Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Thesen zu außenpolitischen Positionen der deutschen Ampel-Regierung

Beitrag auf einer Konferenz des OKV in Berlin am 1.März 2022

von Prof. Dr. Anton Latzo

 

Liebe Gleichgesinnte,

die Zukunft Europas sieht immer mehr wie ihre entferntere Vergangenheit aus. In dieser Situation haben wir eine neue Regierung bekommen. Was kann und muss man von dieser Regierung erwarten? Bevor ich konkreter darauf eingehe, muss ich auf Folgendes hinweisen: Uns steht einiges bevor.

  1. Auch von Bundeskanzler Scholz wurde hervorgehoben, dass der Bundestag erstmalig an einem Sonntag einberufen worden sei. Damit wollte man offensichtlich die außerordentliche Gefahr unterstreichen, die sich aus der „Aggression“, aus dem “Einmarsch“ Russlands in die Ukraine ergibt. Die Parteien, die Propaganda der Medien, die „Zivilgesellschaft“, Stiftungen und Denkfabriken praktizieren das genau so.

Warum wurde mit keinem Wort darauf hingewiesen, dass der 27. Februar nicht nur ein Sonntag ist. An diesem Tag wurde nämlich im Jahre 1933 der Reichstag, das Hohe Haus und der zentrale Sitz der deutschen Demokratie in der Weimarer Republik in Flammen gesetzt!

Warum hat man nicht von den Lehren gesprochen, die daraus auch für unsere Tage zu ziehen sind?

Allein in der Brandnacht wurden 10 000 Gegner des Faschismus verdienen diese keine Würdigung? Zumindest von den Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, Demokratie und die Menschen zu vertreten, die die Werte schaffen.

Kein Wort darüber, dass die Alliierten des Zweiten Weltkrieges, Internationale Tribunale und die Völker diese Verbrechen verurteilt haben, dass es für immer gilt, zu verhindern, das diese Kräfte wieder über unser Leben bestimmen und in die Lage versetzt werden, über die Mittel zur Vernichtung der Menschheit zu verfügen.

Die Tatsache, dass nicht darüber gesprochen wurde, spricht für sich. Sie sollte uns aber zu denken geben!

  1. Statt dessen verkündete Bundeskanzler Scholz (SPD) nach zwei Monaten Ampelkoalition das größte Rüstungsprogramm, das Deutschland je ertragen musste.
  1. Die Koalitionsvereinbarung und die ersten außenpolitischen Schritte der SPD-geführten Ampelregierung weisen darauf hin, dass der Wille der deutschen Kapitals zum Erwerb und zur Ausübung von immer mehr internationalem Einfluss und immer mehr Macht ihre Positionen und Handlungen bestimmen. Der schon 2013 von hochrangigen Exponenten der deutschen Wirtschaft und Außenpolitik im Strategiepapier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ konzipierte Weg Deutschlands von einer „Gestaltungsmacht im Wartestand“ zu einer „Führungsmacht“ soll fortgesetzt werden. Dass auch militärische Mittel „bis zum Kampfeinsatz“, wie es ebenfalls damals schon hieß, zur Verfügung stehen müssen, steht für diese Regierung ebenso fest.

Es wird also eine Außenpolitik angestrebt, von der „der Wandel in den Blick genommen wird“, aber damit soll „die Bedeutung von Kontinuität und stabilen Leitplanken für außenpolitisches Handeln nicht verkannt werden“.

Der „Wandel“ wird also nicht unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeiten für die Gestaltung einer wirksamen Friedensordnung – besonders in Europa – betrachtet! Die Bemühungen zielen vielmehr auf das Aufspüren von Möglichkeiten auf dem Weg zur Führungsmacht, wobei auch Einsatz von Gewalt als Mittel der Politik einkalkuliert wird.

Durch die beauftragten staatlichen Institutionen und durch die meisten Medien wird zugleich eine intensive ideologische Indoktrination der Bevölkerung in eine Richtung betrieben, die besagt: „Deutschlands gewachsene Kraft verleiht ihm heute neue Einflussmöglichkeiten“! Die Propagandaarbeit hat nichts mehr mit rationaler Argumentation zu tun. Sie zeichnet sich durch gewollten Verzicht auf Erklärung, Verdrehungen der Wahrheit und Desinformation aus.

