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Die Jahresproduktion von US-Munition reicht der Ukraine nur für zehn Tage Krieg

Eine bemerkenswerte Analyse der altehrwürdigen Denkfabrik des britischen Militärs „Royal United Services Institut“ (RUSI) der militärisch-industriellen Produktionskapazitäten zeigt, dass USA und NATO in einem längeren Krieg in der Ukraine nicht mithalten können.

von Rainer Rupp

Erstveröffentlichung am 27.06.2022 auf RT DE

Einer der größten Fehler der US/NATO-Politiker und ihrer beratenden „Experten“ ist, dass sie die russische Wirtschaft, ihre Tiefe und ihre außerordentliche Widerstandskraft total unterschätzt haben und sich auch jetzt noch nicht von ihren dümmlichen Vorurteilen lösen, dass Russland „eine Tankstelle mit Atomraketen“ ist. Da erzählen Kommentatoren, dass die russische Wirtschaft nicht größer ist als die von Texas oder Belgien, da gibt es Fragen, ob Russland außer Gas und Öl noch was anderes produziert, das exportiert werden kann.

Diese Leute fragen jedoch nie, wie groß das russische Weltraumprogramm ist, wie viele Atom-U-Boote das Land herstellt, wie viele neue U-Bahn-Stationen, Flughäfen oder Brücken in Russland jährlich gebaut und eröffnet werden, wie viele Arten von Flugzeugen und Lastwagen in Russland herstellt werden ober wie viel Nahrung anbaut und exportiert wird. Stattdessen werden dümmliche Vergleichen mit Indikatoren gemacht, die die Stärke der realen Wirtschaft Russlands nicht messen, sondern verzerren, die vor allem heiße Luft zählen, die sich in den über jegliche Vorstellungskraft hinaus aufgeblähten westlichen Finanz- und Bankensystem als fiktiver Reichtum angesammelt hat.

Würden sie die reale Produktion der russischen Wirtschaft als Vergleichsbasis heranziehen, anstatt ständig mit dem lächerlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf Dollar-Rubel-Basis zu hantieren, dann hätten interessierte Politiker auch längst erkannt, dass Russlands Wirtschaft fast autark ist. Aber so viel Intellekt kann man von US/NATO-Kriegstreibern nicht erwarten, zumal das ihren Glauben an die eigene Propaganda zerstören würde. Und so sind sie weiterhin zuversichtlich, dass die angeblich schwache Wirtschaft der russischen „Tankstelle mit Atomwaffen“ unter den Westsanktionen bald zusammenbrechen wird. Und wenn jetzt noch nicht, dann müssen noch ein paar weitere verrückte Sanktionen draufgelegt werden, die – wie jetzt ersichtlich – vor allem die Wirtschaften der EU zerstören und Russland stärken.

Die renommierte Denkfabrik der US-Luftwaffe „RAND“ hat auf der Basis dieses Irrglaubens sogar eine ganze Strategie zur Ruinierung Russlands herausgearbeitet. In einem umfangreichen Bericht von 2019 hält RAND fest, dass „Russlands größte Verwundbarkeit“ in seiner angeblich eindimensionalen Wirtschaft liegt, die vergleichsweise klein, total von Energieexporten in den Westen abhängig und deshalb durch Sanktionen leicht zu zerstören ist.

Trotz der aktuellen Hochkonjunktur von Fake-News-Kriegspropaganda über die Ukraine und Russland gibt es von Zeit zu Zeit immer wieder mal einen kleinen Glückfall, bei dem das interessierte Publikum in einem auf militärische Analysen spezialisierten Medium einen Schimmer der in Kriegszeiten sehr scheuen Wahrheit erhaschen kann. Im vorliegenden Fall geht es um einen Bericht, der jetzt auf der Webseite der altehrwürdigen Denkfabrik des britischen Militärs „Royal United Services Institute“ (RUSI) veröffentlicht wurde und in dem es um die strategischen Tiefe der westlichen und russischen Rüstungsindustrien geht. Der Titel des Beitrags des RUSI-Autors Alex Vershinin lautet „The Return Of Industrial Warfare“ (Die Rückkehr der industriellen Kriegsführung), und damit liefert der Autor nicht mehr und nicht weniger als den Schlüssel zum Verständnis des aktuellen und zukünftigen Verlaufs des Krieges in der Ukraine und darüber hinaus.

