorbedingung nennt, dass die Wohnungen an die Börse kamen. „Erst das Ende der Gemeinnützigkeit hob die Gewinnschranken auf und machte Hunderttausende Wohnungen für Investoren attraktiv“.[4]
Am 01.01.1990 wurde das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) aufgehoben. Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen waren bis dahin von der Körperschafts-, Gewerbe- und Vermögensteuer befreit. Das WGG regelte die Bedingungen für die Anerkennung als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen.
- Einerseits waren sie verpflichtet, ihre Tätigkeit auf den Bau und die Betreuung, die Bewirtschaftung von Wohnungen sowie auf städtebaulichen Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahmen zu beschränken,
- andererseits waren sie von der Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer befreit. Darüber hinaus gab es Befreiungen bei der Grunderwerbsteuer und Ermäßigungen bei der Grundsteuer.
- An die Eigentümer/Gesellschafter eines gemeinnützigen Wohnungsunternehmens konnte – auch unter den Regeln des WGG – Gewinne ausgeschüttet werden, allerdings begrenzt auf jährlich höchstens 4 % der eingezahlten Kapitaleinlage.
Nicht steuerpflichtig sind nach § 5 I Nr. 10 des Körperschaftssteuergesetzes weiterhin die sog. Vermietungsgenossenschaften, die mindestens 90 Prozent ihrer Geschäftstätigkeit auf die Vermietung ihrer Wohnungsbestände an Mitglieder ausgerichtet haben.
Nach Wegfall der Verpflichtungen aus dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz hatten Länder und Kommunen freie Hand, regelmäßige Mieterhöhungen vorzunehmen und auch Wohnungsbestände ihrer bisher gemeinnützigen Unternehmen „zu versilbern“ und an private Investoren zu verkaufen.
Insbesondere nach der Finanzkrise 2008/ 09, erreichten die Verkäufe öffentlicher Wohnungsbestände ihren Höhepunkt, nachdem internationale Investoren den Immobilienmarkt als sichere Kapitalanlage entdeckt hatten. Zwischen 2009 und 2014 stieg das Transaktionsvolumen von 3 Mrd. auf 25 Mrd. Euro.
Der Wohnungsmarkt geriet so in den Fokus aus- und inländischer Investoren. Dazu trug auch die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne bei, die ab 2002 von der rot-grünen Bundesregierung gewährt wurde. Danach können Unternehmen und auch Immobilien steuerfrei gehandelt werden, ohne dass die enthaltenen stillen Reserven – Differenz zwischen Buch-/Bilanzwert und Verkaufspreis – nachversteuert werden müssen.
Die Wohnungen sind dadurch gänzlich zu einer Ware geworden.
Herausbildung großer Wohnungskonzerne
Eine Art Startsignal für die Verhökerung von gemeinnützigen Wohnungen im großen Stil war der Verkauf von 114.000 Eisenbahnerwohnungen durch den Bund im Jahr 2000. Treppenwitz der Geschichte: Am 11. Juli 2019 ist in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Bahn baut Wohnungen“ zu lesen: Die Bahn wolle in den kommenden Jahren 100.000 neue Beschäftigte einstellen und dabei seien „bezahlbare Mieten für unsere Mitarbeiter ein großes Thema geworden.“
Dem Beispiel der Bahn folgten auch zahlreiche Gemeinden, die teils aus Finanznot ihre kommunalen Wohnungen verkauften; allen voran Berlin, das rund 100.000 Wohnungen an die US-Investmentgesellschaften Cerberus und Oaktree verscherbelte.
Professor Guido Spars kommt zu dem Ergebnis: „Seit 2000 bis 2015 wechselten somit knapp 3,2 Millionen Wohnungen den Eigentümer (Transaktionen ab 800 verkauften Wohnungen im Paket), davon alleine rund 1,3 Millionen Wohnungen zwischen 2004 und 2007“. Eine zweite Verkaufswelle, mit jährlich im Durchschnitt 320.000 Wohnungen (täglich also fast 1.000) schwappte zwischen 2013 bis 2015 über den Wohnungsmarkt. (Spars, S. 2)
In den Jahren ab 2010 sind es häufig die gleichen Wohnungen oder auch Wohnungsunternehmen, die den Eigentümer wechseln. Spars: „Seit dem Jahr 2010 liegt der Anteil der Wiederverkäufe an den Transaktionen bei über 70 Prozent (BBSR 2015). Immer mehr Investoren ‚der ersten Stunde‘ verkauften in den letzten Jahren an Wohnungsunternehmen und etablierte Player des Wohnungsmarktes“.
