Tod und Verderben – Der genetische Code der NATO
Der Gründungsmythos der NATO erzählt eine noble Geschichte von Freiheit, Humanität, Demokratie und Menschenrechten. Das ist eine besonders dicke Lüge, wie ein Rückblick auf die schrecklichen Verbrechen zeigt, die Mitgliedstaaten in den Jahren vor der NATO-Gründung 1949 begangen haben.
von Rainer Rupp
Erstveröffentlichung am 26.05.2022 auf RT DE
Vor dem Hintergrund der aktuellen Anträge Finnlands und Schwedens zur Aufnahme in die NATO wird die „Nordatlantische Terrororganisation“ auf allen Medienkanälen mittels einer obszönen Geschichtsklitterung als die erfolgreichste Friedensorganisation der Weltgeschichte präsentiert. Unter geschickter Auslassung ihrer Entstehungsgeschichte und des Raubtiercharakters ihrer Gründungsstaaten sprechen deutsche regierungstreue Sender und Blätter die NATO als Garant von Freiheit und Demokratie regelrecht „heilig“.
Diesem Narrativ folgend war die Gründung der NATO 1949 eine absolut notwendige Entscheidung zur Verteidigung der friedens- und freiheitsliebenden westlichen Demokratien, die von der kommunistischen Sowjetunion angeblich „bedroht“ wurden. Die unangenehmen historischen Tatsachen fallen dabei unter den Tisch, z. B. dass die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg keine militärische Bedrohung für den Westen darstellen konnte. Denn die UdSSR, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, war ausgeblutet und von der Westgrenze bis hin zum Ural fast vollkommen zerstört.
Sofort nach Kriegsende hatte der Kreml deshalb seine Armeen weitgehend demobilisiert, denn die Soldaten wurden als Zivilisten gebraucht, als Arbeiter, Techniker und Ingenieure für den Wiederaufbau der Dörfer, Städte, Industrieanlagen und Infrastruktur, die von der Nazi-Soldateska gemäß ihrem Auftrag, beim Rückzug nur „verbrannte Erde“ zu hinterlassen, dem Erdboden gleichgemacht worden waren.
Jede halbwegs objektive historische Analyse zeigt, dass die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die Kraft und erst recht nicht die Absicht hatte, einen Krieg gegen den Westen zu führen, zumal hinter den Westalliierten die gewaltige Wirtschaftsmacht der vollkommen unzerstörten USA stand. Auch waren die Vereinigten Staaten Ende 1945 zur unbezwingbaren atomaren Supermacht aufgestiegen, die mit Hiroshima und Nagasaki auf grausame Weise demonstriert hatte, dass sie keine Skrupel hatte, mit der neuen Massenvernichtungswaffe die Zivilbevölkerung von Millionenstädten auszulöschen.
Über solche Hintergründe erfährt der deutsche Otto Normalverbraucher nichts. Dazu muss man schon solch exotische Veranstaltungen besuchen wie die „Europäische Friedenskonferenz“ vom 14./15. März 2009 in Berlin. Vor dem Hintergrund der damals aktuellen Bemühungen der USA, mit einem neuen strategischen Konzept die NATO zur Hilfstruppe der US-Streitkräfte bei globalen Einsätzen zu machen, hatte z. B. der Kasseler Friedensforscher Peter Strutynski an die vollkommen aus der Luft gegriffenen Rechtfertigungen zur Gründung der NATO erinnert.
Von den selbsterklärten Qualitätsmedien wie ARD, ZDF, Deutschlandfunk und von den anderen Desinformationsspezialisten im deutschen Medien-Dschungel wird dem deutschen Bürger alltäglich ein einfaches politisches Weltbild serviert, bei dem die USA/NATO/EU auf der Seite der Engel gegen das Böse in der ganzen Welt kämpfen, wie zurzeit hochaktuell aufseiten der ukrainischen Engel gegen den bösen Putin.
Das Böse taucht im US/NATO-Narrativ stets in der Gestalt eines neuen „Hitlers“ auf, und zwar immer in solchen Ländern, die sich in einem selbstzerstörerischen Wahn nicht an die US-gemachte „regelbasierte Weltordnung“ halten. Deshalb müssen die USA/NATO diesen Ländern mit humanitären Militärinterventionen helfen, ihre Regierung zu stürzen, damit das Land anschließend in die Gemeinschaft der friedfertigen, demokratischen Nationen des Westens zurückkehren oder gegebenenfalls aufgenommen werden kann.
Schaut man jedoch hinter die glitzernde Fassade der von USA/NATO deklamierten, hochmoralischen Ziele, dann erkennen wir die hässliche Maske des gemeinen Imperialismus, der rund um die Welt mit Worten wie Freiheit und Demokratie auf den Lippen für die Menschen nichts anderes als Tod und Verderben bringt. Das wird jedem klar, der sich die Taten der wichtigsten Gründerstaaten des Nordatlantischen Bündnisses in der Zeit von 1945 bis 1949 anschaut. Denn dabei werden wir feststellen, dass der allseits gepflegte, noble Gründungsmythos der NATO eine besonders dicke Lüge ist! Allerdings haben die NATO-Gründerstaaten allen Grund, das, was sie in der Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der NATO-Gründung getan haben, mit viel Propaganda-Tamtam zu vertuschen.