Leider sind die gesellschaftlichen und politischen Kräfte, die für eine Politik der friedlichen Verständigung der Staaten und Völker eintreten oder sich jeder Art von Gewalt- und Rüstungspolitik grundsätzlich entgegenstemmen, noch voneinander getrennt und vertreten ihre – auch die übereinstimmenden – Positionen getrennt.

  1. Bundeskanzler Scholz sprach auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2022 zugleich von einem „geopolitischen Gezeitenwechsel“. Er bedauerte den „Chor derer, die wahlweise den Abgesang anstimmen, auf die liberalen Demokratien, auf ‚den Westen‘ oder auf die von ihm geprägte internationale Ordnung“. In Anwesenheit der US-amerikanischen Vizepräsidentin und des Außenministers Blinken reklamierte er einen „Mitgestaltungsanspruch“, weil „selbstbestimmte Partner (wie Deutschland – A.L.) keine Schwächung bedeuten, sondern die Möglichkeit, die Probleme zu lösen, die auch die Größten und Stärksten nicht allein bewältigen können“.

Auch die Strategiezentren der deutschen Außenpolitik wie die DGAP und die SWP äußerten sich in Zusammenhang mit den Wahlen in die gleiche Richtung. Die SWP weist in einem Strategiepapier darauf hin, dass „Veränderungen in jüngster Zeit tiefgreifender und beschleunigt“ auftreten. „So ist davon auszugehen, das der Westen an Anerkennung verlieren und der Einfluss seiner Werte und normativen Vorstellungen (weiter) schwinden wird. Dies betrifft nicht nur die Führungsmacht USA, sondern insgesamt den NATO-Verbund, die EU und Deutschland“. Das prognostiziert die DGAP. Die deutsche Außenpolitik müsse sich darauf einstellen, das „in der internationalen Politik erhebliche Verwerfungen auftreten könnten – Partner und Konkurrenten betreffend“. In diesen Entwicklungen sieht man für Deutschland „auch die Chance, im europäischen wie internationalen Rahmen neue Impulse zu setzen“.

  1. Von den Verantwortlichen der regierenden Parteien, den Sprechern der großen Interessenverbände des Kapitals, ihren strategischen Denkzentren wird darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung die Wende zu einer offensiveren, risikobereiten Außenpolitik einleiten müsse. Deutschland muss „den Charakter seiner Außenpolitik verändern“, uzw. „weg von einer reaktiven ad.hoc Politik, die darauf bedacht ist, Schaden einzugrenzen; hin zu einer proaktiven Politik, die systematisch und begründet gestaltet wird und Chancen nutzt“. Diese „proaktive Außenpolitik“ Deutschlands, die das Konzept „mehr Macht und größere Verantwortung“ weiterführt, soll zu einer „Neuaufstellung deutscher Außenpolitik“ führen.

Dafür sollen nicht nur die politischen, ökonomischen und militärischen Potenziale des Staates eingesetzt werden. Man will auch die „zivilgesellschaftlichen Akteure stärken“, d.h. auch illegale Mittel und nicht kontrollierbare Kräfte einsetzen und eine Politik der erweiterten Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder verfolgen.

Weil es vor allem um Staaten geht, die politische und rechtliche Standpunkte vertreten, die von den Verhältnissen in der BRD und von ihrer Politik abweichen, werden sie als „autoritär regierte Staaten“ eingestuft, mit denen ein „Systemwettbewerb“ ausgetragen werden müsse.

Dazu ist auch der von der BRD 2020 in der EU initiierte „Strategische Kompass der EU“ gedacht, dessen „Ambitionsniveau“ Kanzler Scholz ausdrücklich begrüßte.

Dahinter verbirgt sich das Ziel, den Nationalstaat in der EU zu beseitigen und in den andern Staaten „zivile Stabilisierung“ zu rechtfertigen.

Um den „Systemwettbewerb“ zu bestehen, müsse „eine strategische Solidarität mit unseren demokratischen Partnern“ hergestellt bzw. gepflegt werden.

