Putin im O-Ton zu den Gaspreisen
„Die Verbraucher in Deutschland sollten eine Erklärung fordern“
Auf seiner Jahrespressekonferenz wurde der russische Präsident Putin nach den europäischen Vorwürfen gegen Gazprom gefragt. Dass seine Antwort in deutschen Medien nicht übersetzt wurde, verwundert nicht. Daher tue ich es.
Erst vor wenigen Tagen habe ich über die Vorwürfe deutscher Medien berichtet, Gazprom würde kein Gas mehr über die Jamal-Europa-Pipeline liefern, die aus Russland über Weißrussland und Polen nach Deutschland führt. Der Grund dafür, dass über die Pipeline derzeit kein Gas in Deutschland ankommt, ist banal, denn Polen hat ein Problem, weil es auf amerikanisches Flüssiggas gesetzt und die langfristigen Lieferverträge mit Gazprom nicht verlängert hat. Das amerikanische Gas ist aber nach Asien gegangen, wo die Preise noch höher sind als in Europa. In Polen herrscht daher Gasmangel.
Polen kauft nun das Gas, das über Weißrussland kommt zu Börsenpreisen und daher kommt es nicht in Deutschland an. Mehr noch: Sogar in dem Spiegel-Artikel, an dem ich als Beispiel für die deutschen Medienberichte abgearbeitet habe, konnte man lesen:
Gas-Revers
„Am Morgen wurde an der Verdichterstation Mallnow (Brandenburg) – wie bereits an neun Tagen Anfang November – Gas in die entgegengesetzte Richtung nach Polen gepumpt.“
Gas in die entgegengesetzte Richtung zu pumpen, nennt man Revers. Deutschland hat also Gas an Polen geliefert, anstatt Gas über Polen zu erhalten. Gleichzeitig gibt es keine Meldungen, dass Russland etwaige Bestellungen aus Europa nicht bedient, Russland liefert alle Mengen, die europäische Importeure bestellen. Wenn zu wenig Gas über Weißrussland kommt, dann liegt das also daran, dass die Europäer zu wenig Gas bestellen und nun Deutschland, das ohnehin schon zu wenig Gas für den Winter hat, sein Gas nach Polen verkauft.
Gasknappheit – Ein Bombengeschäft
Diese künstliche Verknappung von Gas führt zu den hohen Börsenpreisen und damit zu den hohen Strompreisen. Wenn man jetzt noch weiß, dass die deutschen Importeure ihr Gas von Gazprom über langfristige Verträge zu einem Preis von weniger als 300 Dollar pro tausend Kubikmeter erhalten, der Börsenpreis derzeit aber bei über 2.000 Dollar liegt, dann muss man kein Genie sein, um zu verstehen, dass die Gasimporteure gerade ein Bombengeschäft machen, indem sie Gas für 300 Dollar kaufen und für über 2.000 Dollar weiterverkaufen.
All das hat Putin in seiner Antwort auf die Frage eines Journalisten erklärt und Lesern des Anti-Spiegel ist das nicht neu. Aber Putin noch etwas erzählt, was auch für mich neu war. Es gibt eine Pipeline, die Polen mit der Ukraine verbindet. Und das Volumen dieser Pipeline entspricht exakt den Mengen, die Polen gerade bekommt. Da die Ukraine in diesem Jahr fast kein eigenes Gas in ihre Speicher gepumpt hat, muss sie jetzt irgendwo Gas zu Börsenpreisen kaufen und offensichtlich kauft sie es bei den Polen.
Ein Grund für die hohen Preise
Das ist für deutsche Leser brisant. Der Grund ist folgender: Die Strompreise in Deutschland gehen aufgrund des Gasmangels durch die Decke. Anstatt aber das deutsche Gas in Deutschland zu halten und zusätzliches Gas aus Russland zu bestellen, wird sogar Gas aus Deutschland nach Polen gepumpt, das dann offenbar weiter in die Ukraine geliefert wird. Für die Gasimporteure ist das ein Bombengeschäft, aber für die deutschen Verbraucher bedeutet das, eine weitere Verschärfung des Gasmangels und weiter steigende Preise.
Und die Bundesregierung? Die sagt dazu nichts, und wenn sie etwas sagt, dann beschuldigt sie Gazprom, das aber nur so viel Gas liefern kann, wie aus Deutschland bestellt wird. Gazprom kann ja kein Gas in die Pipelines einspeisen, auf das am anderen Ende der Pipeline niemand wartet.