Die wichtigsten Gründerländer der NATO waren das absterbende Britische Imperium sowie die aufsteigende Supermacht USA, die sich bereit machte, weltweit in die kolonialen Fußstapfen der Briten zu treten. Eine weitere wichtige Rolle spielten die Kolonialmächte Frankreich, Belgien, Niederlande und Portugal. Die kleineren skandinavischen Staaten Dänemark, Island und Norwegen sowie Luxemburg und Italien waren zwar mit von der Partie, hatten aber ebenso wie Kanada in der NATO wenig zu sagen, denn dort waren die USA der übermächtige und tonangebende Partner.
Damals führten diese Kolonialstaaten rund um den Globus blutige Unterdrückungskriege gegen nationale Befreiungsbewegungen. Dabei schreckten sie von keiner Grausamkeit zurück, weder vor Massenexekutionen, wie durch französisches Militär in Algerien, noch vor kollektiven Vergeltungsmaßnahmen in Form von Bomben- und Artillerieüberfällen auf die Zivilbevölkerung in friedlichen Dörfern.
Tod und Verderben liegen von Anfang an im genetischen Code der NATO
Vor 77 Jahren, genau zum Kriegsende in Europa am 8. Mai 1945, demonstrierten in dem französischen Kolonial-Departement „Algérie“ Zehntausende von Algeriern unter dem Banner „Algerien den Arabern“ für „Gleichheit und Unabhängigkeit“. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die französische Antwort war totale Repression. Französische Polizei- und Militäreinheiten wurden von Selbstverteidigungsmilizen der Kolonialfranzosen unterstützt. Die algerische Großstadt Sétif und die benachbarten Orte Guelma und Kherrata wurden an diesem 8. Mai 1945 Schauplatz eines gewaltigen Massakers. Mit unglaublicher Brutalität wurden zigtausende Algerier erschossen oder auf andere Weise hingerichtet.
Zudem organisierte die französische Armee Zeremonien der Unterwerfung: Alle Einheimischen mussten sich vor der französischen Fahne auf den Boden werfen und im Chor wiederholen: „Wir sind Hunde.“ Mehrere Hundert Algerier wurden selbst nach diesen planvollen Demütigungen herausgegriffen und ermordet.
Unterstützt wurde das französische Militär bei den Mordaktionen von zivilen Kolonisten. Laut einem zeitgenössischen Polizeibericht rühmte sich ein französischer Kolonist, persönlich 83 Algerier („merles“) erschossen zu haben. Zugleich bombardierten, beschossen und zerstörten französische Armee- und Marineeinheiten reihenweise ganze Dörfer.
Die „Befriedungsoperation“ endete offiziell am 22. Mai 1945. Das offizielle Algerien spricht heute von 45.000 Toten. Man kann davon ausgehen, dass diese Massaker der Ausgangspunkt für den 1954 beginnenden, nicht weniger blutigen Algerienkrieg waren. Dieser beendete nach vielen Jahren und bitteren Kämpfen der algerischen Freiheitskämpfer die französische Kolonialherrschaft im Land. Zugleich sei hier an den „Ersten Indochina-Krieg“ erinnert, den Frankreich zur Unterdrückung der vietnamesischen Freiheitsbewegung „Việt Minh“ vom 19. Dezember 1946 bis zum 1. Dezember August 1954 geführt hat.
Aber Frankreich war nicht das einzige Land, das unmittelbar vor der Mitgliedschaft in der NATO in blutige Kolonialkriege verwickelt war. Großbritannien begann im Rahmen der „Malayan Emergency“ im Jahr 1948 mit 40.000 britischen und australischen Soldaten und 250.000 lokalen Hilfstruppen einen 12 Jahre dauernden Krieg zur Unterdrückung der malaysischen Freiheitsbewegung. Berichte über britische Massaker sind in offiziellen Archiven ihrer Britischen Majestät kaum zu finden. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass die Briten in Malaysia und in ihren vielen anderen Kolonien die dortigen Freiheitsbewegungen nicht weniger brutal unterdrückt haben als die Franzosen 1945 in Algerien.
Mit Blick auf die zunehmenden Unabhängigkeitsbestrebungen in den Kolonien hatten die Briten bereits 1914 ihr „Handbuch des Militärrechts“, in dem die Regeln des Krieges festgelegt sind, entsprechend geändert. In der neuen Version von 1914 wurde klar gesagt, dass diese Regeln des Krieges nur für Konflikte „zwischen zivilisierten Nationen“ galten und dass „sie in Kriegen mit unzivilisierten Staaten und Stämmen nicht gelten“.
Die Versklavung, Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung ganzer Bevölkerungsteile durch die NATO-Gründerstaaten geschahen nicht nur in fernen Zonen auf der anderen Seite der Erdkugel, sondern auch in Europa, und zwar im Fall der mörderischen Einmischung der Briten und dann der US-Amerikaner in den Bürgerkrieg in Griechenland.
