Die Märchenstunde der Schlapphüte
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seinen jährlichen Bericht veröffentlicht. Wie alle diese Berichte ist er eine Mischung aus Verschweigen und Erfindungen, mit einer gelegentlichen Tendenz zu unfreiwilliger Komik.
von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 16.06.2021 auf RT DE
Einmal im Jahr treten Deutschlands Schlapphüte vom Verfassungsschutz vor die Öffentlichkeit und erzählen, was sie gerade für besonders gefährlich halten. Das Ergebnis kann durchaus Anlass zur Erheiterung sein.
Nun muss man vorab darauf hinweisen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, so wie die 16 Landesämter auch, nur einen kleinen Teil aller Aktivitäten erwähnt, und die relevanteste, die wirklich zutiefst bedenkliche, nämlich die direkte Einflussnahme dieser Dienste auf politische Strukturen und Handelnde innerhalb der Bundesrepublik in den Berichten schlicht nicht vorkommt. Dabei tauchen immer wieder in Einzelfällen Informationen auf, die belegen, dass ganze Sektoren der politischen Landschaft – und das nicht nur am rechten Rand – von diesen Behörden nicht nur „beobachtet“, sondern geradezu „gelenkt“ werden.
Seit den Terroristenprozessen in den 1970er Jahren ist das im Grunde bekannt, aber nie ernsthaft angegangen worden, obwohl eine Steuerung politischer Prozesse (im Gegensatz zur reinen Beobachtung) eigentlich einen völligen Verstoß gegen demokratische Grundregeln (der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“) darstellt. Man erinnere sich an das erste NPD-Verbotsverfahren, das schlichtweg daran scheiterte, dass so viele Vertreter diverser Dienste an führenden Stellen saßen, so dass eine Unterscheidung zwischen eigenem, authentischem und dem angeleiteten politischen Handeln in dieser Partei nicht mehr möglich war. Der NSU-Prozess, der lange Zeit danach stattfand, zeigte wiederum eine ähnliche Situation mit 40 Schlapphüten verschiedenster Couleur in einer Truppe von insgesamt etwa 120 Personen. So wie überhaupt das ganze Thema „Naziaufbau Ost“ zu Beginn der 1990er Jahre nach wie vor ungeklärt ist, aber alle Anzeichen dafür sprechen, dass hier Ämter aus den westlichen Bundesländern gezielt gefördert haben, und sei es, weil der Mythos vom „rechten Osten“ ausgesprochen nützlich war.
Wenn man auch nur annimmt, dass das Engagement der Behörde auf der Seite der Linken in etwa das gleiche Ausmaß besitzt (und das ist eine sehr vorsichtige Annahme), dürfte es kaum noch irgendeine politische Struktur jenseits der Regierungsparteien geben, die nicht dem Einfluss dieses Amtes unterliegt.
Also, dieser Bericht von über 300 Seiten enthält wenig über das alltägliche Schaffen der 4.113 offiziellen Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz. Dafür erzählt es hübsche Geschichten, insbesondere im Abschnitt Spionage.
Das beginnt schon mit der Auswahl der als besonders gefährlich benannten ausländischen Nachrichtendienste. Diejenigen, die in den letzten Jahren mit ihren Abhöraktionen besonders unangenehm aufgefallen sind und die schon in den 1980ern dafür berüchtigt waren, in der BRD ausgiebig Wirtschaftsspionage zu betreiben – die US-amerikanische Buchstabensuppe (so genannt, weil sie sich alle mit drei Buchstaben abkürzen) – wird nicht einmal erwähnt. Okay, die US-Amerikaner beschweren sich ja auch nicht groß darüber, dass der BND in etwa genauso neugierig ist und seine Flossen ebenfalls ganz tief im Frankfurter Netzwerk-Knoten des Internets stecken hat.
Nein, auserwählt sind natürlich vor allem die aktuellen geopolitischen Gegner. Wobei, die Türkei fällt da etwas aus dem Rahmen, weil doch seit wilhelminischen Zeiten einer der engsten Verbündeten … nun, es kann aber sein, sie haben jetzt etwas über die Stränge geschlagen. Oder haben sich in Bereiche eingemischt, wo sie mit geopolitischen Interessen der BRD kollidieren.
