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Die Bundesregierung und die deutschen Interessen

Für wen handelt eigentlich die Bundesregierung, wenn sie keinen Druck ausübt, Minsk II umzusetzen, stetig die Treue zur NATO beschwört, unverbrüchlich an der Seite der Ukraine stehen will und selbst Sanktionen gegen Nord Stream 2 akzeptiert? Die Interessen der deutschen Bürger können es nicht sein.

von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 14.02.2022 auf RT DE

(Podcast bereitgestellt durch RT DE)

Wenn man wissen will, wofür dieser Westen steht und wofür nicht, muss man nur die Auseinandersetzung um die russische Eiskunstläuferin Walijewa betrachten. Mal ganz abgesehen von der Korruptionsgeschichte des IOC und den geopolitischen Manipulationen durch vermeintliche Anti-Doping-Kämpfer – es sind andere Verstöße, die dabei aussagekräftig sind. Zum einen, dass diesmal ein junges Mädchen das Ziel ist, das nach den normalen Regeln einer menschlichen Gesellschaft geschützt, nicht angegriffen werden sollte. Zum anderen, dass kein Respekt vor der Schönheit besteht. Eiskunstlauf ist in seinen besten Momenten mehr Tanz als Sport, ein Tanz, der die Grenzen der Schwerkraft zu überwinden scheint. Walijewa gelingt es, Augenblicke der Vollkommenheit entstehen zu lassen. Bei normalen Menschen erzeugt das spätestens seit der Jungsteinzeit ein Gefühl von Ehrfurcht. Der Westen ist nicht mehr normal.

In den letzten Tagen wurde die Dramatik um die Ukraine noch eine Stufe höher geschraubt. Ausreiseaufforderungen für die Bürger fast aller europäischen Länder, geschlossene oder heruntergefahrene Botschaften, Schießung des Luftraums, eine völlig hysterische Szenerie, und inzwischen dazu noch eine US-amerikanische Ankündigung, wann ein russischer Einmarsch in die Ukraine erfolge. Die Begründung ist natürlich vollkommen albern: der Boden müsse gefroren sein. Nicht nur, dass das für russische Panzer noch nie gegolten hat; es waren die deutschen, die Probleme mit dem Schlamm hatten. Die Wetterprognose für Donezk für die nächsten 14 Tage ist außerdem tagsüber solide über null Grad, bei solchen Temperaturen gefriert kein Boden.

Aber solche Vorankündigungen sind zutiefst unheimlich, schließlich kommen sie aus genau jenen Behörden, die für vorgetäuschte militärische Handlungen mit falscher Zuschreibung, auch False Flag genannt, zuständig sind, die westlichen Geheimdienste, allen voran die CIA. Weshalb es an der Zeit ist, nachzudenken, welche Konsequenzen und Notwendigkeiten sich aus deutscher Perspektive ergeben. Und nehmen wir doch einmal die Realität als Ausgangspunkt, nicht irgendwelche Fantasien über eine „russische Aggression“.

Dummerweise muss man das Inszenierungspotential oben genannter Geheimdienste mit einbeziehen. Nachdem die Bereitschaft der ukrainischen Regierung, einen Frontalangriff auf den Donbass zu starten, zumindest zweifelhaft zu sein scheint (schließlich wäre das in jedem Fall Selbstmord), und die Evakuierung der Botschaften irgendwie eigenartig ist, weil der Donbass doch ziemlich weit von Kiew entfernt ist, könnte so etwas wie eine False Flag in Kiew, die den „Separatisten“ in die Schuhe geschoben wird, als Eröffnungszug dienen. So etwas wie MH17, mit zufällig aufgefundenem Donezker Pass. Dann hätten die westlichen Medien ihre passende Erzählung, Selenskij könnte nicht mehr aus und müsste den Donbass angreifen, und die russische Reaktion darauf würde dann als „russischer Einmarsch“ verkauft.

Allerdings sollte man die Weltzentrale der Lüge in Langley nicht unterschätzen. Es ist ebenso gut möglich, dass sie für Notfälle schon ein fertig gedrehtes Video in der Tasche haben, das eine nie stattgefundene militärische Handlung Russlands gegen die Ukraine für alle westlichen Fernsehanstalten zweifelsfrei belegt. Oder mit anderen Mitteln für die gewünschte ukrainische Offensive gesorgt wird, über eins der integrierten Nazibataillone etwa.

