Frieden - Antifaschismus - SolidaritätGeschichte

Vernichtungskrieg: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941

Rede von Joachim Guilliard auf einer Gedenkveranstaltung am 22. Juni 2021 in Heidelberg, die vom Friedensbündnis Heidelberg (u.a. Heidelberger Forum gg. Militarismus u. Krieg, DIE LINKE HD, Die Linke.SDS HD, DKP HD, Freidenker HD und VVN/BdA HD) organisiert und von Pax Christi HD, DGB HeidelbergRhein-Neckar und GEW Rhein-Neckar-Heidelberg unterstützt wurde.

Wir sind heute hier, um an ein besonders finsteres Kapitel der dt. Geschichte zu erinnern. Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht heimtückisch, ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Damit startete der deutsche Imperialismus die größte militärische Operation der Geschichte, die in den folgenden vier Jahren mehr Opfer forderte als jeder bisherige Feldzug. Über drei Millionen Soldaten und 4.000 Panzer wälzten sich in drei Heeressäulen ‒ Tod und Verwüstung bringend ‒ in das Land, ein Land das auf einen Krieg zu diesem Zeitpunkt nicht vorbereitet war. Die folgenden fünf Monate waren fürchterlich, eine unvorstellbare Katastrophe für die betroffenen Gebiete. Die deutsche Wehrmacht stieß bis Leningrad und Moskau vor, an die Dnepr- und an die Don-Mündung, nach Kiew und Charkow. Weiter kam sie jedoch nicht.

„Tag der Trauer“ nennen die Menschen in den Ländern der früheren Sowjetunion das Gedenken an den Überfall. In ihren Familien bleibt dieser Tag, dieser 22.Juni 1941 unvergessen. Denn es gibt wohl keine Familie dort, die keine Toten durch den deutschen Vernichtungskrieg zu beklagen hatten ‒ die meisten sogar sehr viele.

Pakt zur Unterwerfung

Es war ein schon lange geplanter Krieg. Hitler hatte ihn in „Mein Kampf“ angekündigt und im Februar 1933, kurz nach seiner Ernennung zum Reichskanzler in einer Rede von Reichswehrgenerälen präzisiert. Ziel seiner Politik sei die Ausmerzung des Bolschewismus sowie „die Eroberung neuen Lebensraum im Osten und dessen rücksichtlose Germanisierung“. Er umriss dabei schon die Grundzüge des späteren, „Unternehmen Barbarossa“ genannten Feldzugs: Die Eroberung eines riesigen Kolonialreiches in Osteuropa bis zum Ural durch die totale Unterwerfung der Sowjetunion und die gewaltsame Verfügbarmachung ihrer Bevölkerung.

Hitlers Ausführungen, (die auch die Aufhebung der militärischen Beschränkungen durch den Versailler Vertrag enthielten) „waren nichts anderes als das Angebot eines Paktes zwischen NSDAP und Wehrmacht“ so der Historiker Hannes Heer, Leiter und maßgeblicher Mitgestalter der bekannten Wehrmachtsausstellung[1]. Die Generäle nahmen sie dankend an. Auch wenn man es später nicht mehr wahrhaben wollte, so gab es eine recht große Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Überzeugungen.

Insbesondere die Bestrebungen, „Lebensraum“ im Osten zu gewinnen, waren keineswegs neu. Sie hatte es schon im deutschen Kaiserreich gegeben. Folgerichtig fand 1941 der Feldzug in den herrschenden Kreisen breite Zustimmung. Nicht nur die Faschisten, nahezu alle entscheidenden Kräfte aus Politik, Wirtschaft und Militär standen einmütig und entschlossen hinter dem imperialistischen Eroberungskrieg und waren vom Erfolg überzeugt.

Sorgfältig geplant: Versklavung, Vertreibung und Vernichtung

Für den Umgang mit den zu erobernden Gebieten und ihrer Bevölkerung waren in Ministerien, Behörden und Universitäten zuvor auch schon sorgfältige Pläne ausgearbeitet worden.

Sie sahen vor, mittels Versklavung, Vertreibung und Vernichtung der zu „Untermenschen“ erklärten slawischen Völker eine autarke Großraumwirtschaft zu errichten, die dem deutschen Reich Unabhängigkeit von der Weltwirtschaft garantieren sollte. Der Raub von Rohstoffen, Nahrungsmittel und Arbeitskräften sollte so die Ressourcen sichern, die das faschistische Deutschland für seinen Kampf um die Vormachtstellung in der Welt benötigte und gleichzeitig Versorgungsmängel für die deutsche Bevölkerung begrenzen. Die Wehrmacht wurde explizit angewiesen, sich aus dem besetzten Land zu ernähren und alle Überschüsse der Heimat zuzuführen. Hierbei würden, so hieß es im Beschluss der beteiligten Ministerien vom 2.5.1941 „zweifellos zig Millionen Menschen verhungern“. Doch „Versuche, die Bevölkerung dort vor dem Hungertod zu retten“ würden nur „die Durchhaltepolitik Deutschlands und Europas“ unterminieren, warnten die „Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Gebieten“ vom 23. Mai 1941.

