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Instrumentalisierung der Geschichte – Babi Jar und der Untermensch im Slawen

Es scheint unmöglich in der Bundesrepublik, mit den slawischen Opfern des Nazi-Rassenwahns auch nur anständig umzugehen. Stattdessen wird ausgerechnet Babi Jar benutzt, um zu signalisieren, dass Untermensch Untermensch bleibt – zumindest, solange er Slawe ist.

von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung  am 12.06.2021 auf RT DE

Es war schon eigenartig, wie häufig in der Debatte des Bundestags zum Überfall auf die Sowjetunion auf Babi Jar verwiesen wurde. Angefangen mit Außenminister Heiko Maas: „In der Ukraine werden wir das geplante neue Holocaustmuseum Babyn Jar unterstützen und in Belarus die Sanierung der Geschichtswerkstatt im ehemaligen Ghetto von Minsk.“

Klar, in Lwow könnte die Bundesregierung kein Holocaustmuseum unterstützen, das würde bei jenen, die dort eine meterhohe Bandera-Statue errichtet haben, auf wenig Gegenliebe stoßen. Bei Kiew geht das vielleicht noch ohne unmittelbaren Zusammenstoß mit Naziverehrern, wenn man den Zaun drumherum hoch genug baut …

Aber warum wieder kein Denkmal, das an die slawischen Opfer der rassistischen Naziideologie erinnert? Warum spricht Maas (und nicht nur er) von „Opfern des Vernichtungskrieges in Polen und in ganz Europa“? Ja, auch die Polen wurden als slawische Untermenschen betrachtet und behandelt, wie die Serben und wie die Sowjetbürger. Ganz Europa? Nein, Franzosen, Niederländer, Dänen, Schweden, Italiener und noch einige andere hatten den Vorteil, nicht auf der Liste der Untermenschen zu stehen. Das bewahrte sie nicht vor Verbrechen. Aber es bewahrte sie vor systematischen Versuchen der Vernichtung, wie die Belagerung von Leningrad einer war. Was da vorgesehen war, kann man im Generalplan Ost nachlesen.

Es war der Boden der Sowjetunion, der in verbrannte Erde verwandelt wurde, als die Nazihorden abziehen mussten; Dorf um Dorf, Stadt um Stadt. Das Schicksal, das Warschau traf und dem Krakau entging, teilten Hunderte sowjetische Städte. Der Krieg im Westen hatte nicht das Ziel, die Bevölkerung zu vertreiben, zu versklaven oder zu ermorden; er sollte nur unterwerfen. Am 22. Juni 1941 begann eine in Europa völlig neue Form des Krieges, die nur das Land, nicht die Menschen erobern wollte.

„Polen und ganz Europa“ ist da eine gigantische Nebelkerze. Werfen wir doch einen Blick auf die Aussagen eines Fachmanns zur Rassenlehre der Nazis, Heinrich Himmler. In seiner Posener Rede führt er das Bild der Nazis von den Slawen sehr deutlich vor Augen:

„Diese Masse muss eben zertreten und abgestochen, abgeschlachtet werden. Es ist, um einmal ein ganz brutales Beispiel zu gebrauchen, wie bei einem Schwein, das abgestochen wird und allmählich ausbluten muss. (…) Der Slawe ist nie fähig, selbst etwas zu konstruieren. Auf die Dauer ist er es nicht. Ordnung zu halten, ist diese menschliche Minderware heute genau so wenig fähig, wie sie es vor 700 oder 800 Jahren war. (…)

Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total gleichgültig. Das, was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen. Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht. (…)

Achten Sie darauf, dass diese Untermenschen Sie immer ansehen, immer dem Vorgesetzten ins Auge sehen müssen. Das ist wie beim Tier. Solange es seinem Bändiger ins Auge sieht, so lange tut es nichts. Seien Sie aber immer darüber klar: es ist eine Bestie.“

Die Bundesregierung fördert eine Gedenkstätte in Babi Jar. Und lobt sich dafür in einer Debatte, in der es um den Überfall auf die Sowjetunion geht. Dahinter verbergen sich zwei Dinge.

Das erste ist der Vorwurf, der von hier aus gerne der Sowjetunion gemacht wird, sie habe nicht angemessen der jüdischen Opfer gedacht. Das ist ein sehr listig ausgedachter Vorwurf; denn hier bei uns wird er sogleich als Indiz für Antisemitismus gelesen, auch wenn auf der anderen, der sowjetischen Seite, die Vorstellung, einen Unterschied zwischen aus rassischen Gründen ermordeten jüdischen Sowjetbürgern und aus rassischen Gründen ermordeten russischen oder ruthenischen oder polnischen oder bulgarischen Sowjetbürgern zu machen, um die ganzen 27 Millionen in kleinere Häppchen aufzuteilen, als absurd wahrgenommen wurde.

Denn eigentlich könnte man es auf jedes einzelne Grab jedes einzelnen Soldaten der Roten Armee, jedes einzelnen ermordeten Kindes, jedes verhungerten Leningrader Bürgers schreiben, sofern da überhaupt einzelne Gräber sind: ermordet, weil von den Nazis zu Untermenschen erklärt. Und die größte und nutzbringendste Form des Gedenkens fand erst einmal in Gestalt des Wiederaufbaus all der zerstörten Städte statt, die wieder zum Leben erweckt wurden, obwohl die Wehrmacht sie gezielt in Trümmerlandschaften verwandelt hatte.