Ansonsten sind es natürlich russische, chinesische und iranische Agenten, die die Sicherheit der BRD bedrohen. Die meisten dargebotenen Geschichten kennt man natürlich ohnehin schon aus der Zeitung. So wie diese: „Der Wettlauf um die Entwicklung von Impfstoffen, Medikamenten, Antikörpertests und weiteren Innovationen, die insbesondere mit der Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse einhergehen, lassen Akteure in dieser Branche zu attraktiven Zielen nachrichten-dienstlicher Aktivitäten fremder Staaten werden.“ Ja, Deutschland ist mit seinem mRNA-Zeugs so toll, da muss man einfach spionieren wollen…
Aber es geht noch besser (und hier betreten wir wirklich das Reich der Märchen): „Insbesondere Russland und China nutzen Beschaffungswege und -methoden wie im Rahmen der ‚klassischen‘ Proliferation. Unter Einsatz von staatlichen, halbstaatlichen und nachrichtendienstlichen Akteuren sowie unter Umgehung von Sanktionen und Verschleierung der Endverwendung versuchen sie, an militärische und nachrichtendienstlich nutzbare Satelliten- oder Weltraumwaffen-Technologie zu gelangen. Beide Staaten benötigen fortschrittliche Technologie und das Wissen deutscher Unternehmen, um ihre Stellung und Präsenz im Weltraum zu modernisieren und auszubauen.“
Ist der letzte Satz nicht hübsch? Also Russland, das seit Jahren den USA freundlicherweise die Raketenmotoren liefert, damit sie überhaupt noch Satelliten ins All bekommen, und China, das mittlerweile ein Fahrzeug auf dem Mars hat landen lassen, brauchen die „fortschrittliche Technologie und das Wissen deutscher Unternehmen“? Wegen der tollen deutschen Weltraumwaffen? Oder der deutschen Raumschiffe? Vielleicht sind sie ja immer noch auf der Suche nach Nazi-UFOs, die von der Mondstation kommen, wie in Iron Sky?
Ganz ehrlich, Jungs, wenn in dem Bereich gerade spioniert wird, dann eher andersherum. Russische und chinesische Hyperschallraketentechnologie beispielsweise dürfte ein Hauptziel für Agenteneinsätze sein. Aber doch nicht Deutschland. Bleibt mal auf dem Teppich. Da fällt es sich auch weicher.
Noch so ein Schmankerl ist es, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz von „illegitimer Beeinflussung demokratischer Meinungs- und Willensbildungsprozesse“ schreibt. Schließlich ist genau das, wie oben angedeutet, sein eigenes Hauptgewerbe.
Aber gut, wer in dem Laden arbeitet, kann ja gar nicht anders, als zu meinen, die eigene Beeinflussung demokratischer Meinungs- und Willensbildungsprozesse sei legitim.
Übrigens gab es durchaus segensreiche Beeinflussungen dieser Art in der bundesdeutschen Geschichte. Damals, als das BfV noch seinen echten Gegner hatte, die Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit…
Dass gegen Ende der 1960er Jahre zumindest die Debatte über Naziverbrecher in der westdeutschen Bundesregierung begann und die ersten dann gar zurücktreten mussten, hatte etwas damit zu tun, dass einige Autoren in der BRD die nötigen Informationen über Personen wie Hans Globke aus der DDR geliefert bekamen. In der Bundesrepublik waren nämlich sämtliche Akten z.B. über Mitgliedschaft in der Nazipartei bis 1990 praktischerweise unter Kontrolle der USA und damit für Journalisten nicht zugänglich… (Dass sie dann sehr schnell ins Bundesarchiv wanderten, lässt erkennen, dass es nicht die USA waren, die diese Akten halten wollten, sondern dies auf Wunsch der BRD-Regierung geschah).
Leider dauerte es dann doch bis über die jeweilige Schwelle des natürlichen Pensionsalters, bis der letzte von ihnen gehen musste (Alfred Seidl, bayerischer Innenminister, 1981); aber diese politischen Auseinandersetzungen haben wenigstens die Kontinuität zu dem Staat vor 1945 etwas gestört. Da war auch das BfV nicht außen vor. 1972 musste dessen Präsident Hubert Schrübbers zurücktreten, weil er als Nazirichter entsprechende Urteile gefällt hatte.
Eine Bundesrepublik, in der nicht einmal dieses kleine, aus dem anderen deutschen Staat stammende, linde Lüftchen den braunen Mief etwas durchgepustet hätte, möchte man sich nicht ernsthaft vorstellen müssen.
Nun zurück zum Thema Spionage. Auch der syrische Geheimdienst sei zunehmend in der BRD aktiv, schreibt das BfV. Damit hat es vermutlich recht. Eine andere Option haben die Syrer ja auch nicht, solange die BRD die Islamistentruppen fördert, die hier unter „syrische Opposition“ laufen. Wenn es danach geht, dürfte es noch ein paar weitere Länder geben, die zumindest gerne ein Ohr an dem haben wollen, was hier vor sich geht, aus reinem Selbstschutz. Oder haben wollen würden, wenn sie die Kapazitäten dafür hätten.
Da können wir mal mit Weißrussland anfangen, dem (vielleicht) jüngsten Zielobjekt schmutziger bundesdeutscher Manöver, aber auch Venezuela, Bolivien, all die Regimechange-Kandidaten der vergangenen Jahre, bei denen auch die Deutschen mit Geld, Stiftungen und Sanktionen – wie heißt das nochmal so schön – illegitim die demokratische Meinungs- und Willensbildung beeinflusst haben. So vehement, wie ein Außenminister Maas das deutsche Recht betont, in anderen Ländern einzugreifen, ist diese Liste sicher ziemlich unvollständig. Tatsächlich gäbe es nur einige wenige Länder, die nicht schon zur eigenen Sicherheit Agenten in die BRD schicken müssten; das wären die politischen Verbündeten der BRD. Die sind aber trotzdem da, weil man ja immer auch konkurriert.