Die „Investoren der ersten Stunde“ waren größtenteils reine Finanzinvestoren, die die Wohnungen in erster Linie als Spekulationsobjekt betrachteten. Sie kauften die Wohnungen oder auch kleinere Wohnungsunternehmen in der Absicht, sie nur kurzfristig zu halten und zu verwerten, also mit Gewinn weiter zu verhökern. Dazu passt auch, dass sie vorrangig sanierungsbedürftige Wohnungen aus dem unteren Preissegment der 50er bis 70er Jahre kauften. Diese sanierten sie dann, legten die Sanierungskosten auf die Mieter um, katapultierten die Wohnungen in ein höheres Preissegment und verkauften i.d.R. die Wohnungen wieder – mit erheblichem Gewinn.
An die Stelle der Finanzinvestoren traten zunehmend größere und große Immobilienkonzerne und Wohnungsunternehmen, die die Wohnungswirtschaft professionell-gewerblich betrieben. Sie kauften Wohnungen, um ihren Gesamtprofit durch höhere Mieteinnahmen zu mehren und gewisse Skaleneffekte zu erzielen: Senkung der Fixkosten (Verwaltung, Management), Bewirtschaftungskosten (z.B. Hausmeister-Service) pro Wohneinheit. Auch sie nutzen den Sanierungsspielraum (mit der gesetzlich erlaubten Umlage auf die Mieter) und den Mieterhöhungsspielraum. „Die größten Mietsteigerungen (…) konnte mit durchschnittlich fast 20% die seit 2013 zur Deutsche Wohnen AG gehörende Berliner GSW realisieren“, heißt es bei BBSR 2017. Spars: „Es lässt sich jedoch grundsätzlich erkennen, dass die börsennotierten Unternehmen Mieterhöhungsspielräume, die bei Mieterwechsel oder bei Modernisierung entstehen, weitestgehend ausnutzen“. (Spars, S. 6)
Auch für Finanzinvestoren waren große Wohnungskonzerne interessant, vor allem wenn diese börsennotiert waren. Vor allem nach der Finanzkrise suchten Versicherungen, Pensionsfonds und Vermögensverwalter nach soliden, aber dennoch rentablen Möglichkeiten, das Vermögen ihrer Kunden zu mehren. Vor allem in Zeiten fallender und Nullzinsen warf Betongold für Großanleger vergleichsweise solide Renditen ab. Börsennotierte Wohnungskonzerne boten sich dabei als übersichtliche und solide Anlageobjekte an. Gerade ausländische Investoren entgehen dabei dem Problem, dass sie sich dabei mit den Tücken des deutschen Mietwohnungsmarktes herumschlagen müssen.
So ist es nicht verwunderlich, dass erstens, die größten privatwirtschaftlichen Wohnungsgesellschaften – mit einer Ausnahme: Vivawest (121.000 Wohnungen; Anteilseigner RAG und IB BCE) – alle börsennotiert sind (Vonovia, der größte Wohnungskonzern, ist im Dax-30 gelistet. Deutsche Wohnen, LEG, TAG, Grand City Properties im M-Dax und der kleinste, Adler Real Estate, im S-Dax.), und sich zweitens die sechs größten Wohnungskonzerne in den Händen internationaler Finanzinvestoren, vor allem aus den USA, befinden (Soweit nicht anders angegeben, alle Angaben aus dem Jahr 2018.)
Zu beachten ist: wenn das Aktienkapital weitgehend in Streubesitz ist, genügt größeren Aktionären ein relativ geringer Prozent-Anteil (etwa über 5 – 10%), um beherrschenden Einfluss auf die AG ausüben zu können.
Die sechs größten börsennotierten Wohnungskonzerne verfügten 2019 über einen kumulierten Wohnungsbestand von 927.000 Wohnungen; 113.000 WE mehr als im Jahr 2015: + 14%.
Bezogen auf den gesamten Geschosswohnungsbestand (20,8 Millionen WE) sind das nur knapp 5 Prozent (4,46%), aber immerhin fast ein Viertel (24%) des Wohnungsbestands Privatwirtschaftlicher Wohnungsunternehmen (Aufteilung siehe oben).
In Ballungszentren sind die Anteile weit größer: in Berlin z.B. verfügen Vonovia und Deutsche Wohnen zusammen über 10 Prozent aller Mietwohnungen; in Kiel gehören der Vonovia etwa ein Viertel Mietwohnungen, in Dresden sind es rund 15%. (Savills/Schenk, S.6)
Profite
Die sechs Wohnungskonzerne holten 2018 aus ihren Mietern einen Brutto-Profit (vor Steuern) von aggregiert fast zehn Milliarden heraus: 9,52 Mrd. Euro. Nach Steuern blieb davon ein Netto-Profit von 6,32 Mrd. Euro. Dieser wird zu etwa der Hälfte als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet – zuvorderst an die Finanzkonzerne und Vermögensverwalter BlackRock, MFS und andere. Mieter sind so gesehen Melkkühe, die Vermögende noch reicher machen. Der restliche Teil der Netto-Profite wird in der Regel für Investitionen verwendet, aber weniger für den Bau neuer Wohnungen, denn für den weiteren Aufkauf von Wohnungsbeständen.
