Weltanschauung & Philosophie

Der Mensch ohne Identität…

von Gregor Gasse

 Der Mensch ohne Identität ist der Mensch
der im Licht der Öffentlichkeit steht
der nicht nach Selbsterkenntnis
sondern nach Macht und Aufwertung strebt
weil er ohne inneren Kern lebt
in einem untrennbaren Bezug zum Gegenüber steht
was er als Entwertung seiner selbst versteht
und nicht als allgemein menschlichen Aspekt
da er allein durch die Bewertung des anderen besteht
weshalb er mit allen Mitteln nach Macht strebt

Er gehört verschiedenen Parteien an und ist doch austauschbar
beliebig, Überzeugungstäter und sein Claqueur
er ist der Mensch, der die Überschriften und Artikel regiert
gleichsam ist er der Mensch, der ihr Image orchestriert
weil der Führer durch die Medien geschaffen und gestürzt wird
so ist heute jener und morgen dieser ihr Held
je nachdem, wie er sich zur ausgerufenen Wahrheit verhält
die letztlich aber auch der Journalist von einer höheren Stelle erhält
vom Menschen ohne Identität, der alles in seinen Händen hält
er teilt die Welt in Gute und Schlechte, Servile und Eigensinnige
und ist dabei selbst kleinlich, borniert, ehrgeizig, unzulänglich
ein Teufel, wie man ihn aus John Miltons „Verlorenem Paradies“ kannte
was Gott sechs Tage abverlangte, zerstört er innerhalb weniger Augenblicke
und glaubt sich stark, glaubt sich wichtig
zerstören kann er, aber schaffen, schaffen kann er nicht

Er ist für den Umweltschutz und Befürworter von Frackinggas
beschwört den Frieden und setzt auf Eskalation
spricht sich für gesellschaftliche Vielfalt aus
und akzeptiert doch einzig seine eigene Meinung
es gibt viel zu sagen, aber darüber sollte man lieber schweigen
während sie Friedenspreise an bekennende Rassisten verteilen*
denn hier wird nur eine Meinung ausgezeichnet und geduldet
die Karriereleiter ist das Trittbrett, ihm ist das eigene Bekenntnis geschuldet
weshalb jeder Gefeierte letztlich ohne eigene Meinung ist
ein Mensch ohne Identität, Faschist, Demokraft, Christ, Opportunist
was auch immer gerade zeitgemäß und erforderlich ist
er wandelt sich innerhalb von Augenblicken
will stets mehr Macht und kann sich gleichsam nicht genug erniedrigen
sollte er jemand anderes als mächtiger, einflussreicher erkennen

Denn das allein liegt in seinem Verständnis
alles andere ist lediglich ein Lippenbekenntnis
gemacht um Zweifel und Empörung zum Schweigen zu bringen
wer waren sie schon, die Wahrheit gehört dem
der die Macht über die Medien und folglich über die Menschen hat
es ist nicht die Vernunft, die das letzte Wort innehat
sondern die ständige Wiederholung von Parolen war es
was das Denken und Empfinden der Menschen steuert
kaum zu glauben, aber Propaganda funktioniert
ganz gleich, wie dreist und plump gelogen wird
Propaganda funktioniert, da der Mensch ohne Identität
nicht allein regiert, er ist auch derjenige, der marschiert
diese Millionen, die sich immer wieder verführen ließen
sie sahen nicht die fehlende Identität, an der sich so manche stießen
sie sahen einzig das Image, welches die Medien aufbauten
und nach dem sie sich so unweigerlich sehnten
nach dem starken Führer, der Karikatur eines selbstbewussten Menschen
der machtgeilen Mutter, der jegliche weibliche Eigenschaften fehlten
aber das konnten sie nicht sehen, weil Menschen ohne Identität
alles für wahr nehmen, solange sie selbst keine Verantwortung tragen müssen
denn nichts fürchten sie so sehr als das Stehen auf eigenen Füßen*²