Die andere Botschaft, die sich in dieser besonderen Betonung verbirgt, ist aber noch perfider. Es wird nämlich signalisiert, dass die slawischen Opfer des Nazirassismus keines eigenen Gedenkens wert sind. Dass dieser Teil des verbrecherischen Rassenwahns keiner war, schon gar kein Verbrechen, aus dem eine echte Verantwortung entsteht.

Nein, immer wieder gab es die Umlenkung auf die Ukraine. Man müsse, so Maas, „auf die politische Willkür zu reagieren, mit der Minsk und Moskau gerade auch in jüngster Zeit eklatant gegen internationale Regeln und universelle Werte verstoßen haben“. Sagt er als deutscher Außenminister in einer Debatte über den Überfall auf die Sowjetunion.

Klar, hätte man den antislawischen Rassismus in diesem BRD-Nachfolge-Großdeutschland je so wahrgenommen oder gar aufgearbeitet wie den Antisemitismus und je das wahre gigantische Ausmaß dieses Verbrechens erfasst, schon die Bombardierung Belgrads hätte sich verboten. Denn auch die Serben wurden durch ein Nazi-Kollaborateursregime als slawische Untermenschen ermordet, Stichwort Jasenovac.

Stattdessen ist die gegenwärtige Darstellung Russlands und der Russen bis zur Halskrause gespickt mit den Bildern, an denen schon Goebbels gearbeitet hat. Der Slawe an sich ist blutrünstig und verschlagen, verschwörerisch und heimtückisch. Da gab es in der Westrepublik eine ungebrochene Kontinuität, die immer wieder mal auch optisch erkennbar wurde wie auf einem CDU-Plakat von 1953.

Oder wie in der Fernsehserie Tannbach von 2015, in der die Amerikaner, die den Ort zuerst einnehmen, brav und ordentlich sind und nicht einmal die SSler erschießen (obwohl die historischen Amerikaner zu jenem Zeitpunkt alles, was eine Blutgruppentätowierung hatte, an Ort und Stelle erledigten), die Rote Armee aber sogleich ein Gemetzel anrichtet und erst einmal alle Frauen vergewaltigt …

Ja. 2015. Man kann problemlos weiteres Fernsehmaterial hinterherschieben, in dem der Russe an sich genau so ist, wie ihn Himmler beschrieben hat. Man kann auch die berüchtigten Spiegel-Titel betrachten.

Und mit Sicherheit würden viele der Geschichten, die in den letzten Jahren serviert wurden, gar nicht funktionieren, wenn im Hintergrund nicht das Bild des verschlagenen, tückischen Slawen abgespeichert wäre. Diese eigenartig scheiternden Giftmorde beispielsweise. Warum sollte ein vernunftbegabter Mensch, gesetzt den Fall, er wolle unbedingt einen anderen Menschen zu Tode bringen, ausgerechnet eine Methode wählen, die so unzuverlässig zu sein scheint? Es ist ja nicht so, dass es keine anderen Methoden gäbe. Nur: Wenn man vorab schon davon ausgeht, dass der mögliche Verdächtige die oben dem Slawen zugeschriebenen Eigenschaften mitbringt, die Heimtücke vor allem, dann wird eben diese allererste Frage gar nicht mehr gestellt. Im Gegenteil, die Erzählung vom Giftmord und die rassistische Zuschreibung verstärken einander.

Es ist mehr als überfällig, das Bild des slawischen Untermenschen endlich aus dem deutschen Denken zu löschen. Nicht im Sinne einer permanenten schuldbeladenen Demutshaltung. Aber ein Unterlassen der penetrant ausgedünsteten moralischen Überheblichkeit, ein schlichtes Akzeptieren, dass die russische (und die weißrussische) Bevölkerung über ihr Leben und ihre politische Vertretung selbst entscheidet, und ein Verzicht auf geopolitische Machtspielchen mit Absender Berlin, das wäre schon ein gewaltiger Fortschritt.

Stattdessen wird noch das Gedenken an die in Babi Jar ermordeten jüdischen Sowjetbürger umgemünzt in eine Bestätigung der eigenen Aggression. Und gleichzeitig ist die Rede von ausgestreckten Händen, die ja nur die bösen Russen nicht ergreifen wollen.

Das erinnert ebenfalls an einen historischen Text.

„Niemals hat das deutsche Volk gegen die Völkerschaften Rußlands feindselige Gefühle gehegt. Allein seit über zwei Jahrzehnten hat sich die jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von Moskau aus bemüht, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in Brand zu stecken.“

Dieses Zitat stammt aus Hitlers Rundfunkrede, mit der er den Überfall auf die Sowjetunion bekannt gab, am 22. Juni 1941.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes

Link zur Erstveröffentlichung auf RT DE: https://de.rt.com/meinung/118880-babi-jar-und-untermensch-im/


Bild oben: Gedenkmenora für ermordete Juden in Babi Jar bei Kiew
Foto: Alex Long, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62166261