Wie man Demokratie verhindert: Ein paar Worte über NGOs
Nichtregierungsorganisationen oder NGOs wurden im politischen Leben auch bei uns in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger. Aber ist das wirklich ein Gewinn an Demokratie, wie das vor allem behauptet wird, wenn es irgendwo Auseinandersetzungen um NGOs gibt, oder eher das Gegenteil?
von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 19.06.2021 auf RT DE
Der Begriff besagt oft nicht einmal das, was er besagen soll. Die Auslandsstiftungen der deutschen Parteien gelten im Ausland auch als NGOs, obwohl ihre Mittel vollständig vom Auswärtigen Amt stammen. Auch wenn man die Strukturen betrachtet, die im Verlauf der letzten Jahre beispielsweise mit der Internetzensur beauftragt wurden, wie Correctiv, handelt es sich dabei um vorwiegend staatlich finanzierte Akteure; und in den Fällen, in denen staatliche Mittel keine Rolle spielen, treten an deren Stelle Großspenden. Für die Spender hat das einen doppelten Nutzen – zum einen können sie ihre Spenden steuermindernd geltend machen, zum anderen können sie die betreffenden Organisationen letztlich in ihrem eigenen Interesse einsetzen.
Innerhalb der BRD galt dieser Begriff bis in die 1980er Jahre schlicht für die vorhandenen Vereine und Verbände. Sie wurden üblicherweise von jenen finanziert, deren Interessen sie vertraten. Der Regelfall war tatsächlich eine demokratische Binnenstruktur, bei der sich eventuell vorhandene hauptamtliche Apparate den inhaltlichen Entscheidungen der ehrenamtlichen Führung unterzuordnen hatten, zumindest in der Theorie. Eine Vorgabe, die so auch für die Parteien gilt, die juristisch in Deutschland eine Sonderform des Vereins sind.
Der Wellenbrecher für die Etablierung des Mythos der NGO als einer neuen Form des Guten war Greenpeace. Die Aktionen, die die Organisation bekannt machten, waren spektakulär und erzielten ein – im Verhältnis zum Aufwand – ungeheures Medienecho. Jeder Verein, der sich jahrelang zu seinem Thema abmühte, wurde da blass vor Neid. Greenpeace schien gerade für die Jüngeren das Versprechen, Themen schneller auf die Tagesordnung setzen zu können, als das durch die bekannten demokratischen Strukturen der vorhandenen Verbände möglich war, die wesentlich langsamer auf Veränderungen reagierten.
Diese Langsamkeit war allerdings eine Folge der demokratischen Struktur, und die Schnelligkeit und Effizienz, die Greenpeace ausstrahlte, eine Folge dessen, dass diese Organisation nur sehr begrenzt als demokratisch betrachtet werden kann.
In der Praxis ist jede Organisation gezwungen, eine Balance zwischen Demokratie und Effizienz zu finden. Dass gerade in den 1980er Jahren der Glaube an die Effizienz ohne Demokratie in der BRD so um sich greifen konnte, hatte zwei Gründe. Der eine war die beginnende neoliberale Seelenmassage, die – klar im Interesse der großen Konzerne, die ja völlig demokratiefreie Zonen sind – die Vorstellung verbreitete, privat sei immer besser als öffentlich, wegen der höheren Effizienz. Der andere war die Erfahrung der Protagonisten der 68er Revolte, mit ihren Vorstellungen von Veränderung geradewegs gegen die Wand gelaufen zu sein.
Eine zentralistische Organisation, die keine demokratischen Prozesse beachten muss, lässt sich natürlich auch leichter an die Vorgaben einer Medienlandschaft anpassen, die von PR beherrscht wird. Was getan wird, und wie es getan wird, ist nicht mehr Ausdruck der Bedürfnisse der Beteiligten, sondern wird von der möglichst großen medialen Reichweite bestimmt. Die spektakulären Aktionen, die Greenpeace so viel Bewunderung eintrugen, waren eine Mischung aus Kommandoaktion und Werbekampagne, deren Ziel mindestens ebenso sehr in der Erzeugung von Spendenbereitschaft lag wie in der Vermittlung einer inhaltlichen Botschaft.
Die Spender sind bei Greenpeace und anderen Organisationen, die einem ähnlichen Muster folgen, völlig von den Entscheidungen abgekoppelt. Sie dürfen sich zwar so fühlen, als hätten sie etwas Gutes getan, aber die Definition, worin dieses Gute besteht, entzieht sich ihrem Einfluss. Letztlich wird damit die eigentlich auch mit der Spende angestrebte politische Handlung eingedampft auf eine Kaufentscheidung und an die Stelle der Teilnahme an politischen Prozessen tritt eine Wahl zwischen zu konsumierenden Produkten.
(Wer ein Beispiel für diese Organisationsform sehen will, kann das auf der Webseite von Campact tun. Der eigentliche Verein, der die politische Richtung bestimmt, hat ganze zwölf Mitglieder… das Fußvolk darf spenden und die Kampagnen ausführen.)