In seinem Beitrag unterstreicht Vershinin, dass der Krieg in der Ukraine bewiesen hat, dass das Zeitalter der industriellen Kriegsführung längst nicht vorbei ist, weil der massive Verbrauch von schweren Waffen aller Art, Fahrzeugen und Munition eine große industrielle Basis für die Nachschubversorgung erfordert. Vershinin legt dabei Wert darauf, die bekannte russische Militärformel in Erinnerung zu rufen: „Quantität hat immer noch eine eigene Qualität“, wenn es darum geht, Hunderttausende von kämpfenden Soldaten im Feld zu versorgen. In diesem Zusammenhang erwähnt er einige interessante Zahlen über das personelle Kräfteverhältnis im Ukraine-Krieg. Demnach hat die Ukraine seit Beginn des Krieges 250.000 Soldaten im Einsatz, zu denen weitere 450.000 kürzlich mobilisierte, aber kaum ausgebildete Soldaten hinzukommen. Denen stehen laut Vershinin 200.000 russische und verbündete Truppen der Donbass-Volksrepubliken gegenüber.

Hier sollte man als Leser erst einmal innehalten. Wenn diese Zahlen stimmen, und ich sehe keinen Grund, den RUSI-Zahlen zu misstrauen, zumal sie den britischen Schützling Ukraine in ein schlechtes Licht stellen, dann zeigt das, dass die Ukraine trotz ihrer massiven zahlenmäßigen Überlegenheit über die russischen und alliierten Streitkräfte der Volksrepubliken dabei ist, die Schlacht im Donbass zu verlieren bzw. bereits verloren haben.

Traditionelle Militärwissenschaft geht jedoch davon aus, dass der Angreifer gegen einen Verteidiger in gut befestigten Anlagen eine Überlegenheit von 3 zu 1 aufbringen muss, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Im Donbass ist das Verhältnis jedoch umgekehrt, denn die Russen sind zahlenmäßig unterlegen. Sie kämpfen mit einem Expeditionskorps, das aus Berufstruppen besteht, die aus seiner stehenden Friedenszeit-Armee stammen.

Russland hat nicht für den Krieg mobilisiert, im Unterschied zur Ukraine und das Ergebnis ist, dass für den weiteren Verlauf des Kriegs etwa 650.000 ukrainische Soldaten 200.000 russischen und alliierten Truppen gegenüberstehen, wobei die Ukraine trotz der Unterstützung des Westens verliert. Der Grund dafür liegt in der „industriellen Kriegsführung“, welche die Russen perfekt beherrschen, während die industrielle Basis der Ukraine bereits zerstört ist, und die USA und die anderen NATO-Länder ihre traditionellen Produktionskapazitäten und Vorratshaltung von Munition und Ersatzteilen verloren haben, weil sie diese alte, teure Methode gegen die billigere „just in time“ Methode eingetauscht haben.

Und dann erklärt der Autor Vershinin, warum die Versorgung dieser Armeen mit Hunderttausenden von Soldaten und Tausenden von Geschützen und Panzern usw., mit Waffen, Munition, Ersatzteilen, Sprit, Schmierstoffen Lebensmittel, Medikamenten usw. eine monumentale Aufgabe ist. Für die Ukraine sei der Nachschub an Munition besonders schwierig geworden, weil die Russen mit ihren Fähigkeiten, mit hochpräzisen Raketenangriffen in der Tiefe der ukrainischen Räume nicht nur die dortige Militärindustrie vernichtet haben, sondern auch Vorratslager an Munition, logistische Kotenpunkte und Transportnetze.

Zwar hat auch die russische Armee unter einigen ukrainischen, grenzüberschreitenden Angriffen und Sabotageakten gelitten, aber das waren Nadelstiche, die in keinem Verhältnis zu den monumentalen Verlusten der Ukraine stehen.

