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Ukraine: Seit acht Jahren ist Bruderkrieg – „Die Welt“ entdeckt ihn heute

Die tragische Entwicklung, die die ehemalige Sowjetrepublik Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit nahm, wird vom Westen bis heute verleugnet. Kein Wunder, er selbst hat schließlich dafür gesorgt und tut jetzt so, als hätte er nicht Ukrainer auf Ukrainer gehetzt.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 20.10.2022 auf RT DE

Die Welt hat die Erklärung des Kriegsrechts in den vier neuen, nach Referenden der Russischen Föderation beigetretenen Gebieten mit der interessanten Überschrift versehen „Warum Putin jetzt Ukrainer zwingt, gegen ihre eigenen Landsleute zu kämpfen“.

Das klingt besonders schlimm. Wie kann man das tun, soll der deutsche Leser denken. Allerdings gibt es diese Tragik seit über acht Jahren: Ukrainer, die gegen Ukrainer kämpfen. Denn nichts anderes war der Krieg im Donbass als Kiewer „Antiterror-Maßnahme“, und die Abtrennung der beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk war genau die Konsequenz daraus.

Die ukrainische Sowjetrepublik, die mit dem Untergang der UdSSR plötzlich zum Staat wurde, konnte nur weiterhin ein Vielvölkerstaat sein. Nicht nur wegen Ukrainern und Russen, auch wegen der dort seit Langem auch lebenden Griechen, Bulgaren, Ungarn, Polen und Deutschen. Die Art Nationalstaat völkischer Prägung, wie er seit dem Maidan-Putsch 2014 dort praktiziert wird, ist eine deutsche Erfindung. Und selbst in Deutschland gab es ihn erst nach 1913, weshalb die vielen Polen, die im 19. Jahrhundert in die Bergwerke im Ruhrgebiet geströmt waren, noch ganz selbstverständlich Deutsche wurden, weil das Kriterium des „deutschen Blutes“ erst 1913 erfunden wurde. Ein Nationalstaat etwa in der Prägung der französischen Republik bezieht sich auf die Menschen auf seinem Territorium, nicht auf irgendeine Abstammung. Die Ideologie Banderas ist dagegen, und damit folgt sie ganz dem deutschen Vorbild, abstammungsbezogen, was für einen Vielvölkerstaat eine Katastrophe ist.

Dabei ist das Konstrukt gleichzeitig völlig absurd. Ein ethnisch ukrainischer Staat wäre gerade einmal ein Stück in der Westukraine (abzüglich der polnischen, ungarischen und rumänischen Gebiete dort). Der weit überwiegende Teil des Staatsgebiets war nie von Menschen bewohnt, die sich als Ukrainer verstanden, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie er von den Regierungen seit 2014 gebraucht wird. Das Gebiet, in dem die Truppen der Bandera-Anhänger beheimatet waren, war bis zu den Massakern, die dort von den ukrainischen Nazihilfstruppen mit oder ohne Hilfe der Nazi-Wehrmacht verübt wurden, ebenfalls ganz anders besiedelt. Die Ukrainer waren eine Minderheit zwischen Juden und Polen.

So, wie es die ideologischen Nachfahren dieser Truppen bis heute für legitim halten, sich dieses Gebiet durch Vertreibung und Mord ganz angeeignet zu haben, so ist auch ihr Verhältnis zum gesamten Staatsgebiet der ehemaligen ukrainischen Sowjetrepublik. Wer nicht so ist, wie sie, der soll gehen. Die Absurdität der westlichen Argumentation mit der sogenannten „territorialen Integrität“ der Ukraine ist genau der Punkt, dass solche Integrität gemäß der Ideologie, die seit 2014 den ukrainischen Staat beherrscht, überhaupt nicht möglich ist. Das staatliche Erbe der ukrainischen Sowjetrepublik hätte nur in einem Vielvölkerstaat mit Gleichberechtigung aller ethnischen Gruppen erhalten bleiben können. Ein ethnisch ukrainischer Staat ist nicht größer als etwa Galizien.

Prinzipiell wäre es durchaus möglich gewesen, dass ein Staatsgebilde in den Grenzen der früheren Sowjetrepublik erhalten bleibt. Aber es war gerade die Politik des Westens, die immer genau jene faschistische galizische Ideologie in den Vordergrund schob, die zum politischen Sprengsatz werden musste. Und diese Ideologie erhebt seitdem auf Kontrolle über das gesamte Gebiet ihren Anspruch, der in etwa so legitim ist wie ein deutscher Anspruch auf Paris, weil es einmal Karl den Großen gab.