Die Hauptpropagandisten der NATO, die USA und Großbritannien, mischten sich unmittelbar nach der Befreiung Griechenlands von der Nazi-Besatzung gen Ende des Zweiten Weltkriegs auf Seiten der griechischen Monarchisten und Reaktionäre in den Bürgerkrieg in Griechenland ein. Laut dem damaligen Verbindungsmann des britischen Geheimdienstes MI6 in Athen war Griechenland damals „nichts anderes als ein britisches Protektorat“. Das hatte damit zu tun, dass vor dem Einmarsch der Nazis in Griechenland sich die griechische Großbourgeoisie und der Landadel bereits ins Ausland, vornehmlich ins bequeme London, abgesetzt hatten. Derweil waren die linken Freiheitskämpfer im Land geblieben und hatten unter großen Blutopfern den Nazis während der langen Jahre der Besatzung erbitterten Widerstand geleistet.
Nach dem Ende der Nazi-Besatzung kehrte die besitzende Klasse aus London zurück und wollte – mit militärischer Unterstützung der Briten – ihre feudalen Privilegien aus der Zeit vor dem Krieg wiederhaben. Dagegen sperrten sich die Linken und Kommunisten und es kam zu einem verheerenden Bürgerkrieg zwischen großen Teilen des Volkes gegen die herrschende Klasse und deren gekauften und bezahlten Schergen, die vom britischen Militär unterstützt wurden. Als der Krieg in Griechenland für das vom Zweiten Weltkrieg ausgezehrte London zu teuer wurde, sprangen die USA ein und übernahmen die Unterstützung der griechischen Reaktionäre.
Trotz des großen Beistands von der griechischen Bevölkerung hatten die linken Volksbefreiungskräfte in Griechenland gegen die geballte Kraft der neuen Supermacht USA keine Chance. Das von den USA unterstützte, reaktionäre Regime in Athen konnte sich schließlich mit Massakern, Terror, Willkür und Massenvertreibungen von ganzen Bevölkerungsteilen durchsetzen und die griechische Linke vernichtend schlagen. Wer von den überlebenden Volksbefreiungskräften sich nicht ins Exil in die osteuropäischen Volksrepubliken retten konnte, ging in der Regel jahrelang in Gefangenenlager, wo schreckliche Zustände geherrscht haben sollen.
Fakt ist, das Gründungsmitglied der NATO und die Musterdemokratie USA hat bei der Unterwerfung der griechischen Volksbefreiungskräfte die entscheidende Rolle gespielt. Das wird auch durch die Tatsache belegt, dass das US-Militär seine Erfahrungen bei der Vernichtung des griechischen Widerstands in einem Handbuch festgehalten hat, das später als Vorlage für die Kämpfe im US-Angriffskrieg gegen Vietnam diente.
Offiziell wurde damals die britisch-amerikanische Einmischung in den griechischen Bürgerkrieg mit der Lüge rechtfertigt, dass die griechischen Sozialisten und Kommunisten von der Sowjetunion materielle Unterstützung erhalten hätten. Diese existierte jedoch nur in der Propaganda der Westmächte, was von Archiv-Dokumenten zweifelsfrei belegt worden ist.
Auch in Italien waren die USA bemüht, die im Widerstand gegen einheimische und deutsche Faschisten bewährten und starken antifaschistischen Kräfte niederzuringen. Das ist Washington mit Hilfe seiner Geheimdienste und Kooperation mit Mafia-Organisationen auch gelungen, allerdings auf eine weit weniger blutige Art und Weise als in Griechenland.
Auch in den unmittelbaren Jahren nach der NATO-Gründung blieben die imperialen Ambitionen der Mitgliedsländer ebenso ungezügelt wie ihre Bereitschaft, eng mit faschistischen Diktaturen zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang wäre noch der gemeinsame Angriff Frankreichs und Englands zusammen mit Israel gegen Ägypten 1956 während der Suez-Krise zu erwähnen, ebenso wie die Fortführung der schmutzigen Kriege in Algerien, Indochina, Burma und Malaysia, und viele mehr. Da wäre auch noch die enge Zusammenarbeit mit faschistischen oder anderen Diktaturen innerhalb der NATO (Portugal; die Junta der Obristen nach dem faschistischen Militärputsch in Griechenland, die Militärputsch-Regierungen in der Türkei) und außerhalb der NATO (die US-NATO-Militärbasen im faschistischen Spanien von Generalissimus Franco). Des Weiteren sollte auch noch die Bereitschaft der NATO-Mitglieder erwähnt werden, vor allem der USA, sogar Terror gegen die eigene Bevölkerung in den europäischen NATO-Länder einzusetzen (im Rahmen von Gladio), um das Erstarken linker Bewegungen zu verhindern. Das ist der Stoff, aus dem die NATO ist!
All dies spricht eine viele deutlichere Sprache als die „Demokratie-Deklamationen“ der NATO-Eliten und ihr Gebrabbel von Freiheit und Menschenrechten.
Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes
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