Die Rate des Verbrauchs an Munition und Ausrüstungsgütern der ukrainischen Armee kann jedoch nur von einer großen industriellen Basis aufrechterhalten werden. Da die eigene Basis zerstört ist, wendet sich die Ukraine hilfesuchend an den Westen, aber im Westen existieren solche industriellen Kapazitäten für einen groß angelegten Krieg mit Hunderttausenden Soldaten schon lange nicht mehr, denn in den letzten 30 Jahren hat man sich im US/NATO-Westen nur noch auf Konflikte mit geringer Intensität gegen drittklassige Militärmächte vorbereitet, in der die US-Luftwaffe und nicht die Bodentruppe die Hauptlast trug. Die Realität in der Ukraine, so Vershinin, stelle daher eine konkrete Warnung an die westlichen Länder mit ihren verkleinerten militärisch-industriellen Kapazitäten dar. Gegenwärtig verfüge der Westen möglicherweise nicht einmal mehr über die industrielle Kapazität, einen großen Landkrieg zu führen.

Dann wendet sich Vershinin dem aktuellen Munitionsverbrauch bei den Kämpfen in der Ukraine zu. Allerdings veröffentlichen weder die ukrainischen noch die russischen Streitkräfte genauen Munitionsverbrauchsdaten. Aber über einen Umweg, z. B. unter Verwendung der offiziell bekannt gegebenen Feuerauftragsdaten (fire mission data), die vom russischen Verteidigungsministerium während seiner täglichen Presseeinweisung bekannt gegeben werden, kann der russischen Munitionsverbrauchs unter unterschiedlichen Annahmen geschätzt, bzw. auf eine Bandbreite eingegrenzt werden.

Vershinin geht sehr detailliert darauf ein, wie viel Munition eine russische Batterie mit ihren sechs Geschützen in einer Feuermission verbraucht. Dabei diskutiert er verschiedenen Feuereinsätze mit unterschiedlichen Verbrauchsraten. Seinen Schätzungen zufolge kommt Vershinin für alle Feuereinsätze auf 7.176 Granaten pro Tag, wobei er betont, dass diese Schätzung auf der niedrigen Seite liegt, zumal der Munitionsverbrauch der Artillerie der Streitkräfte der beiden Donbass-Republiken Donezk und Lugansk vom russischen Verteidigungsministerium nicht mitgezählt wird.

Die vom Autor herausgearbeiteten Zahlen für die russischen Streitkräfte sind nicht perfekt, aber sie geben eine Vorstellung von der logistischen Herausforderung. Dem stellt Vershinin anschließend die US-Produktionszahlen unterschiedlicher Artilleriemunition gegenüber. Dabei vermerkt er, dass die Vereinigten Staaten ihre Vorräte an Artilleriemunition in den letzten Jahren verringert hätten. Im Jahr 2020 sei der Kauf von Artilleriemunition um 36 Prozent auf 425 Millionen US-Dollar gesunken. Der Plan für das Jahr 2022 war, die Beschaffung von 155-Millimeter-Artilleriegeschosse auf 174 Millionen US-Dollar bzw. auf 75.357 „dumme“ Granaten vom Typ M795 für die reguläre Artillerie zu reduzieren. Hinzu kommen 1.400 Granaten vom Typ XM1113 für die hochgelobten M777-Howitzers, die bereits in die Ukraine geliefert wurden, und 1.046 Granaten vom Typ XM1113 sowie 426 Excalibur-präzisionsgesteuerte, „intelligente“ Granaten.

Fasst man alles zusammen, so kommt Vershinin zu dem für alle US/NATO-Experten erschreckenden Ergebnis, dass die jährliche US-Produktion von Artilleriemunition bestenfalls zehn Tage bis zwei Wochen für den hochintensiven Kampf in der Ukraine ausreichen würde.

Die USA sind laut Vershinin nicht das einzige Land, das vor dieser Herausforderung steht. In einer kürzlichen Kriegssimulation, an dem US-, britische und französische Streitkräfte beteiligt waren, hatten die britischen Streitkräfte bereits nach acht Tagen die nationalen Vorräte an kritischer Munition aufgebraucht. Das erinnert übrigens an den vollkommen unprovozierten anglo-französischen Angriffskrieg gegen Libyen im Jahr 2011, wobei die beiden Aggressoren bereits nach wenigen Tagen ihre Präzisionsmunition zur Zerstörung der libyschen Luftverteidigung ohne durchschlagenden Erfolg aufgebraucht und sie sich hilfesuchend für Nachschub an die USA gewandt hatten, die dann auf Drängen von US-Außenministerin Hillary Clinton selbst zur Kriegspartei wurden.