Nicht Frieden und gleichberechtigte Zusammenarbeit souveräner Staaten zum gegenseitigen Vorteil und auf der Grundlage des allgemein-demokratischen Völkerrechts stehen im Mittelpunkt. Die Regierung will ihre Ziele mit „demokratischen Partnern“, zu denen ja bekanntlich Russland und China nicht gezählt werden, verwirklichen. Das lässt mehr Konfrontation als Kooperation erwarten! Die BRD und ihre Außenpolitik stehen zunehmend für die Teilung der Welt, für die Vertiefung des Grabens zwischen den Staaten.

  1. Bundeskanzler Scholz stellt sich darauf ein, dass die Welt des 21. Jahrhunderts „weder uni- noch bipolar sein“ wird, was er in München sagte. „Sie wird unterschiedliche Machtzentren haben.“

Den Platz Deutschlands sieht er weiterhin in der EU. „Die Europäische Union ist unser Handlungsrahmen, unsere Chance. ‚Macht unter Mächtigen‘ zu bleiben, darum geht es, wenn wir von ‚europäischer Souveränität’ reden. Drei Dinge braucht es auf dem Weg dorthin: Erstens den Willen, als ‚Macht unter Mächten‘ zu handeln, zweitens gemeinsame strategische Ziele und drittens die Fähigkeiten, diese Ziele zu erreichen. An allem arbeiten wir.“ Das ist also das Grundelement der Ampel-Regierung!

Damit ist eigentlich die Funktion der EU, wie sie für die BRD auch während der Merkel-Regierungen gesehen wurde, von Scholz bekräftigt worden. Eine wichtige Seite der „Souveränität der EU“ beinhaltet dabei, Absetzung von der Vormundschaft der USA! Das Problem der Widersprüche wird zwar verschwiegen, im direkten Aufprallen der Interessen wird jedoch auch eine SPD-geführte Regierung diese nicht aus der Welt schaffen können.

Ein Riesenproblem ergibt sich daraus, dass die USA nicht bereit sind, ihre Präsenz in Ost- und Mitteleuropa sowohl unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung ihrer Ziele gegenüber Russland als auch als Instrument in der Auseinandersetzung mit der EU und ihren Mächten ohne weiteres aufzugeben, sondern bestrebt bleiben, sie zu verteidigen und – wenn möglich – auszubauen.

Das ist nur ein Beispiel, warum auch der beabsichtigte „Strategische Kompass“ der EU nicht ohne weiteres entsprechend den Vorstellung der deutschen Seite zu erarbeiten sein wird. Und das ist nur ein zentrales Konfliktfeld, mit dem die deutsche Regierung konfrontiert ist, das aber verschwiegen wird. Derlei gibt es noch viele andere, die alle die Notwendigkeit unterstreichen, in Europa ein System der kollektiven Sicherheit, des Friedens und der gleichberechtigten Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil der souveränen Staaten zu schaffen. Die Außenpolitik ist nicht auf ein Zusammenführen von Gleichberechtigten ausgerichtet, sondern auf eine „Entente Cordiale der Mächtigen“ – und damit auf vorprogrammierte Unsicherheit.

Andererseits hat die Politik der Bundesregierung in dieser Frage wesentlichen Einfluss darauf, ob die künftige Entwicklung in Europa friedlich oder nicht friedlich verlaufen wird. Für einen friedlichen Verlauf ist aber eine Politik notwendig, die, von gegenseitigem Respekt ausgehend, gegenseitigen Vorteil und gleiche Sicherheit für die beteiligten Staaten und Völker produziert und auf dieser Grundlage Frieden sichert. Davon ist allerdings – wie auch bei den vorherigen Regierungen der BRD – nicht viel zu sehen.

Die bisherigen Positionierungen der Regierung lassen nicht erkennen, dass zum Beispiel so wichtige Fragen wie Abrüstung, Abzug amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland, Fragen der kollektiven Sicherheit, der Auswertung des Helsinki-Prozesses und andere zentrale Probleme in den kommenden Zeit die ihnen objektiv zukommende Bedeutung einnehmen werden.