Dass nun Ukrainer gegen Ukrainer kämpfen, begann schon im Jahr 2014 während des Maidan. Waren etwa die in der Kiewer Innenstadt von einem Mob mit „Molotow-Cocktails“ (und das war keine Mischung aus Benzin und Alkohol, sondern eine Mischung, die wie Napalm wirkt, also kaum zu löschen ist) in Brand gesetzten Polizisten keine Ukrainer? Oder etwa die gejagten und verbrannten Opfer im Gewerkschaftshaus in Odessa? Das war der Zeitpunkt, an dem der Kampf von Ukrainern gegen Ukrainer begann. Und alles Weitere seither ist die Konsequenz daraus, dass der Westen den Aufstieg einer zutiefst rassistischen und menschenfeindlichen Ideologie nicht nur verleugnet, sondern sogar gefördert hat. Und zwar erst recht, wenn heute deren Anhänger auf deutschem Boden ungestraft erklären können, man müsse alle Russen töten, und immer noch so tun dürfen, als wäre das eine völlig normale und nachvollziehbare Haltung.

Nach der vom Westen vertretenen Sicht sind auch die Menschen in Donezk und Lugansk allesamt Ukrainer. Sie haben sich dennoch acht Jahre lang gegen diese anderen Ukrainer zur Wehr setzen müssen. Wer das „müssen“ nicht glaubt, kann gerne im Internet nach den Berichten suchen, wie die Truppen der Kiewer Regierung und insbesondere die ideologischen Abteilungen wie „Asow“ mit den Menschen des Donbass umgegangen sind. Sie haben sich so verhalten, wie ihre Ideologie es vorgibt: Sie wollten das Territorium, aber nicht dessen Bewohner. Und sie verhalten sich auch heute noch so, wenn ihnen irgendein Ort erneut in die Hände fällt.

Aber es sei „Putin“, der Ukrainer zwinge, gegen Ukrainer zu kämpfen. In Wirklichkeit steht schon die ganze Zeit die eine Ukraine, die ein Erbe der sowjetischen Teilrepublik bewahrt, gegen die andere, die in der Nachfolge der Nazi-Hilfswilligen weiterhin Hitler verehrt und alles ausrotten will, was ihren Vorstellungen von „ukrainisch“ nicht entspricht. Gerade wir Deutsche sollten das verstehen, so wie wir verstehen müssten, dass eine andere Ukraine in weiten Teilen dieses großen Landes nach wie vor existiert, immer noch zum Leben erweckt werden kann, aber nach acht Jahren des Terrors eingeschüchtert ist und nur im Verborgenen übersteht. Es gab auch ein anderes Deutschland, dessen Menschen in den Lagern saßen, im Exil lebten, aber vielfach auch nur versuchten, irgendwie mit Anstand, aber schweigend zu überleben.

Ukrainer gegen Ukrainer – das war all die Jahre über der Kern dieses Krieges. In den Milizen des Donbass waren Antifaschisten aus der gesamten Ukraine, und diese Milizen haben in den letzten Monaten einen Großteil der Kämpfe ausgefochten. Genau das ist der Grund, warum das für Russland ein besonderer Militäreinsatz war – weil die russischen Truppenteile geschickt wurden, um in den Donbassrepubliken die dort beheimateten Milizen  zu unterstützen.

Wenn man also im Westen dieses moralische Fass aufmachen und eine Geschichte vom Brudermord erzählen will, muss man das vollständig tun und nicht einfach die acht Jahre Bombardement auf Donezk und Lugansk und die menschenverachtende Ideologie, die aus Kiew verbreitet wird, unterschlagen. Wenn man das aber nicht tut, könnte man zu dem Umkehrschluss kommen, dass nämlich nur ein Vielvölkerstaat Ukraine in der Lesart der „russischen“ Seite überhaupt eine Zukunft haben kann, egal ob als Teil der russischen Föderation oder nicht. Unter der Ideologie eines Bandera jedenfalls muss er untergehen. Und das wäre ein Untergang, der vollständig auf die Rechnung des Westens geht.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild: Wiederhergestelltes Denkmal in Saur-Mogila am 3. September 2022
Foto: Sputnik © Ilja Pitalew
Quelle: RT DE