Weiter führt Vershinin aus, dass die US-Versorgungs- und -Nachschublage bei Schulter gefeuerten Panzer – und Luftabwehraketen wie Javelins und Stingers nicht viel besser ist als bei der Artilleriemunition. So hätten die USA 7.000 Javelin-Raketen in die Ukraine verschifft – etwa ein Drittel ihres Lagerbestands –, und weitere Lieferungen sollen folgen. Aber Lockheed Martin, der Hersteller von Javelins, produziert nur etwa 2.100 Raketen pro Jahr, wobei bei entsprechenden Maßnahmen diese Zahl in einigen Jahren auf 4.000 steigen könnte. Die Ukraine behauptet, allerdings jeden Tag 500 Javelin-Raketen zu verbrauchen. Diese Zahl stimmt sicherlich nicht, aber selbst, wenn die Ukraine nur 50 Javelins pro Tag verschießen würde, dann würde sie die ganze US-Jahresproduktion in sieben Wochen Krieg verpulvern.

Vor allem scheint Vershinin von den Verbrauchsraten von Marschflugkörpern und ballistischen taktischen Raketen durch die der russischen Streitkräfte beeindruckt. Laut seiner Zählung haben die Russen bereits zwischen 1.100 und 2.100 Raketen abgefeuert. Die USA kaufen derzeit jährlich 110 Raketen des Typs PRISM, 500 JASSM- und 60 Tomahawk-Marschflugkörper. Das bedeutet laut dem Autor, dass Russland in drei Monaten des Kampfes das Vierfache der jährlichen US-Raketenproduktion eingesetzt hat.

Die russische Produktionsrate könne allerdings nur geschätzt werden. Russland begann 2015 mit der Produktion dieser Raketentyps in begrenzten Anfangsauflagen, und selbst im Jahr 2016 wurden die Produktionsläufe auf 47 Raketen geschätzt. Das bedeutet, dass die russische Raketenproduktion erst seit fünf bis sechs Jahren in vollem Ausmaß läuft.

Wie hoch der anfängliche Vorrat an russischen Raketen im Februar 2022 war, ist unbekannt, aber angesichts des bisherigen Verbrauchs und der Notwendigkeit, für den Falle eines Krieges mit der NATO erhebliche Vorräte zurückzuhalten, sieht es nicht danach aus, als seien die Russen besonders besorgt und sparsam mit dem Raketeneinsatz. Tatsächlich scheinen sie genug zu haben, um Marschflugkörper sogar auf operativer Ebene gegen taktische Ziele einzusetzen. Die Annahme, dass Russland 4.000 Marschflugkörper und ballistische Raketen im Inventar hat, ist laut Vershinin daher „nicht unvernünftig“. Und diese Produktion werde wahrscheinlich trotz westlicher Sanktionen steigen. Im April dieses Jahres hatte z. B. die russische Firma ODK Saturn, die die Raketenmotoren für das Kalibr-Modell herstellt, weitere 500 weitere Fachkräfte gesucht.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist, dass in einem längeren großen, konventionellen Krieg zwischen zwei gleichstarken Gegnern derjenige der Gewinner sein wird, der über die stärkste industrielle Basis im eigenen Land verfügt und nicht auf „Just in time“-Zulieferungen aus fremden, womöglich sogar unfreundlichen Ländern warten muss. Das eigene Land muss entweder über die Produktionskapazität verfügen, um riesige Mengen an Munition herzustellen oder aber über andere Fertigungsindustrien verfügen, die schnell auf Munitionsproduktion umgestellt werden können. Glücklicherweise scheinen die imperialistischen Ausbeuterstaaten und Kriegstreiber des Westens diese Fähigkeiten nicht mehr zu haben.

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes


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