Demokratie – Medien – Aufklärung

Ein System, das auf Angst basiert, ist zum Scheitern verurteilt

Zusammenhalt. Das ist wohl das am häufigsten gebrauchte Wort unserer führenden Politiker. Doch genau der ist längst verschwunden. Und er wird sich – zusammen mit dem ganzen System – weiter nach und nach in Luft auflösen.

Von Tom J. Wellbrock

Erstveröffentlichung am 23.10.2022 auf RT DE

Jede Gesellschaft braucht die Überzeugten, die, die Macht haben und sie im Sinne der Mehrheit einsetzen, und jene, die daran glauben, was von der Machtebene ausgeht. Diese Hierarchie klein- oder gar wegzureden, ist eine Illusion. Der gesellschaftliche Zusammenhalt kann nur funktionieren, wenn in ausreichender Zahl Menschen vorhanden sind, die sich für die Mächtigen einsetzen, die ihnen so weit vertrauen, dass diese wiederum ihre Macht erhalten und Politik gestalten können. Angela Merkel hat viel von dieser Macht als Kanzlerin auf sich vereint. Sie hat oft gelogen, betrogen, hatte keine Skrupel, wenn es um ihre Interessen ging. Aber bei einem Großteil der Bevölkerung hatte „Mutti“ dennoch einen Stein im Brett. Sie vermittelte eine Verbundenheit, eine gemeinsame Perspektive mit dem Volk, die faktisch nicht existierte, doch das ist nicht der Punkt. Das Wesentliche war ihre Glaubwürdigkeit, selbst wenn auch die nur konstruiert und mit medialer Unterstützung geschaffen wurde.

Doch heute sind wir an einem anderen Punkt. Und das liegt nicht nur daran, dass Merkel auf ihre stoische Art gewissermaßen etwas Charismatisches hatte, dass sie bei aller Unruhe und in jeder Krise wie ein Fels in der Brandung wirkte. Es liegt vor allem am neuen politischen Personal und an der Art der Politik insgesamt.

Angst ist kein guter Machtgeber

Die Frage, ob die Politik seit dem Beginn der Corona-Episode gewollt als Strategie ausgearbeitet wurde, beschäftigt viele Zeitgenossen. Von völliger Unfähigkeit bis zur Entwicklung eines teuflischen, bis ins letzte Details ausgearbeiteten Planes ist alles an Thesen dabei, was man sich vorstellen kann. Vermutlich wird diese Frage jedoch erst von Historikern beantwortet.

In jedem Fall aber wird die Strategie – und eine solche gibt es definitiv, die Frage ist nur, wie genau sie durchdacht wurde – scheitern. Denn sie basiert auf Angst und Druck. Vermutlich konnte sich beim Beginn der Corona-Episode niemand der Verantwortlichen vorstellen, welche Maßnahmen in den kommenden gut zwei Jahren durchgesetzt werden können. Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit, bei der Unverletzbarkeit der Wohnung, ja, selbst das Sitzen auf Parkbänken konnte zumindest kurzfristig verboten werden. Die Bereitschaft zum gegenseitigen Observieren und Denunzieren der Bürger untereinander dürfte den einen oder anderen ebenfalls überrascht haben. Rückblickend kann man sagen, dass die Steigerung der Maßnahmen in ihrer Radikalität wahrscheinlich graduell und nach dem Motto „Versuch und Irrtum“ erfolgte.

Doch der Politik fehlte eine Exit-Strategie, so wie sie auch jetzt bei der unaufhörlichen Eskalation beim Ukraine-Konflikt fehlt. Der Glaube daran, dass die Strategie aufgeht, hat sich offenbar inzwischen durchgesetzt, was umso verwunderlicher ist, als immer klarer wird, dass dies eine völlige Fehleinschätzung ist. Bezeichnenderweise war es Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die auf dem letzten Parteitag der Grünen in einer geradezu verstörenden Rede nicht nur durch rhetorische Winkelzüge Russland mit dem Nationalsozialismus gleichsetzte, sondern allen Ernstes behauptete, man beobachte sich selbst genau und nehme Veränderungen und Verbesserungen vor, wenn sich das bisherige Vorgehen als nicht optimal erweist. Man kann das als Lüge, aber auch eine dem Wahn verfallene Selbstwahrnehmung interpretieren.