Putin im O-Ton
Nun kommen wir zu Putins Jahrespressekonferenz und zu der Übersetzung der Journalistenrage und zu Putins Antwort zu dem Thema. Ich habe beides vollständig übersetzt. Anschließend gehe ich noch einmal detaillierter auf die Gründe für den Gasmangel und die deshalb steigenden Strompreise ein.
Beginn der Übersetzung:
Frage: Pavel Krasnov, Erster Kanal:
Herr Präsident, die Gasfrage bewegt die Gemüter – natürlich vor allem in Europa. Wir sind Zeugen einer akuten Gaskrise. Doch als die Krise ausbrach und die Preise in die Stratosphäre gestiegen sind, hörten wir immer häufiger Anschuldigungen gegen Gazprom und Russland insgesamt. Erst neulich haben wir wieder den Vorwurf gehört, dass die Lieferungen durch die Jamal-Europa-Pipeline eingeschränkt werden. Überhaupt sind die Vorwürfe widersprüchlich: Entweder wir monopolisieren den europäischen Markt oder wir liefern im Gegenteil zu wenig.
Gestern haben sich die ukrainischen Nachbarn hervorgetan: „Naftogaz“ hat die Europäische Kommission erneut aufgefordert, Gazprom zu verpflichten, mehr Gas zu verkaufen. Das ist natürlich lächerlich, aber den Europäern ist wahrscheinlich nicht zum Lachen zumute. In Europa ist die Situation natürlich sehr schwierig: der absolute Preisrekord liegt bei über zweitausend Dollar. Das gab es noch nie und das war auch immer unvorstellbar. Aber ist das wirklich die Schuld von Gazprom?
Herr Präsident, meine Frage: Gibt es auch nur ein winziges Körnchen Wahrheit in all diesen Anschuldigungen, die jetzt gegen Gazprom erhoben werden?
Antwort: Wladimir Putin:
Natürlich nicht. Daran ist nichts Wahres. Es ist einfach der Versuch, wieder alles auf den Kopf zu stellen.
Ihre Kollegin fragte gerade, was der Westen nicht verstanden hat. (Anm. d. Übers.: Putin spielt auf eine Frage von Sky News an, die ich in den nächsten Tagen übersetzen werde) Sie lügen die ganze Zeit. Gazprom liefert alle Mengen, die von unseren Geschäftspartnern im Rahmen der bestehenden Verträge bestellt werden. Und zwar nicht nur das gesamte Volumen, sondern ich glaube, Gazprom hat die Lieferungen ins Ausland um 12 Prozent oder etwa 20 Prozent erhöht. Gazprom hat die Lieferungen nach Europa insgesamt erhöht.
Soweit ich weiß, sind wir das einzige Land, ist Gazprom das einzige globale Unternehmen, das sich so verhält. Ich habe bereits auf verschiedenen Veranstaltungen, auch auf internationalen Veranstaltungen, erwähnt, dass zum Beispiel amerikanische Lieferanten erhebliche Mengen, ich glaube 14 Millionen Tonnen Flüssigerdgas, vom europäischen Markt genommen und auf Premiummärkte umgeleitet haben. Zunächst nach Lateinamerika, nach Brasilien und dann nach Asien: China, Südkorea, Japan. Weil die dort mehr bezahlen. Die Europäer dachten, sie wären ein Premiummarkt – nein! Das hat sich auch an anderen Stellen gezeigt. Die Preise sind in die Höhe geschnellt. Es gibt viele Faktoren: ungünstiges Wetter, ein langer, kalter Frühling in diesem Jahr, sie haben zu wenig in die Gasspeicher gepumpt, die Windkraftanlagen haben nicht gearbeitet. All das hat das Defizit verursacht.
