Inszenierung einer Bedrohung
Wie sich Deutschland gegen Russland instrumentalisieren lässt
Die Strategie, Deutschland und Russland gegeneinanderzustellen, ist alt. Aber jetzt ist die US-Politik zerstörerisch für Deutschland, und die augenblickliche politische Elite unterwirft sich. Noch kann die Katastrophe verhindert werden.
Von Wolfgang Bittner
Erstveröffentlichung am 29.10.2022 auf RT DE
Immer mehr stellt sich heraus, dass die USA ihre seit mehr als einem Jahrhundert verfolgte Strategie der Schwächung Deutschlands intensiv weiterführen. Es gilt die Devise für die Unterdrückung Deutschlands, die der erste Generalsekretär der NATO, Baron Hastings Ismay, 1949 aufgestellt hatte, wonach die Mission des Bündnisses für Europa war, „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“ – „die Russen draußen, die Amerikaner drin und die Deutschen unten zu halten“.
Eine Kooperation Deutschlands mit Russland, die Frieden und Wohlstand bringen würde und von Wladimir Putin 2001 in seiner denkwürdigen Rede im Deutschen Bundestag vorgeschlagen wurde, wird systematisch verhindert. Den Grund dafür hat der US-Sicherheitsexperte George Friedmann 2015 in seiner Chicagoer Rede genannt: Die Angst vor einer wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenz, die den monopolaren Anspruch der USA infrage stellen, wenn nicht zunichtemachen könnte.
Die deutsche Wirtschaft, und damit der Wohlstand des Landes, ist abhängig von Energie, die nach wie vor von Russland angeboten wird. Daher werden die Stimmen, die eine Reparatur und Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verlangen, immer lauter. Aber das ist offensichtlich gegen den Willen Washingtons nicht möglich. Als US-Präsident Joseph Biden, hinter dem der „militärisch-industrielle Komplex“ und andere Interessengruppen stehen, beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am 7. Februar 2022 die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gestoppt hat, wurde schlagartig sichtbar, dass Deutschland ein Vasallenstaat der USA mit beschränkter Souveränität ist. Skandalös, dass dazu unsere in den USA in Young-Leader-Lehrgängen geschulten Politiker und Journalisten entgegen deutschen Interessen applaudiert haben.
Die Weichen für das, was sich heute abspielt, wurden schon gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs gestellt. Während es Österreich gelungen war, in die Neutralität entlassen zu werden, wurde die BRD, also ein Relikt des Deutschen Reiches, nach der bedingungslosen Kapitulation dauerhaft besetzt und als Frontstaat gegen die Sowjetunion in Stellung gebracht. Nachdem es in zwei Weltkriegen hauptsächlich darum gegangen war, Deutschland als wirtschaftliche und militärische Macht zu eliminieren und gegen Russland auszuspielen, stehen deutsche Soldaten jetzt erneut an den russischen Grenzen. Den Politikern und Journalisten fehlen nicht nur die Geschichtskenntnisse, sondern auch der geopolitische Überblick.
Der heutige US-Präsident Biden hat 2014 in einer Rede angekündigt – und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat das wiederholt–, dass man Russland ruinieren wolle. Angeblich, um in Russland Demokratie und Menschenrechte einzuführen. Dabei geht es schon lange darum, Russland als Konkurrenten auszuschalten und das Land den westlichen Begehrlichkeiten zu öffnen. Dazu dienen Sanktionen und Propaganda. Es gibt Pläne, Russland und auch China zu entstaatlichen und zu zergliedern wie seinerzeit Jugoslawien. Dass Deutschland dabei mitmacht und sich dem Druck aus Washington unterwirft, ist eine Jahrhunderttragödie. Wie könnte Europa, wie könnte Deutschland heute dastehen, wenn 2001 auf Putins Vorschläge eingegangen worden wäre?
Auch die mächtigste Frau Europas, Ursula von der Leyen, vertritt ganz offensichtlich nicht die Interessen Europas. An ihr wurde deutlich, wie US-affine Führungskräfte in zentrale Positionen geschoben werden, denn sie stand nicht einmal auf der Liste der für den Europarat zu Wählenden. Dass sie für immer mehr Geld und Waffenlieferungen an die Ukraine sorgte, entsprach den Vorgaben aus Washington, weil man Russland in einen lang andauernden Abnutzungskrieg manövrieren will. Frau von der Leyen wird selbstverständlich keines ihrer Kinder jemals in einen solchen Krieg schicken, Kanonenfutter sind immer die anderen.
Biden, der sämtliche Konflikte und Kriege der vergangenen Jahre mitzuverantworten hat, ist es gelungen, Russland zu isolieren und die unipolare Stellung der USA zu festigen. Er könnte sich getäuscht haben, ebenso wie viele europäische Politiker. Der größere Teil der Menschheit will sich die Dreistigkeiten und Aggressionen, die von den USA ausgehen, nicht mehr bieten lassen. Zwar haben die USA noch großen Einfluss auf die globale Finanz- und Wirtschaftspolitik. Aber Russland, China, Indien und andere Staaten arbeiten an einem alternativen Finanzsystem, und sollte der Dollar als Weltleitwährung wegfallen, wären die USA bankrott. Sie könnten dann nicht mehr so viel Geld in Umlauf bringen, wie sie wollen.
Politiker und Journalisten behaupten, Deutschland und Europa würden von Russland, und nun auch von China, bedroht, deswegen müsse so monströs aufgerüstet werden. Aber niemand außer den Kriegstreibern in den USA bedroht Deutschland und Europa. Während die EU gerade auf den Ruin zusteuert, knallen in den USA bei der Rüstungsindustrie die Sektkorken, ebenso bei der Pharmaindustrie und bei den IT-Unternehmen. Die Vermutung erhärtet sich immer mehr: Das alles ist gut durchdacht, geplant und in die Tat umgesetzt. Auf der Strecke bleiben Kultur, Bildung, Soziales und Infrastruktur, auf der Strecke bleibt auch für viele ein menschenwürdiges Leben.
Da die zentralen Positionen von Personen besetzt sind, die „genehm“ sind, und viele Politiker, Journalisten und Wissenschaftler US-Interessen vertreten – ob bewusst oder aus Unwissenheit, sei dahingestellt –, wird es schwer sein, sich dem Zugriff der USA und ihrer Kriegstreiber zu entziehen. Aber es führt kein Weg daran vorbei, und der muss unverzüglich eingeschlagen werden, um die absehbare Katastrophe noch zu verhindern. Die Anzeichen, dass die Bevölkerung allmählich aufwacht, mehren sich.
Wolfgang Bittner, Jahrgang 1941, lebt als freier Schriftsteller in Göttingen
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