Das mag als Widerspruch erscheinen, sich nach der Masse zu sehnen
und zugleich den Anspruch des Führers zu hegen
aber in der Massenbewegung versteckt sich gleichsam Macht
sie trägt das Individuum scheinbar über sich hinaus
lebt sich in den Allmachtsphantasien des Führers aus
der allein durch die Masse wirklich besteht
weshalb die Selbstauflösung eine so große Anziehungskraft
auf Millionen von Menschen ausübt, der Führer wird aus dem Konkreten befreit
aufgebläht zur Hysterie und Kopflosigkeit der Masse
die sich zeitgleich in ihm zu etwas Abstraktem, Unverantwortlichem auflöste
sie waren assimilierter Teil einer auserkorenen Bewegung
deshalb gab es keine zweite Meinung
wer dagegen war oder zu differenzieren suchte
wurde unmittelbar zum Feind, den man unbarmherzig verfolgte
denn er verriet die große Sache, die glorreiche Stunde
die Nation, die wieder einmal zu einem gestaltlosen Klumpen wurde
wo keiner eine eigene Meinung hatte und doch jeder das richtige dachte
plötzlich war alles wieder so einfach, wie die Wirklichkeit gar nicht zu sein vermochte
aber wer das bezweifelte, den schlug man tot, wenn man das schon konnte
sonst schrie man ihn nieder und hetzte den virtuellen Mob auf ihn
nichts war einfacher, als einen Schuldigen zu erfinden
jemand, der dafür verantwortlich war, dass die Versprechen sich nicht erfüllten
dafür gab es die Propaganda, den Sündenbock und die Durchhalteparolen

Sie strebten grundsätzlich nach der Situation ohne Umkehrmöglichkeit
handelten nach Zwängen, kannten einzig die Alternativlosigkeit
denn sie fürchteten die Alternative, das kreative Handeln
würde es schließlich ihre Unzulänglichkeit offenbaren
der Mensch ohne Identität konnte nur durch Zwänge handeln
doch je schlechter die Situation würde, umso besser wäre, was nachher folgte
sie verkehren jegliche Logik und wurden nicht müde
inhaltslose Phrasen zu wiederholen, der Frieden würde schon kommen
die Stille nach all dem Morden haben sie nicht zu verantworten
die Rüstungskonzerne, Banken und Vermögensverwalter verdienen Milliarden
derweil die Energie- und Lebensmittelkonzerne ihre Gewinne gesteigert haben
und Millionen Menschen weltweit verarmen oder an Hunger sterben
die Tafeln in Deutschland mittlerweile mehr als zwei Millionen Menschen versorgen (Quelle: Tafel)
aber niemand wird sie vor der Gier und Maßlosigkeit retten
die Welt gehört den leeren, den unerfüllbaren Menschen
jedoch wie verantwortungslos ihre Führer auch erscheinen
ohne sie würde es ihnen noch viel schlechter ergehen
und seit Beginn der Herrschaft des Menschen über Menschen
sieht man Millionen, gar Milliarden ins Elend oder in den Tod gehen
und man beginnt sich vielleicht allmählich zu fragen
würde es wirklich so viel schlechter ohne Führer um sie stehen
wo all das Elend, all der Tod, all die Kriege, all das Leid
einzig durch ihre Herrscher überhaupt erst entstehen
kein halbwegs gesunder Mensch würde mit der Atombombe drohen
aber Staatsführer schon, aber Staatsführer schon(!)*³

Denn der Mensch ohne Identität ist nichts, wenn niemand vor ihm kniet
und wenn niemand mehr vor ihm kniet, dann könnte wahr werden
wofür wir uns seit Jahrtausenden umbringen, ein Zeitalter der Menschen
das Ende der Herrschaft der Psychopathen, der Machtmenschen
die keinen inneren Kern haben und deshalb stets mehr benötigen
fern von ihren Bedürfnissen und Nächsten existieren
und niemals etwas Gutes für die Menschen bringen werden
stets soll aus dem Schlechten etwas Gutes werden
während sie Hass und Elend und Hunger und Tod säen
und sich als Menschenfreunde, Liberale, Demokraten wähnen
dort ist keine Einsicht, keine Empathie, Vernunft oder Nächstenliebe
es geht um „höhere Werte“, um etwas Inhaltsloses, was sie ausmachte
konnte der Mensch schließlich nur das in die Welt hineintragen
was er in seinem Innersten wahrte, der Mangel an Identität
der sich als Loch in der Natur offenbarte, eine zerstörerische Kraft
die alles ins Nichts ziehen wollte, wobei sie das gar nicht verstand
nicht begreifen konnte, diese Sehnsucht nach dem Tod, nach der Atombombe