Gleichzeitig quälen die Regierungen ihre Öl- und Gasproduzenten, die ihrerseits nicht die für eine Ausweitung der Produktion erforderlichen Mittel investieren. So ist das Defizit entstanden. Sie haben zu wenig in die Speicher gepumpt und jetzt entnehmen sie es aktiv. Das ist natürlich ein Problem. Einige westliche Betreiber lagern ihr Gas auch in unterirdischen Speichern in der Ukraine. Sie haben damit begonnen, es aktiv abzupumpen und in ihren Ländern einzusetzen. Das liegt auf der Hand: Denn das aus unterirdischen Speichern gepumpte Gas ist viel billiger als der Kauf auf dem Markt. (Anm. d. Übers.: Weil es im Sommer eingelagert wurde, als der Preis noch bei 500 bis 700 Dollar stand, nicht bei 2.000 wie jetzt)
Wir haben ihnen doch gesagt, ich wiederhole es: Man sollte die langfristigen Verträge nicht zerstören. Nein, die Europäische Kommission hat uns immer wieder gesagt, wir sollten zu Marktbeziehungen übergehen, der Markt wird es regeln. Und jetzt hat der Markt es geregelt und Gas kostet mehr als zweitausend Dollar pro tausend Kubikmeter. Bitte schön, bitte gern.
Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass die gestern noch geschrien haben: Alarm, Gazprom erobert den Markt! Wir erobern gar nichts. Ja, wir liefern eine ganze Menge, aber wir sind nicht die einzigen Anbieter auf dem europäischen Markt. Aber wir sind wohl die Einzigen, die das Angebot erhöhen.
Man sagt uns: Nein, pumpt es dort hin, auf die Spotmärkte. Wir müssen zunächst die Bestellungen unserer Kunden im Rahmen langfristiger Verträge erfüllen.
Sehen Sie sich an, was passiert. Sagen wir, bei unserem größten Verbraucher in Europa, bei Deutschland: Ich kann mich irren, aber ich glaube, es bekommt 50 oder 51 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Wir haben 5,6 Milliarden Kubikmeter zusätzlich in die BRD geliefert, ein Plus von 10 Prozent, von über 10 Prozent. Hören Sie, das ist eine anständige Menge. Nach Italien haben wir zusätzlich 4,4 Milliarden Kubikmeter geliefert.
Sie haben gerade die Jamal-Europa-Pipeline erwähnt. Ich sehe diese Vorwürfe gegen Russland und Gazprom, dass Gazprom den zweiten oder dritten Tag in Folge über diese Route keine Kapazitäten für Gaslieferungen nach Europa gebucht hat, über Jamal-Europa. Wie ekelhaft das ist, wie soll ich es sagen… Na gut. Das sprengt einfach den Rahmen. Schließlich hat Gazprom diese Kapazitäten nicht gebucht, weil seine Vertragspartner und Unternehmen, vor allem die deutschen und französischen, die über diese Route Gas kaufen, keine Bestellungen abgegeben haben. Was soll Gazprom transportieren, wenn keine Bestellungen vorliegen? Was haben die begonnen zu tun? Sie haben auf dieser Strecke von der BRD nach Polen in den Revers geschaltet und pumpen seit einigen Tagen Gas von der BRD nach Polen.
Ich denke, das sollte alle interessieren. Warum? Weil wir Gas im Rahmen langfristiger Verträge an die BRD liefern und der Preis ist drei-, vier-, sechs-, siebenmal billiger als auf dem Spotmarkt. Wenn die eine Milliarde Kubikmeter Gas weiterverkaufen, machen sie fast eine Milliarde Dollar, 900-irgendwas, Profit. Das ist Geschäftemacherei. Das ist das Erste.
Die haben bestimmte Mengen genommen, haben von uns 5,6 Milliarden zusätzlich bekommen, als die langfristigen Verträge vorsehen, und verkaufen es jetzt. Aber das ist noch nicht alles. Sie pumpen das Gas im Revers, aber wie kann man Gas im Revers liefern? Gas kann nicht gleichzeitig in beide Richtungen durch ein und dasselbe Rohr fließen. Sie haben a) kein Gas bestellt und es b) auf Revers geschaltet.
Aber auch das ist nur ein Teil der Informationen.
Es gibt eine Verbindung, die das polnische Pipelinesystem mit dem ukrainischen verbindet. Die Kapazität beträgt etwa drei Millionen Kubikmeter pro Tag. Das ist genau die Menge, die aus der BRD nach Polen transportiert wird. Ich habe allen Grund zu der Annahme, dass dieses Gas in die Ukraine fließt. Und die Verbraucher in Europa und in Deutschland sollten wissen, was wirklich vor sich geht, und sich vielleicht an bestimmte Instanzen wenden, und eine Erklärung fordern.