Ab diesem Punkt ist die weitere Entwicklung ein offenes Feld, das von zwei Randpunkten begrenzt wird: am unteren Ende die besagte Runde „drakonischer Sanktionen“, allem voran die Nichtinbetriebnahme von Nord Stream 2; am oberen Ende ein nuklearer Krieg. Was letzteren betrifft, muss man nicht näher ausführen, dass er kaum im Interesse der Menschheit sein kann. Aber auch die günstigste Entwicklung ist zumindest für Deutschland verheerend.

Es wirkt so, als hätte man in den letzten Jahrzehnten hierzulande Sollbruchstellen eingebaut, die allesamt durch Entzug der Energiesicherheit aktiviert werden können. Nicht nur, dass es die „Energiewende“ ist, die die Probleme bei der Sicherung der Stromversorgung erst erzeugt hat; eine Zwangslage, in die sich neben Deutschland weltweit gerade einmal einige US-Bundesstaaten begeben haben. Der Mangel an Erdgas und dessen massive Verteuerung durch den von der EU erzwungenen Spekulationsmarkt haben bereits dazu geführt, dass die Kunstdüngerpreise in die Höhe schießen, während die einheimische Produktion wegen der hohen Energiepreise stillsteht; weißrussischer Kunstdünger wird wegen der Sanktionen nicht eingeführt, und russischer (der 60 Prozent der weltweiten Produktion ausmacht) käme dann auch nicht mehr in Frage; das führt spätestens nach einigen Monaten nicht nur zu massiven Preiserhöhungen bei Lebensmitteln, sondern zu tatsächlichem Mangel.

Allerdings gibt es noch einen Effekt, der wesentlich schneller wirken dürfte. Sämtliche moderne Dieselfahrzeuge benötigen einen Zusatz aus Harnstoff, Adblue, der Stickoxide aus den Abgasen entfernt. Ohne diesen Zusatz fahren sie nicht. Adblue wird allerdings aus Stickstoff und Methan hergestellt, und Stickstoff herzustellen ist sehr energieintensiv (siehe Kunstdünger), weshalb Adblue bereits jetzt knapp wird. Ist es nicht mehr vorhanden, stehen sämtliche Dieselfahrzeuge, auch die Lkws, die die Supermärkte beliefern. Die Fahrsperre ließe sich zwar abschalten, aber dazu müssten die Bedingungen für die Betriebserlaubnis geändert werden. Würde diese Bundesregierung das tun?

Die Folgen, die eine unsichere Stromversorgung auf die Industrie hat, muss man eigentlich nicht genauer ausführen; sie wären selbst ohne einen Blackout massiv. Dabei steht der größte deutsche Industriesektor jetzt schon bereits fast still. Nicht mehr nur, weil immer noch Chips fehlen; auch durch EU-Vorgaben (die letztlich über den Umweg Brüssel auch aus Berlin kommen). Danach muss die Gesamtproduktion von Automobilherstellern eine Emissionsgrenze einhalten, die nur durch einen höheren Anteil an Elektroautos erreicht werden kann; die Elektroautos werden auch produziert, aber nicht gekauft, weil die ganze Nummer nicht funktioniert. Die Verbrenner, die gekauft würden, können aber nur produziert werden, wenn dafür weitere E-Autos auf Halde gestellt werden …

Eine Sanktionierung von Nord Stream 2, ein Ereignis, das der Minimalschaden im Falle eines ukrainischen Angriffs wäre, hätte zwar vielleicht vorübergehende Auswirkungen auf den russischen Staatshaushalt, aber in Deutschland schädliche Folgen in fast jedem Lebensbereich. Diese Sanktion trifft uns, und vor allem uns. Bis in den Alltag jedes Einzelnen.

