Vom Volksfestschlager zum Protestsong – Wird Deutschland im Herbst „Layla“ singen?
Wenn gerade in Deutschland darüber debattiert wird, ob das Lied „Layla“ auf Volksfesten gespielt werden darf oder nicht, erinnert mich das an eine Geschichte aus meiner Jugend. Irgendwie hat sich die woke Gesellschaft mit diesem Verbot ins Knie geschossen.
von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 19.07.2022 auf RT DE
Es ist ausgesprochen albern, Zeit mit einer Debatte über den Sexismus eines Lieds zu verbringen, wenn die Layla des zugehörigen Videos ein Transvestit ist. Schließlich sind die Videos schon seit den 80ern das Medium, das gewissermaßen die offizielle Interpretation des Stücks liefert. Das Gesamtpaket aus Lied und Video erhebt durchaus den Anspruch auf Ironie.
Das Lied hat den enormen Vorteil, einen kurzen, einfachen Text und eine ebensolche Melodie zu besitzen und damit selbst noch im Zustand der Volltrunkenheit mitgesungen werden zu können. Damit ist es technisch gesehen volksfesttauglich.
In der populären Kultur ist derber sexueller Humor fest verankert; das sieht man, wenn man alte Volkslieder betrachtet. Da liegen Mönche bei Bauersfrauen und entkommen durch die Dachfenster, da macht man sich über geile Pfaffen und reiche Kaufleute lustig, über bigotte Jungfern und zu alte Ehemänner. Ein Lied wie „Layla“ ist also nichts Neues unter der Sonne. Und die obrigkeitliche Reaktion auf diesen derben Humor ist stets die gleiche.
Neu ist einzig, dass diesmal die verbietende Obrigkeit meint, sich auf eine fortschrittliche Moral zu berufen. Doch der Diskurs über Sexismus hat schon lange Untertöne, in denen die Betschwester zu hören ist; sie hat sich nur neu verkleidet, aber das Diakonissenhäubchen und das Gesangbuch blitzen immer wieder hervor.
Die Stadt Würzburg hat verboten, das Lied „Layla“ auf dem Volksfest zu spielen. Die Stadt Düsseldorf überlegt, ob sie gleichziehen soll. Mit Sicherheit finden ähnliche Überlegungen an vielen anderen Orten statt, vorzugsweise dort, wo die Grünen mitregieren. Und dieses Verbot wird mit allerlei Argumenten verteidigt. Der Witz ist nur, dass sie alle gar nicht verstehen, was sie mit einem solchen Verbot tun.
Dafür muss ich ein wenig zurückgreifen, auf einen anderen Volksfestschlager, der bis heute überall gesungen wird und der sogar in der gleichen thematischen Umgebung spielt: „Skandal im Sperrbezirk“ von der Spider Murphy Gang. Auslöser dieses Lieds war der damalige Münchner Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler von der CSU, der den Sperrbezirk, also das Gebiet, in dem die Ausübung der Prostitution verboten ist, fast auf das gesamte Stadtgebiet Münchens ausdehnte.
Die Spider Murphy Gang, eine Münchner Band, die klassischen Rock ’n‘ Roll spielt (bis auf den inzwischen verstorbenen Schlagzeuger spielen die älteren Herren noch), kommentierte diese Entscheidung 1981 mit ihrem Stück. Das Lied wurde ein Hit, obwohl der Bayerische Rundfunk und andere Radiosender sich weigerten, es zu spielen. Im Gegenteil, die Entscheidung, es nicht zu spielen, verlieh ihm eine zusätzliche Qualität; es war gerade der Versuch, seine Verbreitung zu unterbinden, der es zu einem Lied gegen die damals in Bayern fast allmächtige CSU machte, nicht nur zu einem musikalischen Kommentar einer Sperrbezirksverordnung.