Und anstatt nach Polen und dann in die Ukraine zu liefern und zu versuchen, jemandem dort „die Hose zu halten“, wäre es besser, weiter nach Europa zu liefern, in die Bundesrepublik, und den Preis vor Ort zu beeinflussen, denn je größer die Menge auf dem Markt ist, desto niedriger wird der Preis. Nein, sie haben angefangen, dorthin zu pumpen, in die entgegengesetzte Richtung. Genau das ist das Problem. Was hat Gazprom damit zu tun?
Die sollen sich also um ihre eigenen Probleme kümmern und rechtzeitig darauf reagieren und nicht denken, dass sie so schlau sind und dass Gott über sie wacht. Die von denen geschaffenen Probleme müssen sie selbst lösen, und wir sind bereit, dabei zu helfen. Wir tun das ja auch. Ich denke, ich habe das jetzt überzeugend dargelegt.
Ende der Übersetzung
Die Gründe für die Energiekrise in Europa
Über die Gründe für die Energiekrise in Europa habe ich oft berichtet, daher fasse ich sie hier der Vollständigkeit halber nur noch einmal kurz zusammen.
Erstens: Der letzte Winter war kalt, weshalb viel Gas verbraucht wurde. Pipelines und Tanker reichen nicht aus, um im Winter genug Gas nach Europa zu bringen, weshalb die Gasspeicher normalerweise im Sommer aufgefüllt werden. Das ist in diesem Jahr ausgeblieben und während die Gasspeicher normalerweise zu Beginn der Heizsaison zu fast 100 Prozent gefüllt sind, waren es in diesem Jahr nur knapp 75 Prozent.
Zweitens: Die Energiewende hat zu einem zu großen Anteil von Windenergie am Strommix geführt. Da der letzte Sommer aber außergewöhnlich windstill war, fehlte die Windkraft und es wurde unter anderem Gas zur Stromerzeugung genutzt, das eigentlich in die Speicher hätte geleitet werden müssen.
Drittens: Der Wunsch vieler europäischer Politiker, russisches Gas durch vor allem amerikanisches Flüssiggas zu ersetzen, hat dazu geführt, dass in Europa nun Gas fehlt. Der Grund: In Asien sind die Gaspreise noch höher als in Europa und die fest eingeplanten amerikanischen Tanker fahren nach Asien, anstatt nach Europa.
Viertens: Die Reform des Gasmarktes der letzten EU-Kommission hat den Handel mit Gas an den Börsen freigegeben. Dadurch wurde Gas zu einem Spekulationsobjekt. Während Gazprom sein Gas gemäß langfristiger Verträge für 230 bis 300 Dollar nach Europa liefert, ist es für die Importeure ein gutes Geschäft, das Gas an der Börse für 1.000 Euro weiterzuverkaufen und diese Spekulationsgewinne in Höhe von mehreren hundert Prozent in die eigene Tasche zu stecken.
Warum Gazprom trotzdem langfristige Verträge möchte? Die Antwort ist einfach, denn das war auch in Europa so, als in Europa noch Gasfelder erschlossen wurden. Der Produzent von Gas muss Milliardeninvestitionen planen und das geht nur, wenn er weiß, wie viel Gas er langfristig zu welchem Preis verkaufen kann. Daher möchte ein Gasproduzent langfristige Verträge, auch wenn der Preis zeitweise möglicherweise viel niedriger ist als der, den er an der Börse erzielen könnte.
Auch für den Kunden ist es von Vorteil, wenn er die Gaspreise und die Gasmengen im Voraus planen kann, denn was passiert, wenn man sich auf kurzfristige Verträge einlässt, erleben wir gerade in Europa. Dass die EU-Kommission sich trotzdem für kurzfristige Verträge und Börsenhandel von Gas einsetzt, ist entweder Inkompetenz, oder der Wunsch europäischen Konzernen die lukrative Börsenspekulation mit Gas auf Kosten der Verbraucher zu ermöglichen, oder die politische Abhängigkeit von den USA, die auf kurzfristige Verträge setzen, weil ihrer schnelllebigen Frackingindustrie schnelle Gewinne wichtiger sind als langfristige Planungssicherheit.
Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Wir danken dem Betreiber der Website anti-spiegel.ru Thomas Röper für die Genehmigung zur Veröffentlichung des Textes auf unserer Webseite.
Link zur Erstveröffentlichung: https://www.anti-spiegel.ru/2021/putin-im-o-ton-zur-den-gaspreisen-die-verbraucher-in-deutschland-sollten-eine-erklaerung-fordern/
Bild: Wladimir Putin auf der Pressekonferenz am 23.12.2021
Foto: kremlin.ru