Die Erfolge, die das Modell Werbekampagne mit angeschlossener Spendenbüchse dabei erzielte, politische Themen zu setzen, führten dazu, dass sich auch in den Gewerkschaften und Parteien die Vorstellung der „Kampagnenfähigkeit“ verbreitete; oft schlicht, weil es schwerer wurde, mit traditionell formulierten politischen Themen in der Öffentlichkeit durchzudringen. Der Preis dafür bestand in einem Verlust an innerer Demokratie und einer Verstärkung der Spaltung zwischen Berufspolitikern mit ihrem Apparat und Mitgliedern, die teils inzwischen bereits daran gewöhnt waren, Spenden und die Durchführung vorgegebener Werbemaßnahmen mit politischer Aktivität zu verwechseln.
Das waren jetzt nur die Folgen der Entstehung der ersten Generation von neuen NGOs. Inzwischen hat man es bereits mit einer zweiten Generation zu tun, die das undemokratische Modell fortführt, aber zusätzlich noch Großspender ins Spiel bringt (wie z. B. Human Rights Watch). In manchen Fällen (wie bei Amnesty International) ist eine solche NGO der ersten Generation mittlerweile zusätzlich noch in den Sog der Großspender geraten. Es ist auch wesentlich leichter, eine Organisation unter Kontrolle zu bringen oder zu korrumpieren, die nur eine Handvoll Mitglieder umfasst; bei Hunderttausenden wird das bedeutend schwerer.
Eine solche NGO der zweiten Generation legt nicht einmal mehr Wert auf einen Förderverein und dessen Mitglieder, da der Finanzbedarf für den hauptamtlichen Apparat bereits durch die Großspender gedeckt ist. Die Entscheidung, für welche Themen sie sich einsetzt, welche Aussagen sie macht, liegt logischerweise letztlich bei diesem (oder diesen) Großspendern. Vor der Erfindung der Kategorie NGO und ihrer Glorifizierung durch Greenpeace etc. wären solche Strukturen sogleich als Lobbyorganisationen für eben diese Großspender klassifiziert worden. Inzwischen werden sie aber behandelt, als hätten sie die gleiche politische Legitimität wie Gewerkschaften und ähnliche Mitgliedsorganisationen. Schlimmer noch – ihre Glaubwürdigkeit wird höher eingeschätzt als jene der Parteien, die zumindest ein Grundmaß an innerer Demokratie gehalten haben.
Das, was in der „naturwüchsigen“, tatsächlich demokratischen Variante der Erfahrung und Kooperation hunderter ehrenamtlich aktiver Personen bedarf, wie die Organisation einer bundesweiten Demonstration, kann von diesen mit viel Geld versehenen Hauptamtlichenapparaten im Dienste von Oligarchen geradezu aus dem Ärmel geschüttelt werden. Die Finanzierung großer Bühnen, von Sonderzügen und Bussen, die Produktion von Flugblättern, Webseiten und Transparenten, die erforderliche Pressearbeit, alles kein Problem. Nur wirkliche Bürger, also politisch engagierte ganz gewöhnliche Menschen, wird man in diesen Zusammenhängen nicht finden.
Im Angloamerikanischen gibt es dafür den schönen Begriff „Astroturfing“. Astroturf ist die Markenbezeichnung des größten Kunstrasenherstellers. Der Kunstrasen wurde zum Bild für künstlich erzeugte Bewegungen, weil der Begriff für von Mitgliedern aufgebaute Organisationen „grassroots organisation“, Graswurzelorganisation ist. Gräser wachsen von unten nach oben. Kunstrasen wird von oben verlegt und sieht nur so aus, als wäre er gewachsen.
Die letzte große Astroturfing-Kampagne in der BRD war „Fridays for Future“. Überhaupt ist die ganze Klimawandel-Szene voll mit NGOs der zweiten Generation; klassische Mitgliederorganisationen finden sich so gut wie überhaupt nicht. Dazu kommen dann Stiftungen und Forschungsinstitute, deren Finanzquellen erstaunlicherweise wieder die gleichen Oligarchen sind…
Ganz unabhängig von der politischen Bewertung der gesetzten Inhalte und der Frage, wessen Interessen damit durchgesetzt werden, gegen wen – unter dem Etikett NGO verbergen sich überwiegend Organisationen, die schon durch ihre Struktur und ihre Vorgehensweise für das demokratische Leben eines jeden Landes toxisch sind. Dafür müssen sie nicht einmal aus dem Ausland finanziert und gegen die Souveränität gerichtet sein. Ein Blick auf die Bertelsmann Stiftung, die NGOs, die sie fördert, das sie umgebende Netzwerk an Instituten und ihre vielfältigen Methoden, die politischen Interessen der Bertelsmann AG in der politischen Landschaft durchzusetzen, genügt.
Die Frage sollte folglich nicht sein, Handlungsfreiheit für alle NGOs zu fordern oder Länder zu kritisieren, die das Astroturfing begrenzen wollen. Die Frage lautet, wie es gelingen kann, an die Stelle der Simulation von Demokratie durch Kunstrasenstrukturen wieder eine wirkliche, lebendige, authentische Demokratie zu setzen. Oder zum Mindesten zu verhindern, in einer Art Matrix-Republik zu erwachen, in deren politischen Diskurs sich nur noch die unterschiedlichen Oligarchen bespielen.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Link zur Erstveröffentlichung auf RT DE: https://de.rt.com/meinung/119126-wie-man-demokratie-verhindert-ngo/
Bild: Amazonastag des WWF vor dem Kölner Dom (2015)
Foto: Robert Günther / WWF – World Wide Fund for Nature (Diskussion), CC BY-SA 3.0 de
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44754224