Das vorprogrammierte Scheitern

Im Osten Deutschlands zeichnet sich etwas ab, das das Potenzial zu großem, flächendeckendem Widerstand hat. Die Unzufriedenheit nimmt stetig zu, die Argumente „einfacher“ Bürger sind die gleichen wie die von den angeblichen Verschwörungstheoretikern, und das ist kein Zufall. Das pauschale Abwerten kritischer Stimmen und das reflexhafte Stecken in Schubladen wie „rechtsextrem“, „verschwörungstheoretisch“ oder „antisemitisch“ breitet sich täglich weiter aus. Die Menschen merken das. Prominente kritische Stimmen wie etwa die von Ulrike Guérot, Sahra Wagenknecht, aber auch Precht und Welzer (wegen ihrer gerechtfertigten Medienkritik) werden medial und politisch regelrecht zerfetzt, weil sie nicht dem Narrativ folgen, das vorgegeben wird.

Die Folgen sind gravierend, wie ich aus eigener journalistischer Erfahrung berichten kann. Immer mehr Menschen, die mehr oder weniger prominent sind oder in gehobenen beruflichen Stellungen im Medien- oder Staatsdienst sind, fürchten sich, ihre Meinung öffentlich zu äußern oder – Stichwort Kontaktschuld – mit den „falschen Leuten“ zu sprechen, weil sie mit Konsequenzen rechnen müssen, die bis zum Verlust des Arbeitsplatzes, der Kündigung von Konten oder einer breit angelegten Rufmordkampagne reichen.

All das passiert in einer Zeit, in der wir uns an einem Punkt der „Zeitenwende“ befinden, und die Menschen verstehen nach und nach, dass diese Zeitenwende das Ende einer Wohlstandsgesellschaft kennzeichnet, das weder eine Naturkatastrophe noch ein Unfall ist, sondern die Folge fataler politischer Entscheidungen. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass keines der vorgegebenen Ziele erreicht worden wäre oder erreicht werden kann, wenn ein Umsteuern ausbleibt.

Die vermeintliche Solidarität mit der Ukraine – die für die zahllosen anderen Länder, die teils deutlich schlimmer unter den Folgen langanhaltender Kriege leiden, offenbar nicht gilt – ist nicht nur wegen ihrer Exklusivität so frevelhaft, jene Exklusivität richtet sich an ein Land, das nachweislich instabile und korrupte Verhältnisse zeigt, mit dem Faschismus auf freundlicher Augenhöhe steht und seit 2014 die russischstämmige Bevölkerung im Osten des Landes auf grauenvolle Weise quält, massakriert und massenhaft tötet.

Alles, was tatsächlich erreicht wird, ist die Geldvermehrung bestimmter Branchen und die Steigerung des Reichtums derer, die ohnehin schon unverhältnismäßig viel Vermögen horten. Auch das spüren die Menschen, und die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, den sogenannten Gaspreisdeckel erst im März 2023 einführen zu wollen, ist ein deutlicher Fingerzeig auf Ignoranz und fehlende Empathie. Auch die Tatsache, dass nun unter Umständen eine frühere Einführung des Deckels diskutiert wird, ändert nichts an der verheerenden Sorglosigkeit der Politik.

Der Untergang

Eine Gesellschaft wird untergehen, wenn die Herrschenden gegen das Volk arbeiten. Und genau das erleben wir. Angst und Druck als Basis des Zusammenlebens sind Werkzeuge, die mit der Zeit stumpf werden, weil die Dinge verlorengehen, die das am Anfang des Textes beschriebene Vertrauen in die Mächtigen ausmachen. Jenes Vertrauen verwandelt sich bei einer wachsenden Zahl von Menschen in Misstrauen, und aus diesem wird Abneigung, Wut und Hass. Als Reaktion darauf den Druck zu erhöhen, wie wir es seit fast drei Jahren erleben, ist ein geeignetes Mittel, den eigenen politischen Untergang zu forcieren.