Die Bundesregierung ist aber munter mit dabei und lässt mit keinem Schritt erkennen, dass sie das Interesse der deutschen Bevölkerung auch nur im Blick hat. Außenministerin Annalena Baerbock tönte bekanntlich, „wir“ seien bereit, „einen hohen wirtschaftlichen Preis“ für die Ukraine zu zahlen, wobei sie diesen wohlweislich nicht näher ausführte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gerade wieder betont: „Deutschland ist Teil der NATO und der Europäischen Union. Ohne sie würden wir Deutsche nicht in Einheit und Freiheit leben.“ Nun, es ist die NATO, es sind die Vereinigten Staaten, die unbedingt Nord Stream 2 stilllegen wollen.

Eine deutsche Regierung, die diese Bezeichnung verdient hätte, müsste dafür Sorge tragen, dass auch dieser Fall nicht eintritt. Denn selbst wenn eine große militärische Auseinandersetzung ausbleibt, dieser eine Punkt genügt, um Deutschland als Industrieland zu ruinieren.

Sie müsste auf der einen Seite dem Druck, der aller Wahrscheinlichkeit nach von den USA auf die Ukraine ausgeübt wird, endlich zu liefern, maximalen Gegendruck entgegensetzen; also deutlich erklären, dass im Falle eines wie auch immer gearteten ukrainischen Angriffs auf den Donbass aus Deutschland weder finanzielle noch sonstige Unterstützung zu erwarten ist. Und sie müsste gegenüber den USA klarstellen, dass der Betrieb dieser Pipeline essentiell im deutschen Interesse ist, also weder eine Sanktionierung noch gar eine Sabotage akzeptiert werden.

Tatsächlich geht es in einem solchen Ausmaß um deutsche Kerninteressen, dass eine deutsche Regierung, die diese Bezeichnung verdient, öffentlich erklären müsste, dass mit Staaten, die diese Kerninteressen in Frage stellen, keinerlei Bündnis möglich ist, weil sie nicht wie Verbündete handeln, sondern wie Gegner. Bezogen auf die mehr oder weniger deutliche Ankündigung des US-Präsidenten Joe Biden hieße das: sollte irgendein Sabotageversuch der USA gegen Nord Stream 2 erfolgen, wäre das ein kriegerischer Akt gegen Deutschland, nicht gegen Russland, womit die in Deutschland stationierten US-Truppen aufgefordert werden müssten, sofort das Land zu verlassen.

Unmöglich? Nun, es hat keiner gesagt, dass Souveränität keinen Preis hat. Der Preis ist aber geringer als jener, der für die beständigen Treueschwüre der NATO gegenüber zu zahlen wäre. Man könnte ja in einem ersten kleinen Schritt, statt deutsche Fregatten ins chinesische Meer zu schicken, eine Kooperation mit der russischen Marine vereinbaren, um US-amerikanische Sabotageakte an Nord Stream 2 zu verhindern.

Es ist unschwer zu erkennen, dass die Bundesregierung nichts von alldem tut. Ich habe das auch nicht geschrieben, weil ich eine solche Reaktion für möglich, sondern weil ich sie für nötig halte, und um in Erinnerung zu rufen, wie in der jetzigen Situation reagiert werden müsste. Im Augenblick hat diese Regierung das Wohl und Wehe der deutschen Bevölkerung so ziemlich der letzten Institution anvertraut, der es anvertraut werden dürfte, der CIA, die aus den vorhandenen Möglichkeiten, um aus dem ukrainischen Truppenaufmarsch im Donbass irgend etwas zwischen Sanktionen und Weltkrieg zu machen, frei wählen kann. Und während die USA sich im Falle, dass es bei einer Verteidigung des Donbass durch Russland bleibt, ganz nebenbei des industriellen Konkurrenten Deutschland entledigen können, wäre die einzige für Deutschland positive Entwicklung, dass es zu keinem Angriff auf den Donbass kommt.

Nichts an dem Verhalten unserer Regierungsvertreter lässt in irgendeiner Weise hoffen, dass sie in diesem Sinne handeln. Aber wie nennt man das noch einmal, wenn eine Regierung im Interesse einer fremden Macht gegen die Interessen des eigenen Landes handelt?

Man nennt es Verrat.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes

Link zur Erstveröffentlichung: https://de.rt.com/meinung/131533-bundesregierung-und-deutschen-interessen/


Bild oben: Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 20. Wahlperiode des Bundestages am 06.12.2021
Foto: Sandro Halank, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=113153548