Weil sie beständig die Leere fühlte, die sie ausmachte
die nichts zu füllen vermochte und deshalb die Welt hinabziehen wollte
in diese große Leere hinein, der Tod, der Leben sein sollte
das war nichts Menschliches, was sich dort so selbstzerstörerisch gebärdete
das war der Mensch ohne Identität, der Psychopath, der Machtbesessene
der letztlich nicht anders konnte, da er einzig die Unstillbarkeit fühlte
die sich gegen sich selbst und all jene wandte, die ihm folgten
die Atombombe wird uns schützen, die Atombombe wird uns schützen*⁴
denn Macht kann nicht erschaffen, nur zerstören
sie besaß keine Kraft, weshalb sie sie derart verzweifelt darzustellen suchte
in der Gebärde vermeintlicher Standhaftigkeit, eine Pose
die sich lediglich nach außen richtete und dadurch offenbarte
wie ihr das Verständnis von wahrer Stärke fehlte
die sich nicht durch harte Worte, Hysterie und Selbstinszenierung darstellte
sie war nicht die Konfrontation, der Rassismus, die Atombombe, die Krise
sie war das Menschliche, das Verständnis, die Übereinkunft, die offene Geste
der lebendige Funke, der uns alle ausmachte und den nichts zu zerstören vermochte
auch wenn sie den Menschen nicht vor sich selbst beschützen konnte
das Leben ist stärker, obwohl es in solchen Momenten so zerbrechlich wirkte
so weit das Auge reichte lagen überall die Leichen von Soldaten
während man eine einzelne Blume aufrecht stehen sehen konnte…

 

Anmerkungen

* „Ist Puschkin daran schuld, dass Kriegsverbrecher in Russland geboren werden? Ja, er ist schuldig. Natürlich ist er schuldig. Sie sind alle schuldig.“ – Serhij Zhadan – Solche Menschen bekommen Friedenspreise und werden in der Presse noch bejubelt. Das offenbart die völlige Geistlosigkeit und Servilität, alles wird abgesegnet, solange es nur gegen Russland geht, während sich jedem halbwegs Vernünftigen der Magen umdreht! Das einstige Volk der Dichter und Denker verkümmert zu einem Volk der Geistlosen und Mitläufer, wird zum Opfer seiner eigenen Propaganda, welches nicht mehr bemerkt, wie beschränkt sie war, wie beschränkt sie sind! „Ist er beschränkt, weil er Ukrainer ist?“ „Nein. Er ist beschränkt, weil er Rassist ist!“ „Sind alle Rassisten derart beschränkt?“ „Ja, sind sie!“

*²  „Die Identifikation mit dem Aggressor führt dazu, dass Menschen, die so geformt wurden, sich von dem Erlösung erhoffen, der sie zum Leiden brachte. Sie suchen jedoch nicht einen wirklichen starken Führer, sondern eine Fiktion von Stärke. Diese war ja auch dem Vater, auch der Mutter eigen, als sie das Kind unterdrückten, um sich selbst stark und bedeutsam zu fühlen. Deshalb hoffen solche Menschen, Erlösung bei dem zu finden, der Stärke verspricht, sie jedoch gar nicht besitzt [denn er gewährt gleichsam das eigene Machtgefühl, denn nur durch ihre Übernahme des Images, der Pose als Wirklichkeit erfährt die Führerfigur ihre vermeintliche Stärke als bestätigt; das ist die wechselseitige Bedingtheit von Führerfigur und Masse, beide sind nur durcheinander „wirklich“, sprich wirkend!].“ (Arno Gruen – Der Fremde in uns, S.106)