Sicher waren die frohlockenden Verkündungen der Vergangenheit, die uns weismachen wollten, alles sei in bester Ordnung, ein politisches Stilmittel der Lüge. Doch für eine nicht unwesentliche gesellschaftliche Gruppe des Mittelstandes funktionierte das Prinzip dennoch. Man konnte sich einreden, dass die gesellschaftlichen Defizite Folge individueller Mängel oder Verweigerungen waren, und dass die Betroffenen „selbst schuld“ seien. Auf diese Weise ließ sich das faktisch schon marode Gerüst aufrechterhalten, gesellschaftliche Unzufriedenheit reduzierte sich auf wenige Gruppen und auf Intellektuelle, die für sich in Anspruch nahmen, nun einmal eben kritische Menschen sein zu müssen, von denen man das gemeinhin erwartet. Auch das erleben wir inzwischen kaum noch, vielmehr verkünden ehemals kritische prominente Künstler und Intellektuelle frohgelaunt und nicht ohne den herablassenden Blick auf die Kritiker die regierungspolitische Botschaft. Und verlieren dabei die Identifikation ihrer „Fan-Gemeinden“.

Das ganze System war nicht in Gefahr, wie man am Beispiel der Hartz-Gesetze eindrucksvoll sehen kann. Jahrzehntelang spielten sie praktisch keine große gesellschaftliche Rolle, obwohl sie doch in der Summe unmenschlich und destruktiv waren. Das neue Bürgergeld enthält einige „Trostpflaster“, die jedoch am Grundproblem nichts ändern. Dennoch ist es wohl kein Zufall, dass es gerade jetzt eingeführt wird, in einer Phase, die ganz offenkundig brisant ist.

Die Politik gegen die Bürger geht weiter, es gibt keinerlei Anzeichen für ein Umsteuern. Die Ampel-Koalition hat sich seit ihrer Bildung nach der Bundestagswahl noch tiefer hineinmanövriert in ein Prinzip des Drucks, der Denunziation und des wirtschaftlichen Suizids. In Anbetracht dessen, dass die Fehler so klar erkennbar sind (auch für die verantwortlichen Politiker), kann das nur bedeuten, dass ein Kalkül hinter dieser zerstörerischen Politik steckt. Und man ist sicher kein Verschwörungstheoretiker (auch wenn man als genau der bezeichnet wird), wenn man unter anderem die USA als Zurufer bzw. Auftraggeber vermutet.

Doch das ist nicht entscheidend. Nicht für die Menschen, deren Leidensfähigkeit mit jedem Tag aufs Neue herausgefordert wird. Sie werden ihre persönlichen Grenzen des Tolerierbaren und des Ertragbaren erreichen, die einen früher, die anderen später. Es brodelt, und das sichtbare Brodeln ist nur die dünne Oberfläche, unterhalb derer tektonische gesellschaftliche Bewegungen begonnen haben.

Die Politik wäre gut beraten, wenn sie die Schwingungen in der Gesellschaft wahrnehmen und ernst nehmen würde. Sie sind ein Signal an die, deren Politik auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird. Das kann und wird auf Dauer nicht folgenlos bleiben. Und in der jetzigen Lage wird die Spaltung der Bevölkerung nicht auf diese Weise gelingen, wie das noch in de Corona-Episode möglich war. Ganz einfach, weil auch der Mittelstand betroffen ist, Angst hat und einem Punkt entgegensteuert, an dem es nicht mehr viel oder irgendwann gar nichts mehr zu verlieren gibt.

Wenn die Politik an oberflächlicher Rhetorik, Druck und Angsterzeugung festhält, wird man sie früher oder später vom Hof jagen. Der deutschen Mentalität entsprechend wohl eher später. Aber aufhalten lassen wird sich der politische Untergang nicht, wenn nicht endlich Vernunft einkehrt.

Tom J. Wellbrock ist Texter und Sprecher. Gemeinsam mit Jens Berger betrieb er den Blog Spiegelfechter. Aktuell betreibt er mit Roberto J. De Lapuente den Blog Neulandrebellen.de und führt dort u.a. die Interviews. 

Wir danken dem Autor für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Beitrages.


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