  1. Auch die neue Regierung erklärt, dass die Beziehungen der BRD zu Russland zu den zentralen Feldern deutscher Außenpolitik gehören. Sie steht vor der Aufgabe, das Verhältnis zu Russland auf eine sachliche und realistische Grundlage zu stellen. Unterlässt sie das, oder betreibt sie gar eine aktive und aggressive Antirussland-Politik wie es jetzt der Fall ist, so werden die negativen Auswirkungen nicht nur schädlich für die deutschen Interessen, sondern auch für Frieden und Sicherheit in Europa sein.

Sowohl von weiten Kreisen der Wirtschaft und entscheidenden Kräften der politischen Parteien, von den strategischen Denkzentren als auch in der Öffentlichkeit wird die Erwartung auf konstruktive und politisch und sachlich korrekte Beziehungen mit Russlands stärker. In den bisherigen Handlungen der Regierung finden diese Erwartungen keinen Niederschlag.

Sie folgt stattdessen dem Gegendruck der US-amerikanischen Politik und damit verbundenen internationalen aber auch nationalen Interessengruppen. Die Regierung ist dabei, auf Drängen der der USA zu kapitulieren. Das Feinddenken wird für die deutsche Außenpolitik zu einem bestimmenden Faktor für die Politik gegenüber Russland und die VR China.

Dieser Widerspruch treibt jedoch einem gewissen Kulminationspunkt zu. Ohne seine konstruktive Lösung sind Fortschritte nicht nur hinsichtlich der Befriedigung der Interessen der deutschen Wirtschaft, der Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch bei der Gestaltung von Frieden und Sicherheit in Europa nicht zu erreichen.

  1. Es wäre nicht das erste Mal, dass die entscheidenden Kreise des Kapitals versuchen, seine inneren und äußeren Widersprüche au Kosten Russlands zu lösen! Das Ende einer solchen aggressiven und expansiven Politik ist aber auch bekannt!

Es ist zu befürchten, dass die Ampelkoalition sich als Regierung des Übergangs erweisen wird, die durch scheinbare oder tatsächliche Unentschlossenheit und Zaghaftigkeit Bedingungen schafft, die günstigen Boden für jene Kräfte darstellen, die reaktionäre Konzepte und aggressive sowie expansionistische Strategien verfolgen.

Man muss aber auch darauf verweisen, dass die Sowjetunion damals der einzige Staat war, der schon in den 1930er Jahren eine Politik der friedlichen Koexistenz in Gestalt der Vorschläge zur Schaffung eines Systems der Kollektiven Sicherheit verfolgte und als antiimperialistische Kraft wirkte.

Das Kräfteverhältnis heute hat sich im Verhältnis zu damals – aber auch im Verhältnis zur Periode Ende des 20. Jahrhunderts – mit dem Aufstieg der VR China und der koordinierten …

  1. Ein Alarmzeichen sollte aber auch berücksichtigt werden: die LINKE in Deutschland und in Europa ist im aktuellen Zustand, aufgrund des opportunistischen und revisionistischen Verhaltens ihrer Führungen, nicht die Kraft, die eine wirksame Opposition gegen die Kriegspolitik der Herrschenden organisieren und diesen Kampf inhaltlich und organisatorisch führen kann. Sie ist aufgrund ihres ideologischen und organisatorischen Zustands nicht in der Lage die ideologisch auch unterschiedlich motivierten Friedenskräfte zusammenzuführen.

Die verschiedenen Gruppierungen und ihr Kampf gegeneinander sind sogar zu einem desorientierenden und desorganisierenden Faktor geworden, der die Aktionseinheit für den Frieden verhindert und die herrschende Klasse in die Lage versetzt, ihre reaktionäre und aggressive Strategie und ihre taktischen Ränkespiele zu verwirklichen.

Das darf allerdings kein Grund zu Resignation sein, sondern sollte die Parteien, die gesellschaftlichen und Friedensorganisationen zu vermehrten Anstrengungen veranlassen, vereint – mit  einem und nicht jeder mit seinem Programm für wirksame Aktionen zu mobilisieren!

Prof. Dr. Anton Latzo ist Historiker und Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes


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