Bei Enteignung der Konzerne und Überführung in Gemeineigentum ließen sich statt der jetzigen Profite für Dividenden und Wohnungsaufkäufen, sehr wohl Wohnungen bauen: bei 6,3 Milliarden Euro Nettoprofit etwa 40.000 (ohne Grundstückskosten).
Auch der Staat verdient am jetzigen Mietwucher: Die Differenz zwischen Bruttogewinn und Nettoprofit – bei den sechs Wohnungskonzernen gut drei Milliarden Euro – ist größtenteils auf Ertragsteuern zurückzuführen (teilweise auch Zinsen – drei der sechs Konzerne weisen nur das EBIT aus = Earning Before Interest and Taxes: Gewinn vor Zinsen und Steuern).
Nehmen wir den Steueranteil mit zwei Drittel, dann kassiert der Staat über zwei Milliarden Euro an Steuereinnahmen, allein von den sechs Konzernen. Das ist weit mehr als die Öffentliche Hand pro Jahr an Zuschüssen für den Sozialen Wohnungsbau bereitstellt. 2019 leistet der Bund 1,5 Mrd. Euro so genannte Kompensationszahlungen („Entflechtungsmittel“) an die Länder, die seit 2006 für den Sozialen Wohnungsbau zuständig sind (in den Jahren davor waren es noch weniger). 2020 sollen es zwei Milliarden zweckgebundene Finanzhilfen für den Sozialen Wohnungsbau sein (BGBl. I, S. 404).[5]
Privatwirtschaftliche Wohnungskonzerne bauen in der Regel keine Wohnungen, sie kaufen Wohnungen auf. Am liebsten im Tausenderpack, indem sie kleinere Wohnungsunternehmen übernehmen bzw. mit ihnen fusionieren. Den größten Coup plante Vonovia im Jahr 2015: Der größte deutsche Wohnungskonzern wollte den zweitgrößten, die Deutsche Wohnen für 14 Milliarden Euro übernehmen. Es wäre ein Immobiliengigant mit mehr als einer halben Million Wohnungen entstanden. Die Fusion scheiterte letztlich am Widerstand der Deutsche Wohnen.
Fiskus beschleunigt Konzentration am Wohnungsmarkt
Die Vorliebe von Immobilienkonzernen für Übernahmen (oder Beteiligungen) an ganzen Wohnungsunternehmen hat auch einen steuerlichen Grund. Beim Erwerb eines Hauses oder einer Wohnung wird Grunderwerbsteuer fällig, je nach Bundesland zwischen 3,5 und 6,5 Prozent. Wer allerdings Immobilien nicht direkt kauft, sondern Anteile an einem Unternehmen, dem diese Immobilien gehören, zahlt in der Regel überhaupt keine Grunderwerbsteuer. Einzige Bedingung: Der Käufer darf nicht mehr als 95 % der Anteile übernehmen. Felix Rohrbeck: „Obwohl Vonovia sich durch die Übernahme der Deutsche Wohnen also 147.000 Wohnungen einverleiben würde, müsste der Konzern nicht einen Cent Grunderwerbsteuer zahlen“.[6]
Und: „Der Konzern wächst durch Zukäufe. Dadurch ‘werden Unsummen bewegt, entsteht aber keine einzige neue Wohnung in Deutschland’, kritisiert der Mieterbund“.
Die Konzentration auf dem Wohnungsmarkt wird sich fortsetzen.
Dr. Fred Schmidt ist Mitarbeiter des isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. in München.
Der vorstehende Text wurde zuerst veröffentlicht auf der Internetseite: https://kommunisten.de/rubriken/kapital-a-arbeit/7613-groesste-deutsche-wohnungskonzerne-in-der-hand-von-blackrock-co
Quellen:
[1] Savills Research, Eigentümerstrukur am Wohnungsmarkt, März 2019, S. 6f)
[2] Guido Spars, Bundeszentrale für politische Bildung, Die Etablierung großer Wohnungskonzerne und deren Folgen für die Stadtentwicklung, S.1
[3] Guido Spars, a.a.O.
[4] Das sind Deutschlands größte Vermieter, Spiegel, 19.11.2018, https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/vonovia-deutsche-wohnen-leg-deutschlands-groesste-vermieter-a-1238295.html
[5] zu „Sozialer Wohnungsbau“, s. Holm/Schreer, Mietpreis-Explosion und Wohnungsnotstand, isw-report 116/117, S. 33 – 38
[6] Rohrbeck, Felix: Die Schlacht der XXL-Vermieter, Die ZEIT, 4.2.16, https://www.zeit.de/2016/06/wohnungskonzerne-fusion-vonovia-deutsche-wohnen/komplettansicht
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