Um Siedlungsraum für „dt. Volksgenossen“ zu schaffen, sahen die Eckdaten von Himmlers „Generalplan Ost“ vor, 14 Millionen Einheimische als Arbeitssklaven am  Leben zu lassen  aber 31 Millionen zu deportieren und zu ermorden. Jeder tote Russe oder Jude „also ein Stück deutsche Zukunft“ (Hannes Heer S. 50). Völkermord nach Plan!

Rassenideologischer Vernichtungskrieg

Dementsprechend war der Feldzug von Anfang an als rassenideologischer Vernichtungskrieg geplant worden. Mit der Besetzung weiter Teile der SU schuf die Wehrmacht die Vorrausetzungen für die systematische Ermordung der Jüdinnen und Juden in diesen Gebieten durch SS und Polizeibataillone. Darauf war die Rolle der Wehrmacht aber keineswegs beschränkt. Lange konnte sich in der BRD der Mythos einer „sauberen Wehrmacht“ halten, die stets Distanz zur faschistischen Partei und ihren Führern gehalten habe. Dieser Mythos konnte erst Ende der 1990er Jahre, im Zuge der Wehrmachtsaustellung und die von ihr angestoßenen Auseinandersetzungen geknackt werden. Mittlerweile ist es als historische Tatsache anerkannt, dass der Krieg auch von der Wehrmacht bewusst als Vernichtungskrieg geführt worden war ‒ aktiv und mit ideologischer Überzeugung.

Die Wehrmachtsausstellung machte deutlich, dass der Überfall auf Polen, die Besetzung Jugoslawiens vor allem der Feldzug gegen die SU einen neuen Typ von Krieg schuf, der die Schrecken des Ersten Weltkrieges bei Weitem überstieg. Er war, wie es auf Einführungstafel hieß, „ ‒ neben Auschwitz ‒ das barbarischste Kapitel der deutschen und österreichischen Geschichte“.

Wehrmacht: ohne moralische und rechtliche Bedenken

In Polen hatte die Wehrmacht bereits an ersten Einübungen im Völkermord mitgewirkt. Bei ihren Feldzügen ab 1941 auf dem Balkan und in der Sowjetunion ließ sie alle rechtlichen und moralischen Normen beiseite. Hitler hatte vorgegeben, diese Kriege außerhalb des damaligen Völkerrechts zu führen (d.h. u.a. die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konventionen, die D. unterzeichnet hatte, zu ignorieren). Die Generalität folgte seiner Aufforderung, angesichts des „schicksalhaften Kampfes“ mögliche moralische und rechtliche Bedenken zu überwinden. Das Oberkommando erließ dazu vier Grundsatzbefehle, die mittlerweile als die „verbrecherischen Befehle“ bezeichnet werden. Dazu zählt der berüchtigte Kommissarbefehl, der anordnete, tatsächliche oder vermeintliche „Politkommissare“ der Roten Armee „an Ort und Stelle zu erledigen“, Ein anderer Befehl ordnete die sofortige Erschießung von Partisanen und verdächtigen Zivilisten an, sowie kollektive Vergeltungsmaßnahmen, d.h. Massaker, in umliegenden Dörfern an. Alle Juden wurden zu militärischen Gegnern und so zum Freiwild erklärt.

Folgerichtig führte die Wehrmacht ihren Feldzug von Beginn an mittels barbarischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung. Musste sich die Wehrmacht zurückziehen, hinterließ sie „verbrannte Erde“. [Deutsche Soldaten zerstörten von 1941 bis 1945 über 1700 Städte, 70.000 Dörfer, 32.000 Fabriken und 4000 Bibliotheken. Am Schlimmsten traf es Weißrussland, wo nahezu alle Städte in Schutt und Asche gelegt und im Zuge der Besetzung 2,2 Millionen Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet wurden. ] [Erschreckend dabei ist, dass sich ein großer Teil der deutschen Soldaten auch selbsttätig an fürchterlichen Verbrechen beteiligte, wie zahlreiche persönliche Zeugnisse der Soldaten ‒ Tagebücher, Feldpostbriefe, spätere Erinnerungen ‒ belegen. Was die Wehrmachtsausstellung für viele so unerträglich machte, war die Tatsache, dass es sich bei den Tätern auf den Fotos nicht um anonyme und fremde Personen handelte, sondern um Millionen von Wehrmachtsangehörigen, die „jedermanns Mann, Vater, Onkel, Großvater“ waren. (Hannes Heer S. 39).