*³ Wobei beide Seiten ihre Drohungen immer als vermeintliche Reaktion auf den anderen darstellen, wie die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland bereits am 22. April 2022 in einem Interview mit einer ukrainischen Zeitung klarstellte, dass man die Ukraine bei einem russischen Atomwaffeneinsatz nicht allein lassen würde (Je nach Lesart soll Putin diese Drohung nicht einmal ausgesprochen, sondern am 21. September 2022 anlässlich der Teilmobilmachung der Streitkräfte „nur“ davon gesprochen haben, „die territoriale Integrität Russlands mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewahren“, woraus dann unsere vermeintlichen Experten und Medien einen angedrohten Einsatz von Atomwaffen machten (siehe z.B. Spiegelinterview mit Pavel Podvig vom 13.10.2022). Wie auch immer dem nun sei, solch gefährliche Gedankenspiele sollten sich, wie z.B. im Artikel unten, verbieten und man sollte alles daransetzen, eine diplomatische Lösung zu finden. Da ist das Nachdenken über einen nuklearen Präventivschlag, wie z.B. Selensky ihn gefordert hat (Rede vor dem australischen Lowy Institut am 06.Oktober 2022), hochgradig unverantwortlich und so ein Mensch dürfte weder weiter unterstützt werden noch überhaupt Staatsführer sein, das gilt aber nicht weniger für eine abstrakte Auseinandersetzung über das Thema: „Einsatz von Atomwaffen“ und die vermeintlich notwendige Reaktion darauf. Das sind reine Drohkulissen und keine hilfreichen Bemühungen für das ukrainische und russische Volk, denn beide müssen in den Überlegungen um eine friedliche Lösung einbezogen werden! Wenn man denn Frieden möchte!

*⁴ „Macron irritiert mit Nuklear-Aussage“ Artikel auf Tagesschau.de am 25.10.22:
Politikexperten und Militärstrategen spitzten die Ohren, als Präsident Emmanuel Macron in einer längeren politischen Fernsehsendung auf atomare Szenarien in der Ukraine zu sprechen kam. …“Unsere Doktrin beruht auf dem, was wir die Grundinteressen der Nation nennen. Und die sind sehr klar definiert. Und die wären nicht betroffen, wenn es einen nuklearen Raketenangriff in der Ukraine oder der Region gäbe.“
Ein russischer Atomschlag in der Ukraine würde also keine nukleare Vergeltung seitens Frankreichs auslösen.
[Das sorgt für Irritationen, zum Glück für uns alle klärt sich im Verlauf des Artikels auf, dass wir doch auf die Atombombe vertrauen dürfen].
…Politikwissenschaftler Tertrais gibt jedoch Entwarnung: Macron habe sich schlicht schlecht ausgedrückt. „Die Botschaft aus dem Elysée-Palast seit diesem Interview ist, dass die Rede von 2020 weiter der Referenzpunkt ist. In der Rede damals ging Macron recht weit, in dem er eine europäische Bestimmung der französischen Abschreckung ausdrückte.“
Das würde heißen, das Frankreich – in Ergänzung der militärischen Verabredungen auf NATO-Ebene – auch jenseits des eigenen Territoriums seine EU-Partner und damit auch Deutschland verteidigen würde.“
[Gott sei Dank, es gibt die Atombombe und keine Hemmungen, sie auch zu unser aller Schutz einzusetzen, denn nur die Atombombe vermag uns zu schützen!]

Gregor Gasse betätigt sich seit über zwei Jahrzehnten als Autor von philosophischen, psychologischen, sozialkritischen Texten und Büchern, die sich mit den Missständen der Herrschaftssysteme und dem Versuch, Lösungen dafür zu formulieren, auseinandersetzen.

Wir danken dem Autor für die Genehmigung zur Veröffentlichung seines Textes.


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