Man kann es auch direkter formulieren: Nur, wer es sich nicht leisten kann, hat keine Spione in der BRD. Die anderen müssen haben.
Gut, auch in dem Zusammenhang ist das BfV eher der Ausputzer, der zusammenfegen darf, wo der BND weltweit das Kraut ausgeschüttet hat.
Weiter zu jenem Teil der Prosa, der dieses Portal hier unmittelbar betrifft, dem Abschnitt „Nachrichten- und Sicherheitsdienste der Russischen Föderation“, Unterabschnitt „Einflussnahme und Desinformation“. „Staatliche Unternehmen kaschieren ihre Aktivitäten durch ein Auftreten als unabhängige Medien und versuchen so, sich als Alternative zu den als ‚Mainstream-Medien‘ diffamierten deutschen Medien zu positionieren.“
Es ist ja eine beliebte Verschwörungstheorie, dass der Begriff Mainstream-Medien zum Zwecke der Diffamierung entstanden sei. Der Gebrauch von Mainstream als „Hauptströmung“ der politischen Meinungen geht zurück auf den New Yorker Gouverneur Nelson Rockefeller in den 1960ern, und die Verbindung dieses Worts mit dem Begriff Medien ist erst einmal die Feststellung einer Tatsache. Dass sich das dann – unter anderem über die Frage der Konzentrationsprozesse beim Besitz dieser Medien – zu einem Begriff entwickelt hat, der als Kritik benutzt wurde, ist logisch, fand aber ebenfalls bereits vor Jahrzehnten statt.
Und sie wären ja früher darauf stolz gewesen, in der Mitte des Stroms zu schwimmen, die öffentlich-rechtlichen und die Konzernmedien. Dass sie es nicht mehr sind, hat eher damit zu tun, dass sie selbst daran gearbeitet haben, diesen Strom immer schmaler werden zu lassen. Oder, um einen anderen Begriff aus der Medienkritik zu verwenden, die „overton-window“ genannte Bandbreite des legitimen Diskurses immer weiter zu verengen. Das Unbehagen, das die Bezeichnung als Mainstream-Medien bei diesen auslöst, ist weit eher Resultat eigener Ahnung, dass eine solche Verengung auf Dauer nicht gut geht, als das Ergebnis einer Absicht zu diffamieren.
Gehen wir weiter zur konkreten Beschreibung dessen, was ich angeblich hier gerade tue (und du, geneigter Leser, gerade lesend entgegennimmst): „Ziele aller russischen Bemühungen sind die Diskreditierung der Bundesregierung, die polarisierende Zuspitzung des politischen Diskurses und das Untergraben des Vertrauens in staatliche Stellen.“
Ja, gäbe es RT DE nicht, dann hielten vermutlich alle Bundesbürger Heiko Maas für einen Superdiplomaten, Jens Spahn für den kompetentesten Gesundheitsminister aller Zeiten weltweit und überhaupt alle vergangenen und künftigen Regierungsmitglieder für die allerhellsten Kerzen auf jedem nur denkbaren Kuchen. Niemand würde jemals am Handeln dieser Regierung zweifeln, auch wenn sie jede Logik vermissen lässt, weil da ein Urvertrauen herrscht, ein dankbares Sich-Umsorgen-Lassen, weil niemand sich so gut um die Sorgen und Nöte der Bundesbürger kümmert…
Habt ihr sie noch alle? Diese Sammlung halbvoller Flaschen, trüber Tassen und sonstiger Tranfunzeln soll eine glaubwürdige Regierung abgeben, wenn bloß kein russischer Sender böse Bemerkungen über sie machte? Wer das glaubt, hält die Bevölkerung der Bundesrepublik für vollkommen unterbelichtet, absolut apolitisch und auf dem emotionalen Stand eines höchstens Dreijährigen. Muss man wirklich aufzählen, was diese Truppe alles selbst angestellt hat oder straflos durchgehen ließ?
Natürlich, jeder Angehörige der schreibenden Zunft ergeht sich gerne in Fantasien der eigenen Macht, da würde ich mich gewiss nicht ausnehmen wollen. Doch Cum-Ex, Wirecard, die Lockdowns, die ganzen Korruptionsfälle, das wart ihr bitteschön selbst, ihr Damen und Herren der Bundesregierung. Und unsereiner kann nicht mehr tun, als darauf hinzuweisen.
Diese Regierung delegitimiert sich selbst, und der geschickteste Zeilenschmied und Wortfechter kann da nicht ein Zehntel dessen erreichen, was ein Jens Spahn schafft oder eine Annegret Kramp-Karrenbauer oder eine Angela Merkel – ganz gleich, ob das Medium, in dem unsereiner werkt, nun aus Deutschland, Russland oder von der Venus finanziert wird. Da kann der Verfassungsschutz noch so oft in seinen Berichten das Gegenteil behaupten.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Link zur Erstveröffentlichung auf RT DE: https://de.rt.com/meinung/119220-marchenstunde-schlapphute/
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