Tagebücher und Feldpostbriefe belegen auch mit welch unfassbaren Selbstverständlichkeit Gräuel an der jüdischen und slawischen Bevölkerung verübt wurden. Durch eine geschickte Propaganda war ihnen glaubhaft gemacht worden, das Morden und die grausame Behandlung der Menschen seien gerechtfertigt. Nicht nur weil ihnen weißgemacht wurde, sie seien mit dem Überfall nur einem feigen Angriff der Sowjets zuvorgekommen.

Hitler und der Wehrmachtsführung war es auch gelungen, die Wahrnehmung des Krieges auf eine Art zu manipulieren, dass sie sich für die Soldaten an der Front durch die Realität scheinbar bestätigten. Auf Merkblättern, die jedem in die Hand gedrückt wurde, wurde mit drastischen Beispielen vor der „heimtückischen Kriegsführung“ und dem Fanatismus des Gegners gewarnt. Als die völlig überrumpelten Einheiten der Roten Armee auch in aussichtsloser Lage erbitterten Widerstand leisteten und der Wehrmacht durch Angriffe versprengter Rotarmisten hinter der Front empfindliche Schläge versetzten, erschien dies als Bestätigung. Da der Propaganda zufolge dahinter als Drahtzieher nur die Juden stecken konnten, führten Wehrmachtseinheiten auch zahlreiche spontane Massaker an ihnen durch.]

Unter ungeheuren Opfern – größter Beitrag zur Befreiung

Die als Blitzkrieg konzipierte Invasion konnte jedoch Ende 1941 vor Moskau gestoppt werden. Ein Jahr später besiegelte dann die vernichtende Niederlage in Stalingrad die grundlegende Wende im Zweiten Weltkrieg. Unter ungeheuren Opfern und Entbehrung leisteten die Bevölkerung der Sowjetunion und ihre Rote Armee damit den größten Beitrag zur Befreiung Europas von der Herrschaft des deutschen Faschismus

Insgesamt kamen dabei jedoch über 28 Millionen Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger ums Leben. 11 Millionen Rotarmisten und 17 Millionen Zivilisten, darunter 3 Millionen Juden. Millionen sowjetischer Kriegsgefangener und ZwangsarbeiterInnen starben in deutschen Lagern.

Das darf nie vergessen werden!

Geschichtliche Verantwortung Deutschlands für Frieden und Entspannung

Die herrschenden, transatlantisch ausgerichteten Kreise in Deutschland wollen die Erinnerung daran jedoch offensichtlich verblassen lassen, da sie der Rechtfertigung ihres aggressiven Kurses gegen Russland im Wege steht. Bundesregierung und Bundestag haben sich geweigert, offizielle Gedenkfeiern durchzuführen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt zwar eine über weite Strecke gute zentrale Gedenkrede zum 80. Jahrestag, in der er den Feldzug auch klar als „monströser, verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungskrieg“ charakterisierte. Zu der sich daraus ergebenden besonderen geschichtlichen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Menschen in Russland sagte er jedoch wenig und nichts zu den konkreten Verpflichtungen für die deutsche Politik.

Doch diese kann nur lauten, sich für Frieden und Entspannung einzusetzen, für Zusammenarbeit mit Russland statt Konfrontation!

Militärministerin Kramp-Karrenbauer, die von einer „bereits akuten Bedrohung der EU“ durch Russland faselt, fordert hingegen alle Hemmungen gegen den östlichen Nachbarn fallenzulassen. Die Linke solle sich „von der Vorstellung lösen“, Frieden mit Russland „sei wegen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 eine moralische Pflicht.“

Dieser skandalösen und brandgefährlichen Politik müssen wir entschieden entgegentreten! Vom deutschen Boden soll NIE WIEDER Krieg ausgehen, dies war und ist die wichtigste Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und dem deutschen Faschismus.

Und selbstverständlich soll auch NIE WIEDER ein deutscher Soldat oder eine deutsche Soldatin gen Osten marschieren. Die bereits im Rahmen der NATO an den russischen Grenzen agierenden Bundeswehreinheiten sind vor dem Hintergrund der deutschen Verbrechen ein Affront und müssen abgezogen werden.

Wir dürfen nicht aufhören, auf die geschichtliche Verantwortung Deutschlands für den Frieden zu pochen, insbesondere auch für eine entschiedene Entspannungspolitik gegenüber Russland.

Dies kann nur bedeuten: Schluss mit der Aufrüstung und Schluss mit dem militärischen Aufmarsch nach Osten! Keine deutsche Beteiligung mehr an Kriegsmanöver!

Weg mit den Atomwaffen auf deutschem Boden und so schnell wie möglich raus aus der NATO!

[1] Hannes Heer, Christian Streit, Vernichtungskrieg im Osten – Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik, VSA Verlag, 2020, S.20

Joachim Guilliard koordiniert das „Friedensbündnis Heidelberg“
und ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild: Schlacht um Stalingrad, Oktober 1942
Foto: Bundesarchiv, Bild 116-168-618 / CC-BY-SA 3.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_116-168-618,_Russland,_Kampf_um_Stalingrad,_Soldat_mit_MPi.jpg