Bis heute wird dieses Stück auf allen Volksfesten gespielt und dürfte gewissermaßen die Rentenversicherung der Spider Murphy Gang geworden sein. Heute ist dieser politische Hintergrund den meisten, die mitsingen, nicht einmal mehr bekannt. Aber die Aura des Widerständigen ist irgendwie geblieben.
Üblicherweise sind es Verbote, die zu dieser symbolischen Aufladung führen. Man denke an „Lili Marleen“, das von Joseph Goebbels verboten wurde, als er vom jüdischen Geliebten der Sängerin erfuhr. Oder an das Lied „Grandola“, das im Portugal António de Oliveira Salazars verboten war und zum Signal der Nelkenrevolution wurde, die ihn stürzte.
Und was passierte mit „Layla“? Auf dem Würzburger Volksfest, das am Sonntag endete, hat sich Seltsames ereignet. Die Besucher sangen das Lied ganz ohne die Band, die es nicht spielen darf. Die Stadtoberen, die das Verbot durchziehen wollten, begriffen nicht, dass das Verbot selbst das Stück symbolisch auflädt, völlig unabhängig vom Inhalt seines Textes.
In Würzburg sind die Grünen relativ stark, unter anderem, weil der Anteil der Studenten an der Stadtbevölkerung hoch ist. In den letzten Jahren versuchten sie dementsprechend, ihre üblichen politischen Pläne durchzusetzen, wie eine autofreie Innenstadt, die bereits zu massiven Umsatzeinbrüchen bei innerstädtischen Geschäften geführt hat. In der Stadt wurden großflächige Parkverbote verhängt, gegen die das Handwerk protestierte (auch ein Klempner, der einen Wasserrohrbruch repariert, muss irgendwo parken können). Und sie wollen einen großen, in Innenstadtnähe gelegenen Parkplatz gebührenpflichtig machen. Dagegen läuft gerade ein Bürgerbegehren.
In dieser Situation wird ein verbotenes Lied leicht zum Symbol des Protests. Dabei ist die Begründung des Verbots vollkommen egal; ob sie „Sexismus“ lautet oder auf dem Fehlen eines A-Moll-Akkords mit verminderter Quinte beruht. Ein Verstoß gegen dieses Verbot ist gleichzeitig eine Reaktion auf viele andere Verbote, die mit der verbietenden Obrigkeit verbunden werden.
Die politische Lage ist heute viel aufgeladener, als sie es zu jener Zeit war, als „Skandal im Sperrbezirk“ seine Wirkung entfaltete. Die Pro-NATO-Einheitspartei agiert selbst weit stärker mit Symbolen, als es in den beginnenden Achtzigern üblich war, in der nüchternen Bonner Republik; unter anderem, indem das ganze Land mit gelb-blauen Fahnen gepflastert wird. Die umfassende Zensur sorgt dafür, dass abweichende Positionen kaum mehr zum Ausdruck kommen können. Das sind geradezu lehrbuchartige Bedingungen für das spontane Entstehen neuer politischer Symbole. Der vorhandene Unwille, das reale Leiden unter einer gegen die Bevölkerung gerichtete Politik, sucht sich eine Ausdrucksmöglichkeit. Sucht nach Zeichen und Signalen, an denen man einander erkennen kann.
Die Stadt Würzburg war so nett, ein solches Zeichen zu liefern. Tatsächlich wäre es, sollten die Düsseldorfer und weitere Städte dem Würzburger Vorbild folgen (augenblicklich gibt es eine Diskussion, ob das Stück im ZDF–Fernsehgarten gespielt werden darf), vorstellbar, dass im Herbst Proteste gegen das verordnete Frieren unter gemeinsamem Absingen von „Layla“ erfolgen. Einzig und allein, weil klar ist, dass die grüne Obrigkeit dieses Stück nicht leiden kann.
Also dann, lasst uns „Layla“ singen!
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild oben: Münchner Oktoberfest 2010
Foto: René Bongard, CC BY-SA 3.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53085444